Скачать книгу

herbe Landschaften können mitunter süß sein, vor lauter Frühling, vor lauter Blühen!“

      Weiter sagt er nichts. Aber die Fortsetzung dieses Satzes steht sehr deutlich in seinen Augen. Rose sieht rasch weg.

      Sie nennen sich beim Vornamen; alle, die den Ritt mitmachen, tun das. Das elende, steife: „Fräulein Hofer“ – „Herr Stetten“ fällt dadurch weg. Das ist gut.

      Gut ist es auch, auf einem Drei-Tage-Ritt eine Art Sonderkavalier zu haben. Eigentlich glaubt sie auch jetzt noch nicht recht, daß Richard sich auch nur das geringste aus ihr macht. Staatsexamen in der Tasche und nur noch den Rest der Doktorarbeit vor sich, solche Leute sehen kleine stud. med. eigentlich überhaupt nicht an. Es ist eben wahrscheinlich sonst kein Mädel mit, das der Mühe lohnte, denkt Rose.

      Objektiv betrachtet ist das natürlich Unsinn. Wer einen solchen Ritt mitmacht, ist kein Sonntagsreiter. Sie haben ganz hübsche Geländestrecken hinter sich gebracht, bergauf – bergab. Ach, es ist wundervoll, und noch, noch!, liegt ein Tag im Sattel vor ihnen.

      „Ein Tag noch, ein ganzer Tag!“ sagt Richard eben, er scheint demselben Gedankenpfad gefolgt zu sein. „Kennen Sie das Lied von Storm: Wir wollen ihn, mein wackrer Freund, genießen, ja, genießen!“

      „Das ist aber ein Herbstlied“, sagt Rose. „Der Nebel steigt, es fällt das Laub.“

      „Ach, gleichgültig. – Und was tun Sie dann?“ fragt er. Es geht sich so hübsch nebeneinander nach dem langen Ritt. Die Abendsonne färbt die weißen Stellen zwischen dem dunklen Gebälk der Fachwerkhäuser rosa. Der Flieder ist aufgesprungen. Jetzt in der Abendkühle duftet er berückend, fast überwältigend süß.

      Die beiden gehen stumm nebeneinander her. Ihre Haut spannt an den Backenknochen vom Sonnenbrand, den man bekommt, wenn man viele Stunden in Wind und Sonne reitet. Rose guckt ihre Stiefelspitzen an, während sie, die Absätze zuerst aufsetzend, langsam hintrottet.

      „Ich fahre heim. Und Sie?“

      „Für mich ist es zu weit. Hamburg. Lohnt nicht. Warum auch? Kann es irgendwo auf diesem alten und ewig jungen Globus schöner sein als in diesem Augenblick hier? Oder sind Sie anderer Ansicht?“

      Rose sieht auf und blickt ringsum. Erst ist es, als wollte sie ganz sachlich prüfen, ob er recht habe.

      Drüben schwingt der Höhenzug duftblau dahin, wie eine Melodie, davor halbrechts, blüht ein Apfelbaum als wirkungsvolle Staffage. Er sieht aus wie ein Riesenstrauß, weiß, rosa überschäumt. – Nein, nirgends kann der Frühling so überwältigend sein wie hier im südlichen Deutschland. Sie sagt das. Richard sieht sie an.

      „Sie stammen von hier?“

      „Ja.“

      „Darf man fragen, wo Sie wohnen?“ fährt er nach einem Augenblick Pause fort. Rose guckt vorsichtig zu ihm hin. Er sieht ein wenig unsicher drein, sie merkt genau, was er jetzt denkt. Oft geht ihr das so, sie kann mitunter wörtlich Gedanken lesen.

      „Nicht weit. Vielleicht fünfzig Kilometer Luftlinie von hier.“ Nein, mehr sagt sie nicht. Wer weiß, wen ihre andern Geschwister wieder mit nach Hause gebracht haben! Pfingsten ist immer der Teufel los, es wimmelt von Gästen, die auf Liegestühlen und zusammengeschobenen Sesseln nächtigen, wenn Tante Troll sie nicht einfach in die Kinderbetten steckt und die Kleinen ins Heu.

      Es ist schön zu Hause, keine Frage. Schön, lustig, lebendig, warm. Gerade wenn das Haus voll ist. Aber es ist auch unbeschreiblich, unsagbar unordentlich. Tante Troll, Mutters ältere Schwester, die nach Mutters Tod zu ihnen kam und gleichsam unbeabsichtigt auch geblieben ist, Tante Troll „peilt die Wirtschaft über den Daumen“. Sie ist Malerin und Graphikerin, macht entzückende Tierplastiken und kocht ausgezeichnet, aus Leidenschaft. Ihre Kuchen sind sozusagen lyrische Gedichte, ihre Suppen stimmen andächtig, und Bowlen setzt sie an, da kann kein Mann mit.

      Aber!

      „Welches Aber ist es denn?“ fragt Richard Stetten in diesem Augenblick.

      „Vielleicht ein ganz dummes“, sagt Rose und versucht, unbefangen und über der Situation stehend auszusehen; „bei uns geht es Pfingsten zu wie in einem Narrenhaus. Wir haben nämlich keine Hausgehilfin. Eine Tante von uns – ja, ordentlich ist sie nicht, sie ist nämlich Künstlerin“, sagt sie und setzt sozusagen wieder auf, nachdem die Hürde genommen ist. Siehe da, man ist nicht aus dem Sattel gekommen! Rose ist beinah verblüfft, ähnlich wie damals der Reiter vor ihr auf Halunke. „Pfingsten lohnt es für die meisten nicht, nach Hause zu fahren. Da kommt alles zu uns. Ja, Sie dürfen das nicht falsch verstehen!“

      Es klingt ja wirklich reichlich ungastlich, was sie da hervordruckst. Und ungastlich will sie wahrhaftig nicht sein, wo er doch in Hamburg zu Hause ist und nicht weiß, wohin mit sich. Vielleicht aber war seine Frage gar kein Wink mit dem Zaunpfahl?

      Doch, es war einer. Denn jetzt sagt er, höflich im Ton, aber sonst unmißverständlich: „Aber Pfingsten ist doch vorbei. Ich meine, die Feiertage. Und die andern Gäste sind vielleicht schon wieder weg? So daß Platz wäre. Ich habe ja sogar den Schlafsack mit, brauchte also nicht einmal Bettwäsche.“

      Er sagt das schüchtern, trotzdem kann Rose nicht umhin zu denken: Bescheiden ist er ja gerade nicht, sich so einzuladen. Was erwidert man denn in einem solchen Falle, wenn man einen Besuch nicht haben will? Warum will sie ihn eigentlich nicht haben? Sie will ihn schon, freilich.

      Das alles geht blitzschnell durch ihren Kopf. Dann hat sie schon gesagt, eigentlich, ehe sie es selbst zu Ende dachte:

      „Aber ich bitte Sie. Darauf kommt’s doch nicht an! Wenn Sie also Lust haben, können Sie gern mitkommen.“

      So, nun ist es heraus. Was sie noch weiter gesprochen haben, daran erinnert sich Rose nicht mehr, als sie neben den andern Reiterinnen abends im Stroh liegt. Sie kann nicht einschlafen. Sie hat ihn nun also eingeladen. Gut. Er hat es ihr sehr deutlich nahegelegt und „ist selbst schuld“.

      Er ahnt natürlich nicht, was ihm bevorsteht. Voriges Jahr waren zu Pfingsten elf Gäste da. Es war lustig, zweifellos. Bis auf den Umstand, daß Sö sich mit ihrem Tanzstundenpartner verzankte, weil er ein einziges Mal Tine aufgefordert hatte, und Lars sich darüber totlachen wollte. Lars, der älteste, ist in diesem Jahr auch daheim. Das weiß Rose. Weil er damals so lachte, fühlte sich Michael genötigt, den großen Bruder anzugreifen, und der wehrte sich sehr handgreiflich. Sehr schön ist so was ja nie. Und die Kleinen wollen abends nicht zu Bett, wenn etwas los ist. Keiner fühlt sich wirklich verantwortlich für sie. Tante Troll greift nicht durch; sie betont immer wieder, sie sei lediglich als „Köksche“ angestellt und für nichts anderes zuständig, bestimmt aber für keinen Kinderkrach. Kochen, ja, das will sie, alles andere aber läßt sie laufen, wie es läuft.

      Natürlich haben sie zu Hause eine Putzfrau. Das ist in einem solchen Haushalt nötig. Aber einen, der die Zügel richtig in der Hand hält, haben sie eben nicht. Was wird Richard denken, wenn er in dieses Durcheinander hineinschneit?

      Rose träumt. – Sie träumt, daß sie durch ein Haus geht, in dem überall Staub gewischt ist und alle Betten weiß überzogen sind. In den Vasen stehen Blumen, und nirgends liegen niedergetretene Hausschuhe herum, über die man stolpert, oder Klumpen von nassem Badezeug. Die Fenster sind geputzt, und der Tisch strahlt weiß gedeckt, und um den Tisch sitzen ...

      Der Traum, bisher ein Wunschtraum, wechselt in einen Angsttraum hinüber. Am Tisch sitzen Michael, Josi und Volker und essen, und sie essen, wie sie das in Wirklichkeit auch tun, nämlich wie die Indianer. Michael stopft sich den Mund voll Kartoffelsalat, so daß er ihn fast nicht mehr zubekommt, und Volker hält die dazugehörige heiße Wurst am Zipfel über sich und schnappt danach, als wäre er auf dem Rummelplatz. Josi gurgelt mit der Milch.

      „Werdet ihr wohl, ihr sollt doch nicht!“ ruft Rose im Traum. In Wirklichkeit würde sie das auch rufen, und zwar mit derselben Wirkung wie jetzt, nämlich mit gar keiner. „Werdet ihr wohl manierlich essen!“ Da erscheint Sö auf der Bildfläche und tanzt um den Tisch, und sie hat ihr Tanzstundenkleid an, das gelbe, das ihr so gut steht, wenn sie braungebrannt ist, und das ihre unwahrscheinlich dünne Taille

Скачать книгу