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Katharina wird blaß, sie schiebt ihren Mann weg, der hinauflaufen will, und geht aus der Tür.

      Die beiden Frauen haben sich ineinander verkrallt wie zwei Katzen, der Hund kläfft hinter dem Knäuel herum, die Kanne auf dem Tisch schwankt. Katharina springt mit einem Satz dazwischen. Die Schwieger, braun und dunkeläugig, mit faserigem weißem Haar, läuft auf sie zu. Es geht um das Geld für die Eier, die man verkauft hat, die paar Hühner hinter dem Gitter legen nicht viel jetzt im Winter, die Base hat lässig gehandelt, hätte mehr herausholen sollen, hat sogar ein paar Stück beiseite getan.

      Die weint, das könne die Statthalterin nie beweisen. Sie fährt wieder auf die andere los.

      Katharina hält die alte Frau fest, ihre dürren Arme spürt sie durch den Wollärmel, sie stützt sich auf eine Tischkante und winkt der anderen, sie solle gehen. Die drückt sich aus der Tür.

      Jetzt fährt die alte Keplerin auf: »Du hast grad noch das Recht, mir vorzusagen, was ich tun darf! Du, Schultheißentochter von Eltingen – was das schon ist! Weil dir der Heinrich ein Kind gemacht hat vor der Zeit – wie du’s wollen hast! Du, – nichts ein’bracht, nichts gewußt und nichts können …«

      Katharina Keplerin steht dabei, sie ist starr geworden, steif bewegt sie sich und sinkt dann, wie abknickend, auf den Schemel. »Weißt selber, Frau Mutter, daß es anders gewesen ist.«

      »Seit wann sagst du ›du‹ zu mir?«

      Katharina gibt keine Antwort. Sie horcht nach der Treppe. Bloße Füßchen tappen herauf, dann ist es still. Die alte Frau schaut hin. »Geh nur, da ist eins von deinen Kegelna …«, sagt sie leise und gehässig.

      Katharina macht die Tür auf, und draußen steht im langen grauen Hemd der Johannes. Er rührt sich nicht, steht da und schaut. In seinen dunklen Augen sieht sie beim Kerzenlicht den schweren Ernst, die Verantwortlichkeit, die Angst des Buben, den sein Leben weit überfordert.

      Drunten klappert Heinrich Kepler mit Geschirr und Löffeln, er sucht wahrscheinlich etwas zu trinken oder zu essen – er trappt mit den Stiefeln hin und her im Gang, es ist, als wolle er hinaus auf den Marktplatz, zu den lärmigen Kumpanen.

      Katharina hastet an der alten Frau vorbei, an dem Kind, das ihr mit weitem Blick nachgeht, bis ans Ende der Treppe, – und wird zurückgestoßen.

      Heinrich läuft aus der Haustür. »Geh heim, laß mich in Ruh, bleib drinnen!«

      »Ach«, sagt sie ganz leise, sie macht ein paar Schritte hinter ihm drein und kehrt dann um.

      Anderntags ist er fort; er kann nicht weit weg sein, man hat ihn mit einem Trupp Angeworbener auf der Landstraße gesehen; er ist ohne Abschied gegangen.

      Sie mag nicht nachlaufen, nicht mehr bitten, mahnen, betteln, sie sitzt in der Küche vor dem Tisch und würgt trocken, als wolle sie ersticken am Weinen.

      Das enge hohe Haus ist wie ein Kerkerturm um sie her, die streitenden Frauen, der gewalttätige jähzornige Großvater, Amtsbürgermeister und »Statthalter des Reichs«, und weil er nur über eine ganz kleine Reichsstadt Gewalt hat, hält er sich um so stolzer, will seinen Titel hören und die Schreiber im Rathaus laufen sehen. Daß der Heinrich ein unruhiger Geist ist, unnötig aufmuckt gegen den mächtigen Alten, rechnet er ihr an, der Schwieger, die bloß aus Eltingen gekommen ist und nicht aus der Freien Reichsstadt. Er steht ja unter keinem der kleinen Landesherren, sondern direkt unter der Heiligen Römischen Majestät, er hat sogar das Recht, rot zu siegeln, mit dem Adelssiegel, wenn er will.

      Jetzt, im Winter, geht er in der Pelzschaube, im breiten Fellkragen über dem gefalteten Amtsrock, und kaum die eigene Frau, die er als Kätterle Müller aus Marbach am Neckar geheiratet hat, gilt ihm als ebenbürtig, obwohl ihr Vater der Reichsmüller oder der »reiche Müller« genannt worden ist.

      Der Alte ist wenigstens bei seiner Amtswürde und Eitelkeit zu fassen, ihn versteht Katharina eher zu nehmen, aber die Frau, die Mutter ihres Heinrich, die ihn zuerst und vor allen und vor ihr selber im Arm gehabt, die ihn gesäugt und gewiegt hat und getragen, die will ihn nicht abtreten und hergeben und ist ihr bös und feind, wenn sie sieht, daß sie wieder ein Kind erwartet, und böse auch, wenn sie spürt, daß sie jung und stärker ist als sie, die Abnehmende.

      Und dann – Katharina ist erschrocken, als sie es erkennt: Die Alte spürt, daß sie die »Fernfahrt« hat; so nennt sie es selber, die bohrende unwiderstehliche Eindringlichkeit, die sie überall hinfühlen und -tasten läßt, wo die anderen nicht mehr hinreichen.

      Damit kann sie zwingen, wenn sie sich anspannt, zart rufen, liebevoll führen, als wär’s ein Gebet: So ruft sie den Heinrich jetzt, der so weit weggezogen ist. Und so, fortgerissen aus sich selber, aus Ort und Zeit, erlischt ihr Bewußtsein.

      Die Wellingerin findet sie dann, sie liegt neben dem Tisch in der Küche, mit offenen Augen, die blicklos nach oben verdreht sind; das schmale Gesicht ist entspannt, die Tränenspuren laufen über die mageren Wangen bis an den Mund; jetzt lächelt sie in der Entrückung, als ob sie etwas Schönes gefunden hätte … Fast jedesmal, wenn Katharina solche »Anfälle« hat, läuft die ganze weibliche Verwandtschaft zusammen, die mit im Haus wohnt. Die Wellingerin, die sie gefunden hat, ruft die Schwieger, die Schwestern des Vaters kriechen aus allen Winkeln, wo sie spinnend oder stumpf sinnierend gehockt haben, man scheut sich, die Bewußtlose anzureden, weil man ihrer »Sucht« nicht traut, die vielleicht doch überspringen könnte.

      Die junge Frau kommt zu sich, als der vierjährige Johannes sie weinerlich anruft und unaufhörlich streichelt. Heiner, der Zweijährige, habe wieder die Krämpfe, jammert er, und sie müsse jetzt kommen.

      Sie fährt hoch, beschämt über ihre Anwandlung, mit einem angstvollen Blick auf die Frauen, rafft sich vom Boden auf und läuft zum Spielwinkel des Kleinen, der sich gekrümmt, Schaum vor dem bläulichen Mündchen, auf den Dielen windet.

      Johannes sieht es verstört und geht erst von den beiden weg, als die starken streichenden Finger der Mutter den kleinen Bruder beruhigt haben. Der schläft danach gleich ein.

      Derweil trottet der Vater, Heinrich Kepler, mit der zusammengewürfelten Truppe durchs Land. Er redet den und jenen an, den er kennt, auch Fremde will er für sich interessieren, verkündet großspurig, er sei als Sohn eines Amtsbürgermeisters imstand, ihnen allerhand Vorteile und Ehrungen zu verschaffen, wenn sie sich gut mit ihm stellten.

      Allmählich wird der singende lärmende Haufen stiller, da der Marsch in den Abend geht und es kälter wird. Man weiß nicht recht, wo Quartier gemacht werden soll; es könne noch etliche Wochen dauern, das Marschieren, es gehe scheinbar den Rhein hinab, denn die Niederlande seien weit.

      Gegen Mitternacht wird dann Halt befohlen, man wartet den Troß ab, und als der die Zelte auslädt, fängt man schnell mit dem Aufschlagen an. Erst am nächsten Morgen werde man dann die Fähnlein einteilen, heißt es.

      Aber der Schlafplatz in den Zelten sei rar, und bloß der Waibel und die Offiziere könnten sich in den ihren recht bewegen.

      Etliche gingen auch heimlich in die Dörfer ins Heu und zu den Bauernmägden, aber das sei streng verboten und werde hart gestraft.

      Er liegt lang wach, halb auf einem anderen, der schnarchend vor sich hin döst und einen üblen Geruch hat.

      Heinrich kann nicht einschlafen – er sieht die dunkle Frau, wie sie ihn ruhig und eindringlich und immer bohrender anschaut, wie sie ihren Mund zuhält mit der verarbeiteten Hand, als wollte sie den Schrei und Ausbruch verhalten, der seine Unbeherrschtheit anklagt. Er sieht auch die großen, seltsam verdunkelten Kinderaugen seines Johannes und das rote Köpfchen des Kleinen, der krank ist und Sorgen macht; Johannes, im Winter geboren und nach dem Kalenderheiligen getauft, Johannes ist im Mai gezeugt worden, unter dem gläsern-schimmernden Horizont, am Waldrand, als ein Sternschnuppenfall über den Himmel sprühte und die alten großen Buchen in einem hauchenden Wind dufteten. Er hat einen Sohn gewollt und Katharina auch – und daß das Kind zu früh geboren ist, mag an seiner eigenen Heftigkeit liegen, an den unguten Schlägen auch, die ihre Eltern der jungen Frau gegeben haben, weil ihnen die Ehe zu bald kam, weil sie die Tochter noch zur Arbeit im Haus halten

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