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lief, bis sie außer Atem stehenblieb und verschnaufte.

      Warum war sie weggelaufen? Sie hatte es doch nicht über sich gebracht, das schöne lange Haar, auf das ihr Vater so stolz war, abschneiden zu lassen. Vati wäre bestimmt sehr traurig gewesen.

      Gitta kämmte sich mit den Fingern die Haare und band sie im Nacken zusammen. Bald sah sie genauso aus wie vor ihrem Besuch beim Friseur.

      Wo war sie eigentlich? Gitta sah sich um und merkte plötzlich: von hier aus waren es nur ein paar Schritte bis zur Straßenbahnhaltestelle der Linie sechsundzwanzig.

      Unternehmungslustig stieg das Mädel in die nächste Bahn ein. Viele Menschen standen. Es war nicht leicht, sich bis zur Mitte durchzuschlängeln. Gitta stand ganz eingezwängt und bekam kaum Luft. Die Straßenbahn fuhr und hielt immer wieder an. Wenn die Bahn bloß nicht in eine falsche Richtung fuhr?

      Sie zupfte einen Herrn, der neben ihr stand, am Ärmel. Er merkte es nicht. Gitta mußte stärker zupfen. Er schaute zu ihr hinunter: »Bitte?«

      »Entschuldigen Sie, bitte, fährt die Bahn zum Filmatelier?«

      »Ja!«

      »Danke schön!« Die Bahn hielt wieder an. Gitta versuchte sich festzuhalten. Dabei trat sie einem Fahrgast auf den Fuß. »Au! – Paß doch auf!«

      An jeder Station stiegen Menschen ein und aus. – Gitta bekam einen Sitzplatz. Sie saß dem Herrn gegenüber, der ihr vorhin die Auskunft gegeben hatte. Neben diesem Herrn saß eine ältere Dame mit einer Einkaufstasche.

      Der Schaffner, der sich bisher nicht hatte durchdrängen können, kam kassieren. Der Herr und die ältere Dame hatten Dauerkarten. Gitta verlangte: »Bitte, einmal bis zum Filmatelier!«

      »Achtzig Pfennig!« Der Schaffner hielt ihr den Fahrschein vor die Nase.

      Gitta wollte bezahlen. Aber – o Schreck – sie fand das Geldtäschchen nicht.

      »Mein Geldtäschchen ist weg!« rief sie entsetzt.

      Der Herr gegenüber beugte sich zu Gitta: »Du hast es sicher zu Hause liegen lassen.«

      »Nein. Ganz bestimmt nicht. Ich hatte das Geldtäschchen vorhin noch. Zwanzig Mark waren drin und außerdem die Schlüssel!«

      »Vielleicht hast du es hier im Wagen verloren?« Der Schaffner suchte den Fußboden ab.

      »Ich weiß! Ich weiß!« Gitta stand auf. »Beim Friseur! Beim Friseur habe ich das Täschchen liegen lassen! O Gott, hoffentlich kriege ich es wieder!«

      Der Schaffner überlegte: »Ja – was machen wir mit dir?«

      »Ich werde an der nächsten Haltestelle aussteigen, Herr Schaffner.«

      »Alles ganz schön und gut«, meinte der Schaffner und hielt Gitta zurück. »Wir sind schon weit draußen. Du kannst doch nicht den langen Weg zu Fuß zurückgehen?«

      »Ich will auch nicht zurück. Ich will in das Filmatelier Gasteige –«

      »Was willst du im Filmatelier?«

      »Filmschauspielerin will ich werden!«

      Der Schaffner lachte. »Sonst weiter nichts?«

      »Sonst nichts.« Der Herr, der Gitta gegenübersaß, lachte auch.

      »Warum lachen Sie? Das ist nicht zum Lachen!« Gitta standen die Tränen in den Augen.

      »Wissen deine Eltern von deinem Plan?« fragte eine ältere Dame, die Einkaufstasche auf den Knien.

      »Nein! Es – es soll doch eine Überraschung werden!« jammerte Gitta.

      »Eine schöne Überraschung«, empörte sich die Dame. »Weine nicht! – Ich zahle dir den Fahrschein und gebe dir auch das Geld für die Rückfahrt, aber – du mußt mir versprechen, bei der nächsten Haltestelle auszusteigen und dann sofort nach Hause zu fahren!«

      »Danke.« Gitta trocknete sich die Augen. »Ich will aber in das Filmatelier! Vielen Dank!«

      Die alte Dame wurde ärgerlich: »Diese Kinder! Da kann man wirklich nur seinem Schöpfer danken, daß man keine hat!«

      Gitta guckte verwundert: »Mein Vati und meine Mutti haben aber Kinder sehr gern.«

      Der Schaffner beugte sich zu Gitta: »Hör mal, kleines Fräulein, ich mache dir einen anderen Vorschlag! Ich schenke dir den Fahrschein und bezahle ihn selbst … und du gibst mir dann, wenn du erst Filmschauspielerin geworden bist, für deinen Film eine Freikarte. Einverstanden?«

      »O ja!« lachte Gitta vergnügt. »Das ist sehr nett von Ihnen, Herr Schaffner!«

      »So eine Unvernunft!« seufzte die Dame mit der Einkaufstasche. »Wie kann ein erwachsener Mann nur so unvernünftig sein!«

      Der Schaffner war schon weitergegangen. Gitta sah zum Fenster hinaus. Sie war froh, daß sie ihren Fahrschein hatte. Der Herr, der ihr die Auskunft gegeben hatte, fragte sie plötzlich: »Wer hat dich ins Filmatelier bestellt?«

      Gitta antwortete nicht. Der Herr tippte Gitta auf die Schulter: »He, du! Ich rede mit dir!«

      Gitta sah ihn hochmütig an: »Ich darf mich nicht mit fremden Herren unterhalten. Das hat meine Mutti gesagt!«

      »Die Kleine hat ganz recht«, mischte sich die ältere Dame ein. »Das sollten Sie auch wissen!«

      »Ich wollte ihr nur sagen, daß sie in das Atelier nicht hineinkommt, wenn sie nicht bestellt ist!«

      »Das hat Herr Reitmeier auch gesagt!« bestätigte Gitta. »Stimmt das wirklich?«

      »Wer ist Herr Reitmeier?«

      »Herrn Reitmeier gehört das Kino bei uns an der Ecke!«

      »Herr Reitmeier hat dir also gesagt, daß du nicht so ohne weiteres in das Atelier hineinkommst. Ja, da hat er recht gehabt! Warum bist du trotzdem gefahren?«

      »Weil ich Filmschauspielerin werden will!«

      Die ältere Dame nahm ihre Einkaufstasche unter den Arm und stand auf: »Sie sehen doch, daß es keinen Zweck hat, diesem Kind im guten zuzureden. Es ist ein Skandal!«

      Die Straßenbahn hielt. Die ältere Dame stieg aus.

      »Gut, daß diese Tante weg ist!«

      »Sie hat es mit dir nur gut gemeint.«

      »Aber wenn ich doch Filmschauspielerin werden will! Alle sagen immer, das geht nicht, und da wird nichts draus! Aber es gibt doch Kinder, die Filmschauspieler sind, und was die können, kann ich auch!«

      »Wollen wir’s hoffen. Nun erzähl mir aber mal … wie bist du auf die Idee gekommen, zum Filmatelier zu fahren?«

      »Herr Reitmeier hat mir eine Zeitung gezeigt, da stand drin, daß ein Mädchen für eine Filmrolle gesucht wird. Blond soll es sein und zehn Jahre alt! Und ich bin blond und gerade zehn Jahre alt!«

      »Ach so. Du meinst die Hauptrolle in dem großen Kinderfilm: ›Der schwarze Christian.«

      »Ja! So heißt der Film!«

      »Warum hast du nicht an die Filmgesellschaft geschrieben und eine schöne Fotografie von dir eingeschickt?«

      »Dazu war es schon zu spät! In der Zeitung stand doch, die Kinder für die Probeaufnahmen wären ausgesucht!«

      »Stimmt! Heute werden die Probeaufnahmen gemacht!«

      »Woher wissen Sie das?«

      »Weil ich dabei bin!«

      »Sind Sie ein Schauspieler?«

      »Nein.«

      »Sind Sie ein Regisseur?«

      »Nein! Ich bin Standfotograf!«

      »Was ist das, ein Standfotograf?«

      »Ein Standfotograf macht die Aufnahmen, die in den Kinoschaukästen

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