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FM4 Wortlaut 20. Kontakt. Elisabeth Etz
Читать онлайн.Название FM4 Wortlaut 20. Kontakt
Год выпуска 0
isbn 9783903081826
Автор произведения Elisabeth Etz
Жанр Языкознание
Серия Wortlaut
Издательство Bookwire
„Unauffällig ist gut, oder?”, fragt Emma.
„Sie müssen sich das so vorstellen”, sagt Doktor Gruber und wechselt in den Modus für patientengerechte Sprache. „Der Fötus schwebt in der Fruchtblase wie ein Astronaut in einer Raumkapsel. Wir bekommen Hinweise, aber was da drin wirklich vor sich geht, wissen wir nicht.”
Emma nickt und ich denke, dass es am Ultraschall wirklich so ausgesehen hat, als würde das alles irgendwo im Weltraum passieren und nicht drei Zentimeter tief in ihrem Bauch.
Doktor Gruber macht in der Zwischenzeit mit den Zahlen weiter. Er dreht den Bildschirm noch ein Stück weiter in unsere Richtung, stützt sich am Glastisch ab und tippt mit dem Kugelschreiber auf das Display. „Das ist nicht das, was wir haben wollen.”
„Eigentlich blöd”, sagt Emma und rückt auf die Eckbank des Kaffeehauses.
„Was?”
„Na, ein Schreibtisch aus Glas. Da sieht ja jeder, was drunter ist.”
Ich denke nach, aber bevor mir ein guter Grund einfällt, müssen wir bestellen. Emma möchte Malakofftorte.
„Hab ich nicht mehr. Bienenstich oder Apfelstrudel“, sagt die Kellnerin knapp.
„Topfenstrudel?”, fragt Emma. Ich weiß, dass sie das absichtlich tut. Wenn man ihr Druck macht, stellt sie auf stur.
Die Kellnerin klopft mit dem Stift ungeduldig auf ihren Block. „Bienenstich oder Apfelstrudel”, wiederholt sie, diesmal ohne Fragezeichen.
„Es sind nur Wahrscheinlichkeiten. Das muss erst einmal gar nichts heißen”, sage ich.
„Eh. Aber es kann.” Emma sticht mit der Gabel ein Stück vom Strudel und balanciert es vor ihrem Gesicht. „Das Ganze nervt mich jetzt schon. Vor zwei Monaten wollten wir nicht mal Kinder und jetzt können wir übers Abtreiben nachdenken”, sagt sie und schiebt den Strudel in den Mund. Am Nebentisch bestellt eine Pensionistin viel zu laut Eier im Glas.
„Ich glaube, ich würde es schon kriegen wollen”, sage ich und greife nach Emmas Hand.
„Du kriegst es aber nicht. Ich krieg es”, sagt Emma und schneidet einmal mit der Kreissäge durch die Tischmitte.
In dieser Nacht fängt das mit den Träumen an. Ich befinde mich in einem Labor, das aussieht wie die Kommandostation eines Raketenflughafens. Ein nervöser Wissenschaftler beugt sich über seinen Monitor und wartet mit Zettel und Bleistift auf den Beginn einer Übertragung. Dann erscheint der Morsecode. Lauter x und y. Der Wissenschaftler schreibt angestrengt mit, aber er hat Mühe, dem Diktat zu folgen. Schweiß tritt ihm auf die Stirn. Als das Piepen aufhört, reißt er den Zettel ab und läuft hastig zu einem Computer neben einem hohen Glaskasten. Er tippt die Zahlen ein und auf der anderen Seite der Glaswand beginnt ein Roboter damit, scheibchenweise unser Kind zusammenzusetzen. Es blickt starr und leblos. Wie eine Puppe. Als der Roboter am Scheitel angekommen ist, fällt dem Kind der Kopf ab. Dann ein Arm, dann ein Bein. Ich bekomme Panik und bitte den Wissenschaftler, etwas zu unternehmen, aber er hebt nur hilflos die Arme. „Das sind die Chromosomen”, sagt er. „Alles ganz durcheinander.”
Als ich aufstehe, sitzt Emma schon in der Küche und stochert in ihrem Müsli herum. Ich öffne den Schrank, um eine Kaffeetasse herauszunehmen, aber es ist keine mehr da. Emma nickt Richtung Abwasch, in der sich das dreckige Geschirr stapelt. Wir haben nicht so viele Gemeinsamkeiten, dass es uns als Paar unsympathisch machen würde, aber wir teilen die Fähigkeit, eine dreckige Küche zu ertragen. Ich frage Emma, was das für Leute sind, die immer gleich nach dem Abendessen abwaschen und stierle mit den Fingern Salatblätter vom Boden des Spülbeckens, damit das braune Wasser abfließt.
„Leute wie unsere Eltern zum Beispiel”, sagt sie und beobachtet, wie ich mir die nassen Hände an der Jogginghose abwische. Ich befreie eine Tasse und den kleinen Kochtopf aus dem Geschirrturm, spüle beides ab und zünde das Gas an. „Immerhin mach ich mittlerweile die Milch für den Kaffee warm, das ist ja auch schon was”, sage ich und fülle eine Handbreit in den Topf. Es zischt, als die Milch das heiße Metall berührt.
„Scheiß Snob”, sagt Emma.
„Wie geht es dir heut?”, frage ich und starre in die Milch, die am Herd zu dampfen beginnt.
„Gut … so wie gestern”.
Ich weiß, sie findet es komisch, dass plötzlich jeder permanent nach ihrem Wohlbefinden fragt. Weil das ja auch bloß so ein Klischee ist, meint Emma, dass sich da von einem Tag auf den anderen weiß Gott was tut.
Ich nehme den Topf vom Herd und leere die dampfende Milch in meine Tasse. Die Milchhaut halte ich mit dem Zeigefinger zurück und schlecke sie dann ab.
„Wäh”, schreit Emma so laut, dass ich erschrecke. „Du bist ja wohl die grauslichste Drecksau überhaupt!”
Es ist mir nicht einmal aufgefallen. „Warum wäh? Am Pudding isst du die Haut ja auch.”
„Das ist ja nicht das Gleiche”. Sie hat Spaß daran, sich hineinzusteigern und schreit mich weiter an. „Wäh, wäh, ich kotze gleich das Kind raus!”
Jetzt muss ich lachen. Ich schlecke gleich noch einmal über den Finger und mache dabei ein Schmatzgeräusch. Emmas Augen sind tränennass vor Ekel und Lachen. Sie lädt einen Gupf Müsli auf ihren Löffel und katapultiert ihn in meine Richtung. Der Müslikloß klatscht gegen die Fliesen über dem Herd und schmiert langsam nach unten.
„Schaut aus wie ein Fötus”, sage ich.
Emma wischt sich die Tränen aus den Augen. „Ich glaube, mir reicht das nicht mit den Wahrscheinlichkeiten”, sagt sie. „Ich muss das wissen.”
Wissen bedeutet rein in die Raumkapsel, hat Doktor Gruber gesagt. Den Rest erklärt uns das Internet. Fruchtwasserpunktion tippen wir ein, Risiko Fehlgeburt denkt die Suchmaschine unsere Sorgen zu Ende. Eine Antwort hat sie auch. Schon wieder eine Wahrscheinlichkeit, eins zu zweihundert. So ein Loch in der Raumkapsel kann man unmöglich flicken.
„Stell dir vor, es hat gar nichts und dann stirbt es wegen der Untersuchung”, sage ich.
„Stell dir vor, wir machen es nicht und dann stellt sich im siebten Monat heraus, dass es behindert ist”, entgegnet Emma und dass eine Spätabtreibung noch viel schlimmer wäre.
„Nur weil es behindert ist, muss man aber nicht abtreiben”, sage ich.
„Ich kriege aber kein behindertes Kind, Johannes”, sagt Emma und verwendet meinen Vornamen als Rufzeichen. „Sicher nicht.”
„Ich wusste gar nicht, dass du das alleine entscheidest.”
„Na ja, du entscheidest es sicher nicht.” Sie streckt mir den Löffel entgegen wie einen Duellsäbel.
„Geiler Morgen schon wieder”, sage ich im Weggehen und knalle die Tür hinter mir zu. Viel zu heißer Milchkaffee schwappt über meine Hand.
Im Traum ist Doktor Grubers Spritze so dick und grau wie eine Stricknadel. Emma liegt am Behandlungstisch und er lässt die Nadel in ihren Bauchnabel gleiten. Ich wundere mich, wie leicht sie eindringt und dass es gar nicht weh tut. Emma ist ganz ruhig. Doktor Gruber stochert ein paarmal herum, dann sagt er „fertig”. Er zieht die Nadel heraus und wischt sie mit einem Papierhandtuch ab, wie den Ölmessstab eines Autos. Emma will sich aufrichten, aber Doktor Gruber drückt sie mit dem Arm zurück auf die Liege. „Bitte kurz noch liegen bleiben. Jetzt kommt noch die Fruchtblase raus.” Ich kriege Panik. „Was, das war schon die Abtreibung?" Zwischen ihren Beinen wird Emmas Hose blutig.
Es ist spät. Wir liegen im Bett und wischen uns durch Instagram. „Mir wird schon lauter Babyzeug angezeigt”, sagt Emma und hält