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Die schönsten Pferdegeschichten. Lise Gast
Читать онлайн.Название Die schönsten Pferdegeschichten
Год выпуска 0
isbn 9788711509135
Автор произведения Lise Gast
Издательство Bookwire
„Das ist keine Abteilung, das ist ein Sauhaufen“, knirschte der Reitlehrer. In diesem Augenblick wurde die Tür aufgeschoben, und Herr Anders kam, „Tür frei?“ fragend, herein, die Florett am Zügel. Manchmal unterrichtete der Reitlehrer vom Sattel aus, das schien heute geplant zu sein. Anja hatte es noch nicht erlebt.
Herr Anders führte das Pferd in die Mitte der Halle, der Reitlehrer kam herüber, prüfte den Gurt, zog ihn nach und saß dann auf. Freilich, man sah sofort, daß er ein guter, ein hervorragender Reiter war. Florett schien es auch zu merken, sie ging sanft und geschmeidig unter ihm, vom ersten Schritt an. Er ließ sie an die Spitze der Abteilung gehen, hinter ihm ritt Cornelia, dann Petra, dann die beiden Jungen. Auf einmal war Ordnung in der Abteilung. Petra grinste verstohlen, als sie an Anja vorbeiritt. Anja verstand: Wenn er die Abteilung führte, konnte er nicht alles sehen. Insofern war das günstig.
Ach ja, reiten müßte man können! Nicht nur drauf sitzen, nicht nur das Pferd rundum mitlaufen lassen – Anja fühlte genau den Unterschied, wenn sie so die Reitenden miteinander verglich. Auch Cornelia, die einen sehr guten Sitz hatte, war mit dem Reitlehrer nicht zu vergleichen. Petra hielt sich wacker auf ihrer widerspenstigen Wanda, mehr aber brachte sie nicht zustande. Als das Schlußkommando kam: „Rechts dreht, links marschiert auf!“, waren alle außer dem Lehrer verschwitzt und atemlos, Anja merkte es genau. Sie sprang in die Halle hinunter und streichelte erst Wisky, dann die anderen – nach der Stunde durfte man das. Cornelia schob die Reitkappe aus der Stirn und blies die Backen auf.
„Puh! Na, ein Vergnügen war das nicht!“
Beim Hinausführen der Pferde passierte es dann. Petra, jetzt wohl nicht mehr so achtsam wie die ganze Stunde lang, führte ihre Wanda durch die Tür, als ein Hund heransprang; er gehörte wohl einem Reitschüler, der eben erst gekommen war und aus dem Auto stieg. Der Hund, ein ziemlich großer schwarzer, zottiger Kerl, sprang ohne böse Absicht heran, jappend, nicht einmal richtig bellend, aber Wanda erschrak anscheinend sehr. Sie riß den Kopf hoch, Petras Arm mit, duckte sich dann und fegte davon, am Misthaufen entlang zur Außenbahn, die jetzt nicht benutzt wurde und zur Hälfte unter Wasser stand. Petra, im Augenblick nicht darauf gefaßt, ließ den Zügel nicht los, wurde mitgerissen und versuchte, Wandas Tempo zu halten. Das gelang ihr anfangs auch. Man merkte, daß sie eine gute Läuferin war, vor allem eine, die sich auf Blitzstarts verstand. Alle, die es sahen, verfolgten die beiden mit weit aufgerissenen Augen – erst sah es bedrohlich aus, dann so, als würde es doch glimpflich ablaufen, eben, weil Petra so gut zu Fuße war, dann aber konnte man genau sehen, daß es auf die Dauer nicht gutgehen konnte. Das durch Wochen ausgeruhte, wenn auch gedrungene Pferd war eben erheblich schneller als seine Reiterin, und nun schlug Wanda auch noch einen unvermuteten Bogen, und Petra stürzte, noch immer den Zügel haltend. Sie landete mit ausgestrecktem Arm auf dem Bauch, wurde noch ein Stück mitgerissen, dann gab sie den Zügel frei.
„Liegen lassen!“ rief Cornelia mit klarer, befehlender Stimme, als sie sah, daß der Hundebesitzer hinüberrannte und sich über Petra beugte. Anja fühlte den Zügel von Creon in der Hand – hatte Cornelia ihn ihr gegeben‚ oder hatte sie selbst zugegriffen? Sie wußte es später nicht mehr – Cornelia spurtete den Hang hinunter.
Petra rührte sich soeben, versuchte sich aufzurichten und fiel ächzend zurück. Jetzt war auch der Reitlehrer da.
„Nichts passiert. Nichts Schlimmes“, hörte man Cornelias Stimme. „Aber bleib liegen, Petra, rühr dich nicht, Warte ab.“
„Die Wanda! Daß sie nicht auf die Straße läuft!“ rief Petra halblaut. Cornelia machte eine beruhigende Handbewegung.
„Keine Angst, wir sind genug Leute, um sie einzufangen. Bleib liegen.“ Sie rannte über den Reitplatz, das Wasser spritzte hoch. Wanda hatte an der schmalen Seite des Platzes gebremst, schien zu überlegen, ob sie weiterlaufen sollte, wandte sich dann um. Cornelia fiel sofort in Schritt, grub in der Hosentasche und ging dann mit ausgestreckter Hand auf die Stute zu. „Ruhig, ruhig – ja, du bist doch die Beste! Komm, hier …“
Wanda legte die Ohren zurück, während sie den Hals streckte – sie sah wahrhaftig nicht wie „die Beste“ aus, sondern ausgesprochen tückisch und boshaft. Jetzt zog sie auch noch die Oberlippe zurück und bleckte die braungefleckten Zähne.
„Olga, das Mistvieh, wie es leibt und lebt“ ‚murmelte Cornelia den Titel eines Buches mit Pferdeanekdoten vor sich hin, auf dessen Umschlag ein solches Tier abgebildet war, schob sich aber vorsichtig näher. „Komm, komm, meine Gute, ich hab’ was für dich.“
Nein, Wanda widerstand der Versuchung nicht. Sie machte sich lang und länger, um den Zucker zu erreichen – und als sie ihn hatte, hatte auch Cornelia ihr Backenstück erwischt. Ganz langsam und behutsam schloß sie die Finger darum, damit Wanda ja keinen Ruck spürte, und führte sie dann, freundlich mit ihr sprechend, zurück zu den anderen.
„So, da hätten wir dich also. Ja, Thilo, kannst du sie nehmen? Ich will mich mal um Petra kümmern.“
Es war dann ein Schlüsselbeinbruch, „die übliche Reiterfraktur“. Cornelia sagte das so und klopfte Petra freundlich auf die Wange. „Ist nicht die erste, nein? Na, siehst du. Und wird nicht die letzte sein. Eigentlich holt man sich solch einen Bruch meistens, wenn man im Hechtsprung vom Pferd schießt, nicht beim Nebenherhoppeln. Egal, ehrenvoll ist es doch, oder nicht? Wenn du jetzt nicht in die Schule kannst, klingt das gut: ein Reitunfall. Alle werden dich beneiden. Ein Glück, daß es rechts ist.“
„Na, wahrhaftig.“ Petra saß auf dem Tisch in der Baracke, sie hatten ihr Pullover und Bluse vorsichtig ausgezogen, und Cornelia war dabei, ihr eine elastische Binde umzuwickeln. An der heilen Schulter fing sie an, führte die Binde über den Rücken zur rechten, schlang sie dort herum und wieder kreuzweise zur anderen. „Merkst du, daß es stützt? Ist wahrscheinlich nur angebrochen.“ Sie tastete noch einmal mit den Fingerspitzen vorn, dort, wo das Schlüsselbein die Verbindung zwischen Brustbein und Schulter bildet. „Na, vielleicht doch ganz durch, man merkt hier eine Stufe. Die kann aber auch vom vorigen Mal sein. Wann war denn das? Und auch rechts?“
„Vor zwei Jahren. Auch rechts.“ Petra nickte mit zusammengepreßten Zähnen. Cornelia lachte.
„Und wie oft hat Helga Köhler das Schlüsselbein gebrochen? Weißt du das?“
„Neunzehnmal“, brummte Thilos Baß von hinten. „Du hast also noch siebzehnmal vor dir, Petruschka.“
„Danke schön – ihr habt gut lachen!“ Petra versuchte es auch. Aber es wurde mehr ein Grinsen, das nicht sehr fröhlich aussah.
Cornelia blickte sie unauffällig prüfend an.
„Wird dir schlecht?“ fragte sie leise.
„Ist schon“, meldete Petra und verzog das Gesicht. Paul sprang mit einem Eimer zu. Petra würgte.
„Aha. Also auch eine Gehirnerschütterung“, stellte Cornelia fest. „Am besten, ich bring’ dich selbst nach Hause. Wirst du Krach kriegen? Reitverbot für zehn Jahre? Oder ‚du Armes!‘ und Küßchen und derartige Köstlichkeiten, die man so gern hat?“
„Keins von beiden. Meine Eltern sind Kummer gewöhnt. Die beiden Schwestern von mir haben – pfui Teufel!“ Sie würgte wieder. Cornelia hielt ihr die Stirn.
„Jaja. ‚Das Pferd ist ein gefährliches Tier, das dem Reiter nach dem Leben trachtet‘ – so steht es in vielen Reithallen angeschrieben. Geht‘s wieder? Dann komm, ich bring dich heim. Wenn jemand meinen Creon absattelt –“
„Der wird weiter geritten, von drei bis vier“, sagte Thilo und hielt ihr die Tür auf. Sie hatte Petra auf den Arm gehoben, geschickt und geübt, und trug sie zum Auto. „Bis bald, Struwwelpeter!“ rief Thilo Petra