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zu sagen. Elisa nickte, als der Arzt fragte, ob mit ihr alles in Ordnung sei. Sie nickte, egal, was zu ihr gesagt wurde. Elisa nickte, wenn jemand ihr ein Bonbon anbot. Sie hätte auch genickt, wenn jemand sie gefragt hätte, ob sie ein Bonbon sei.

      Nichts würde je wieder so sein, wie es gewesen war.

      3

      Die Eindringlinge in Bjerkebakk, die Elisa fast entdeckt hätten, hatten einen Ziertisch zerstört. Das hatte so laut geklirrt. Jemand hatte offenbar versucht, sich darauf zu setzen. Ansonsten hatten sie keine besondere Unordnung gemacht und sie hatten ihren Geldbeutel nicht gefunden. Der Brief jedoch lag auseinander gefaltet und offen auf dem Sofa, auf der einen Kekspackung. Verdammt. Elisa faltete ihn ordentlich zusammen und steckte ihn mit dem Bild in den Umschlag. Ihr Brief zum vierzehnten Geburtstag. Der Elisa zum Durchbrennen veranlasst hatte. Cillia hatte ihn nur wenige Tage vor ihrem Tod geschrieben. Elisa hatte ihn ganz unten in einer von Cillias Kommodenschubladen entdeckt. Sie hatte nicht schnüffeln wollen. Sie war einfach in Cillias Zimmer gegangen, um sich aufs Bett zu legen. Um Cillias Geruch wahrzunehmen. Cillias Geruch, der noch immer im Bettzeug hing. Den scharfen Geruch des großen weichen Morgenmantels aus rosa Frottee. Cillias Zimmer war das einzige Zimmer, das noch immer es selbst war. Die übrige Wohnung war langsam aber sicher geleert worden. Staub und Spinnweben sammelten sich zusammen mit Schmutz in den Ecken. Dreckige Fenster, dreckige Kleider, dreckige Erinnerungen und verrußte Bilder. Ich habe heute Geburtstag, trallerallera. Ich will mir gratulieren, trallerallera. Es war einige Tage vor Elisas vierzehntem Geburtstag gewesen. Es war kein Wunder, dass sie Cillias Geruch wahrnehmen wollte. Nur das wollte sie. Nur deshalb war sie in Cillias Zimmer gegangen. Weil sie sich so nach ihr sehnte. Im Zimmer war alles unberührt. Die große grüne Tagesdecke auf dem Bett. Die Fotos von einer Reise in die Pyrenäen. Spanische Berge. Die Vogeltapete an der Wand. Das war Cillia. Das war sie und es war doch nicht sie, denn sie war nicht da. Sie war nicht da, sie war nicht da. Ein Spukzimmer. Und die Vorhänge flatterten noch immer, seit sie gegangen war, obwohl es jetzt viele Stunden, viele Tage her war. Über eine Woche. Elisa hatte sich auf Cillias Bett gelegt und starrte die Decke an, und dabei fiel ihr Blick auf die Kommode. Und dann hatte sie eben hineingeschaut.

      – Was suchst du da, Elisa?

      – Nichts.

      – Suchst du ein Geburtstagsgeschenk?

      – Nein, tu ich nicht.

      Nein, das tat sie wirklich nicht. Aber dann fand sie trotzdem eins. Den Briefumschlag. Den Brief. Die Fahrkarten nach Bjerkebakk. Ich möchte, dass wir dorthin zurückkehren. Alle drei. Deine Mutter, du und ich. Erinnerst du dich an das weiße Haus? Ich lege ein Bild bei. Ich weiß nicht, ob das hilft. Aber es hatte geholfen, es war das Einzige gewesen, das half. Wenn auch nicht so, wie Cillia sich das vorgestellt hatte. Sie waren nicht zusammen gefahren. Nicht alle drei und auch nicht die beiden, die noch übrig waren. Elisa fuhr allein, an dem Tag, an dem sie vierzehn wurde. Sie hatte sich aus dem Haus geschlichen. Während ihre Mutter auf dem Sofa lag und sich ›Beverly Hills‹ anschaute. Während Siri Margrete im Klassenzimmer saß und sich darüber aufregte, dass manche sich einfach frei nahmen.

      – Fehlt Elisa jetzt nicht schon ziemlich lange, Frau Evensen?

      – Elisa hat es im Moment nicht leicht, Siri Margrete.

      – Sicher nicht. Aber fehlt sie jetzt nicht schon ziemlich lange?

      Elisa Bjerkebakk war von zu Hause weggelaufen. Willst du wissen, warum wir so sind, wie wir sind, Elisa? Wenn Cillia auch nur ein halbes Jahr früher gefragt hätte, dann hätte Elisa durchaus nein sagen können. Wir wollen nicht immer alles wissen und manchmal ist die Kindheit, die wir uns ausgedacht haben, besser als die wirkliche, von der wir nichts wissen. Aber im letzten halben Jahr hatte manches sich geändert. Elisa konnte nicht sagen, was diese Veränderungen ausgelöst hatte. Sie war auch früher schon böse auf ihre Mutter gewesen. Aber sie hatte nie zuvor Stiefel angezogen, um auf dem Gang herumzutrampeln, wenn Cillia geflüstert hatte: – Mama schläft auf dem Sofa. Sie hatte noch nie Rezepte zerrissen, Medikamente versteckt oder nur für sich allein gekocht. Und als sie das machte, hatte sie nicht einmal ein schlechtes Gewissen dabei. Es gefiel ihr. Elisa freute sich über das Gesicht ihrer Mutter in der Küchentür, als sie den letzten Rest Spaghettisoße in den Mülleimer kippte. Sie freute sich darüber, dass die Mutter klein und verwirrt aussah, im grauen Morgenrock und mit Wülsten unter den Augen.

      – Hast du ... wollen wir ... Mittagessen?

      Dass sie nicht einmal einen vollständigen Satz formulieren konnte. Alles! Alles an der Mutter ging Elisa inzwischen auf die Nerven.

      – Ich weiß nicht, was du willst, aber ich habe gegessen, Mama.

      – Ach.

      – Du kannst dir ja selber was kochen, wenn du willst.

      – Ach.

      – Ich gehe jetzt jedenfalls ins Kino.

      – Ach.

      Später hatte Cillia sie getadelt und gefragt, ob Elisa wirklich geglaubt habe, Hannah könne sich selber etwas kochen? Sollten sie sich denn nicht umeinander kümmern? Waren sie vielleicht keine Familie? Aber Elisa bereute nicht einmal, als sie ausgeschimpft wurde, sie bereute nicht einmal, als sich in ihrer Brust alles zusammenklumpte, weil Cillia böse auf sie war. Das verwirrte Gesicht ihrer Mutter wog das alles auf. Gleich nach Cillias Tod und nur eine Woche nach dieser Szene hatte Elisa den Brief gefunden. Willst du wissen, warum wir so sind, wie wir sind, Elisa? Erst, als Elisa den Brief gelesen hatte, wusste sie, dass sie genau das wissen wollte. Warum sind wir so, wie wir sind? Welchen guten Grund hat eine Mutter, wenn sie beschließt, nicht mehr Mutter zu sein? Wenn sie sich neun Jahre lang aufs Sofa legt und fragt: hast du ... wollen wir ... Mittagessen, wenn sie nicht gerade ›Beverly Hills‹, ›Glamour‹ oder Wiederholungen von ›Falcon Crest‹ sieht? Cillia war tot. Elisa und ihre Mutter waren ganz allein und Elisa wusste, wenn sie nicht eines Tages ins Wohnzimmer gehen und ihrer Mutter ins Gesicht schlagen wollte, dann musste sie in Erfahrung bringen, was passiert war. 21. Mai 1990. Elisa musste nach Bjerkebakk fahren. Und jetzt war sie hier. Ohne schlechtes Gewissen. Ohne auch nur einen Stich in der Brust, wenn sie an den Zettel dachte, den sie auf dem Küchentisch hinterlegt hatte.

      Liebe Mama,

      ich bin weggefahren, um Atem zu holen.

      Such nicht nach mir.

      Bis bald.

      Elisa

      Das Einzige, was Elisa etwas ausmachte, war die Vorstellung, dass sie vielleicht entdeckt werden würde. Was, wenn ich entdeckt werde? Was, wenn sie mich hier finden, ehe ich suchen kann, ehe ich die finde, die Frida heißt? Das war der einzige Gedanke, der Elisas Herz so heftig schlagen ließ, dass sie dachte, sie habe gar kein echtes Herz in der Brust sitzen, sondern ein Jojo. Manchmal musste sie kotzen. Manchmal musste Elisa über sich selber kotzen. Sie beugte sich über den zerbrochenen Ziertisch und entdeckte daneben auf dem Boden ein kleines Fernglas. Ein Fernglas mit einem braunen Lederriemen, damit man es um den Hals hängen konnte. Offenbar hatten die Eindringlinge es verloren. Was hatten sie sich ansehen wollen? Sie selber vielleicht? Die im Wohnzimmer schlafende Elisa? Sie hob das Fernglas hoch und hielt es einen Moment lang in der Hand. Danach hängte sie es sich um den Hals und riss dann die Decke von dem zerbrochenen Tisch. Die war aus dem gleichen Stoff wie die, die sie am Vorabend vom Sofa genommen hatte. Aus dicker weißer Baumwolle. Eine kleine graue Wolke stieg auf, als sie die Tischdecke wegzog. Die Wolke bestand nicht nur aus Staub. Sondern auch aus Glas. Der Tisch war von einer Glasplatte bedeckt gewesen, die jetzt zerbrochen war. Die Fotos, die auf der Glasplatte gestanden hatten, waren unversehrt. Elisa zitterte. Nicht nur an den Händen. Sie zitterte am ganzen Leib. Als habe sie sich plötzlich aus einem dünnen Mädchen in eine Puppe aus Seidenpapier verwandelt. Langsam fing sie an, mit zitternden blutigen Handrücken die Glassplitter von den Fotos zu wischen.

      Und ihre Mutter. Ihre Mutter, die immer müde gewesen war, so müde. Und Cillia. Cillia, die immer fröhlich gewesen war, so fröhlich. Und Elisa. Elisa, die gar nichts empfunden hatte. Gar nichts, gar nichts. Nichts in den Augen, nichts im Bauch. Und auch nichts im Kopf. Wie eine Postkarte. So war das gewesen. Genauso flach wie das

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