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Stunden des Landes schlägt dieses Kleinod — sie werden es gleich vernehmen — seegmäß die uns allen so lieb- und altvertrauten Glasen. Lassen Sie uns die Sekunden, die uns noch von Mitternacht trennen, kosten als ein ungewöhnliches Labsal, dem Inhalt unserer Gläser ebenbürtig, davon je wieder zu schlürfen ich dunnemals für immer und ewig zu hoffen hätte aufgeben müssen, wenn nicht ... Aber da steht, holder als was nun kömmt, Mintje, unsere frischländliche Schank- und Buddelmaid, in der Tür und grient mehr über- als verlegen, als sei nämlich Glas nichts als Glückssache, wo es doch mächtig unterschiedlich sein kann für die mannigfaltigen Sinne des Menschen. Komm her, mein Süßes, tu einen Schluck fürs Herz und hör ninip zu, da ich dir’s verkla- und erklären will!

      Ein Glas zum Exempel ist ja wohl auch das Einglas deines dir gern nachseufz- und peilenden Herrn Assessors Pumslibimski, der mit diesem andeutet, wie gern er einst Leutnant bei der Hochgebirgsmarinekavallerieflugwaffe gewesen wäre. Entschieden dient dieses Glas seinem wie deinem Gefühl und Hochgefühl, wo Liebe sowieso der Sehkraft ermangelt und nicht bedarf. Nichts für ungut! Prost, mein Deern!

      Ein Glas Grog hingegen wendet sich mehr an Geruch und Geschmack, ohne doch das Gefühl zu um- oder gar hintergehen, vermag auch hellhöriger zu machen und die Sicht teils zu för-, teils zu lindern, zumal die innere.

      Ein Glas indessen, das man Kieker oder Fernstecher nennt, ist vorzüglich der äußeren Sicht geweiht. Obschon mancher damit weniger entdeckt als Columbus, der noch kein derartiges besaß.

      Ein Glas aber, auf das nunmehr zu kommen ist und hier seine Rolle spielt, ist der Glockenton, der an Bord die halbe Stunde anschlägt, also z. B. Mittag halbig eins den ersten Schlag, ein Glas also, und Punkt eins einen dazu, also zwei Glas, und so geht es weiter, alle halbe Stunde einen Glockenschlag mehr. Um zwo Uhr klingt das also so:“

      Der von und zu Rabums nahm den gläsernen Stöpsel, und das Auge tiefseeblau auf Mintje, das Serviermädchen, gerichtet, schlug er wohlgemut, ping ping — ping ping, die kleine Pause zwischen den Stunden gebührend wahrend, an sein schon fast wieder geleertes Grogglas, dieses, wie jeder der erlauchten Runde zu sehen vermeinte, zur Schiffsglocke erhebend. Sodann fuhr er unentwegt fort:

      „O Klang der Unaufhaltsamkeit! Wie allzu langsam zögertest du dich hinauf, wenn man auf Hundewache stand, bis endlich die vierte Stunde herum war und mit acht Glas voll! Wie allzu rasch zuckte der Klöppel und immer eins mehr, wenn man in der Koje lag und die Freiwache genoß und acht Glas nichts war als ein achtfacher Hieb ins Genick! Alas ay ay! Vorbei, vorbei! Doch soll keiner uns nachsagen, daß bei acht Glas voll etwas anderes je zu mei- und schwanen sei als nach Landbegriffen vier, acht, zwölf, sechzehn, zwanzig und vierundzwanzig Uhr.

      Und so glast es sich weiter, und weil es speziell seemännisch ist, hat das ganze auch seine spezielle Mehrzahl und heißt nicht die Gläser, sondern die Glasen. Und kömmt her von dem Stundenglas, der Sanduhr, bevor es Chronometer gab, die drehte der Wachhabende alle halbe Stunde um, weil sie dann abgelaufen war, und gab es allen Ohren an Bord zu verstehen, indem er an die Schiffsglocke schlug. Daß man aber mit dem Glasenschlag jeweils ein Glas Grog zu sich geno- und die Bezeichnung Glasen daher kommen soll, mag jedem frei- und anheimgestellt sein in den Spinnstuben der Stammtische. An Bord, hab’ ich sagen hören, ist Kaffee dien- wie bekömmlicher. Indes mein Kater Mux äußerte, ihm könne auch der Kaffee gestohlen bleiben; ihm seien von allen Gläsern nur die mit Milch interessant und das Glasige nur an einem frischen Hering.

      Mir war aber einmal aus ganz anderen Gründen so gla- als aasig zumute. Also hören Sie: In unserem welkenden Äon sind Seeräuber, Korsaren und Flibustiers zum Aussterben verurteilt, und die Flagge der weißen Kultur hat ihnen die Arbeit überall abgenommen. Nicht so zu meiner Zeit, zumal in den Gewässern der Malayas. Eines guten Donnerstags sahen wir uns reelings überrannt und -mannt und an die Nagelbänke des Fockmastes bis an die Zähne gefesselt. Der Anführer im Treiben seiner beutegierigen Schurken hatte sich unter anderem auch meiner Taschenuhr bemächtigt, eben dieser, und mit sichtlichem Interesse hatte er, als er sie mir so Harm- als Wehrlosen entriß, noch eben den letzten Ton ihrer Anzeigung der letzten halben Stunde vor Wachwechsel Mitternacht gehört — wo sie bekanntlich nicht wie die Landuhren einen, sondern sieben Töne von sich gibt. Aber dieser ragend nußhäutige Halunke hatte nur eben noch den letzten Ton erhascht und — keineswegs ungebildeter als ein durchschnittlicher Beglü- und Zerstücker jener Kolonialgestade — gemeint, es handle sich um irgendeine Remontierkartoffel, wie sie die Mister Clerks der Gummiplantagen am Berloque trugen und die, wenn sie nicht allzuviel Whisky und Sun-downers mitgemacht, die übliche Tageseinteilung der Sandnieser und Kluddenpedder in zwomal zwöllef zu bebimmeln imstande war, insdes wir Männer von der See die Dreiteilung des Etmals belieben, dem dreiseitigen Auge des Weltenschöpfers zu Ehren, und weil es mit den Wachen besser hinkömmt.

      Dort, wo uns lückenlos der Himmel überspannt und wir den Boden unterm Fuße schaukeln fühlen ...

      wie der bart- und sturmumtobte Walt Whitmann rückhaltlos gesteht.

      Wohlan! Nun stand er vor mir, der teefarben gelackte Zampamhäuptling, meine Uhr in der Hand. Mir aber und meinen Leuten war je eine Schlinge um den Hals gelegt, indes man unsere Fesseln von den Nagelbänken, aber nicht von uns gelöst hatte. Und der Strick lief hübsch über eine Talje der Vormarsrah und von dort in die lauernde Faust je eines der willfährigen Mietlinge dieses Satans, bereit, auf den leisesten Augenzwink das Ende steif zu holen und für unsere Endgültigkeit zu sorgen. Uns war auch danach. Lächelnd stand der von Seide, Juwelen und Pistolen blitzende Archipelgeier also da vor mir und sagte freundlich, auf die Uhr blickend: „Wenn diese Uhr zwölf ausgeschlagen hat, fahrt ihr allesamt himmelauf wie jener Mann, von dem eure Missionare uns so merkwürdige Sachen weismachen wollen ...“

      Es waren noch genau zehn Sekunden, genau wie jetzt.

      „Sir“, warf ich plötzlich ein: „Ist das Euer Ehrenwort?“

      „Es ist es!“ antwortete er stolz, und man sah ihm an, wie er sich verächtlich weit über das erhob, was er als Ehrenwort von denen erfahren, die die Segnungen der sogenannten weißen Kultur nebst Monopolen seiner Heimat hatten zugute kommen lassen. Doch war keine Zeit, ihm seine Überheblichkeit zu rügen; denn in diesem Augenblick — pink pink — genau wie jetzt — begann die Uhr die volle Mitternachtsstunde anzuzeigen. Pink pink, pink pink, pink pink. Acht Glas. Aus.

      Der Anführer starrte aufs Zifferblatt, schüttelte es, lauschte noch einige Atemzüge. Schon zogen hinter uns die Kerls die Tampen an, so daß es uns finster an der Gurgel ruck- und juckte, und mein Quartermaster Kudas, der aus dem frommen Blankenese stammte, ein heiseres Stoßgebet von sich gab. Da — und ohne seine lächelnde Miene mehr als geboten verändert zu haben, befahl der Malayo, meine Stricke abzuzäumen. Dann trat er auf mich zu, wohl wissend, daß meine Gelenke zu drangsaliert waren, um ihm den Garaus zu machen, reichte mir die Uhr zurück und sagte: „Mein Ehrenwort war, Euch beim zwölften Schlag dieses Nürnberger Eies ins Jenseits zu hissen. Es ist faul, das Ding. Vielleicht auch hat der Mann, mit dem Eure Missionare so dick tun, den Finger darauf gehalten. Wie dem auch sei, faules Ei, Ihr seid frei!“

      Damit salutierte er schneidig wie nur je ein Frega- oder gar Korvettenkommandant, pfiff seinen Gesellen, und im Hui waren sie über Seite und in ihren, von erstklassigen Mobilmotors getriebenen Bambusschuten davon samt der im übrigen keineswegs im Stich gelassenen Gesamteinrichtung meines Orlogschiffes.

      Wie denn auch wir diese löbliche Runde nicht verlassen wollen, ohne doch, so radi- als ratzekahl, das mögliche erschöpft zu haben.

      N.d.P., meine Herren — na, dann Prost!“

      Die gläserne Boje

      „Ahoi!“ rief der Admiral von und zu Rabums, und so war es unentwegt. Er griff in seinen Rirarauschebart, als gelte es, ein seestiefeldickes Ankertau mit bloßer Hand zu kappen. Doch sein Blick streifte liebevoll die bastumwundene Flasche, die eben noch einmal die dampfenden Gläser bis zum Rande füllte, und wie ein Zephir glitt seine Stimme, gewürzt vom Hauche des zuckerrohrbürtigen Rums, über den Stammtisch zur Duftenden Kompaßrose.

      „Bojen“, begann er, „Bojen, meine Herren, rechnen zu den Wegweisern der Gewässer; sie sind gleichsam die Blumen der See, die der Mensch

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