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Fluß bei Alleppey, nein. Viele Flüsse verschwinden, weit, weit im Land, im Boden. Einfach weg wie bei Geistern.“

      Die Zwillinge starrten einander ungläubig an, stellten die gleiche Frage noch einmal und erhielte die gleiche Antwort.

      „Schlamm geht durch unsichtbare lange Höhlen. Pflanzen faulen, fallen auseinander, auch mit Wasser weggerissen. Langer Weg unter Meer. Hier viele Löcher. Hier wieder ins Meer, verstehn?“

      Dan wollte unterbrechen und wissen, wie das Kauderwelsch zu übersetzen war, aber Hasard drängte.

      „Und das Öl?“

      „Unter Sand ist Schicht. Öl schwimmt auf Wasser. Sand reibt Öl aus dem Boden. Fische lieben Öl, ich viele fangen. Wir alle viele fangen. Immer Öl von unten nach oben.“

      „Ganz sicher? Du lügst uns nicht an?“ rief Jung Hasard und schüttelte ungläubig den Kopf.

      „Warum ich lügen? Ihr kauft doch keinen Fisch. Guter Fisch, schön groß und frisch. Ihr nicht wollen?“

      „Wir werden krank“, übersetzt Philip junior, „wenn wir Fisch essen. Schwarzer Tod in Alleppey?“

      Mit dem Ruderblatt versuchte der Rudergänger, das Heck ein wenig zu drehen. Die Segel vollführten in den nächsten Sekunden einen ziemlichen Lärm. Gerade konnten sie noch die Antwort verstehen, dann legte die Schebecke nach Backbord über.

      „Schwarzer Tod kam und ging. Nicht viele Tote. Wir Glück gehabt. Shiva war gnädig.“

      Die Zwillinge winkten und bedankten sich lautstark. Der Fischer blickte ihnen nach, bis die Schebecke wieder auf dem alten Kurs lag und Fahrt aufnahm. Dann versuchten die Zwillinge, ihren Kameraden zu berichten, was sie selbst nur unter Schwierigkeiten zu glauben vermochten. Aber je länger sie sprachen, und als sich auch Old Donegal und Hasard einmischten und Erklärungen versuchten, wurde deutlich, daß es sich nicht um Seemannsgarn oder Märchen vom Vogel Rock und seinen öligen Eiern handelte.

      „Von Wasserläufen, die im Boden versickern und irgendwo anders wieder auftauchen, habe ich schon gehört“, erklärte der Seewolf schließlich. „Aber das würde eine Art Süßwasserquellen oder Brackwasser im Meer bedeuten.“

      Hasard junior hob die Hand. „Ich denke, daß die Pflanzenteile und all das andere Zeug ein Beweis sind. Nur mit dem Öl, das kann ich nicht glauben.“

      „Schau aufs Wasser, dann mußt du es glauben“, warf sein Bruder ein.

      „Erdpech“, sagte Hasard. „Wahrscheinlich liegt unter dem Schlick eine dicke Schicht Erdpech. Und die löst sich langsam auf. Ihr wißt, daß man nicht viel Öl braucht, um die Wellen zu beruhigen.“

      Dan zuckte mit den Schultern und fuhr ratlos durch sein windzerzaustes Haar.

      „Es muß eine mächtige Schicht sein“, meinte er. „Vielleicht läuft das Erdpech auch ständig nach, durch irgendwelche Sprünge oder Höhlen, oder was weiß ich.“

      Er schaute sich um, nickte dem Seewolf zu und verholte unter Deck, um die Eintragungen in seinen Karten zu verbessern. Für ihn war das Geheimnis so gut wie gelöst. Eine weitere Seltsamkeit im Land der Inder.

       2.

      Kumaragupta hörte, wie der Hund knurrte und dann ein heiseres Bellen ausstieß. Er zuckte zusammen und fluchte, dann dämmerte ihm eine schreckliche Ahnung. Entweder schlichen Mörder oder Diebe ums Haus – oder es war dieser Bringer des Unglücks, der von Kali dreimal verfluchte Bahadur Charan, der nicht eine lausige Rupie im Gürtel hatte und es wagte, seine lüsternen Augen auf Sayida zu richten.

      Kumaragupta sprang auf. Der Hocker fiel klappernd um, die Münzen, die Waage und die Kästchen, mit kostbarer Einlegearbeit verziert, klirrten und kippten auf die Tischplatte.

      „Dieser Höllenhund!“ keuchte der dicke Kaufmann und sprang zum Fenster. Er starrte wütend hinunter in den Innenhof, der von drei blakenden Öllämpchen schwach beleuchtet war. In der Mitte des kleinen Vierecks stand der Hund, zerrte an der Kette und knurrte in die Richtung des Durchganges zur Straße.

      „Wer ist da?“ schrie Kumaragupta. Seine Stimme überschlug sich. Er glaubte, leichte Schritte zu hören. Das konnte nur Sayida sein.

      „Keiner gehorcht mir“, keuchte Kumaragupta, riß an seinem Turban und schrie dann: „Thapa! Wo bist du? Einbrecher treiben sich herum. Uday! Komm her!“

      Tauben gurrten erschreckt, der Hund fing zu kläffen an, irgendwo kicherte jemand, aber die Diener rannten nicht herbei. Der Wachhund hörte nicht auf zu knurren und zu bellen.

      Auch die Nachbarn rührten sich nicht. Wahrscheinlich schliefen sie alle. Oder sie wollten sich nicht darum kümmern, ob er beraubt oder grausam ermordet wurde. Der Kaufmann dachte an sein Geld, an die Ehre seiner Familie und die Unschuld seiner Tochter. Wo war ihre Mutter, bei der blutigen Kali?

      Er drehte sich um, seine Augen huschten durch das Zimmer. Er sah nichts, das er als Waffe gebrauchen konnte, um den Eindringling zu vertreiben. Wenn es Charan war, dann genügte … Er bückte sich, zerrte unter der Liegestatt eine flache Kiste hervor und wühlte darin.

      Er fand einen langen, rostigen Säbel und die Peitsche, die er einmal auf der Karawanenstraße gebraucht hatte. Seine Aufregung war größer als die Angst, und aus dem Inneren des Hauses glaubte er gefährliche Geräusche zu hören.

      „Wo ist diese schamlose, ungehorsame Tochter?“ zischte Kumaragupta und riß den Säbel an sich. Er rannte im Zimmer hin und her, halb kopflos, klappte die Geldtruhe zu und lief dann mit klappernden Pantoffeln die Lehmziegeltreppe hinunter.

      Wo steckten die dreimal von Shiva gestraften Diener? Niemand ließ sich hören, keiner war zu sehen. Nur die flackernden Flammen der Lämpchen brachten zusammen mit den zitternden Schatten Bewegung in die Stille um Mitternacht. Der Hund knurrte noch immer.

      Kumaragupta stieß die knarrende Tür auf und war mit fünf Schritten bei seinem Kettenhund. Er hob den Säbel und blickte sich wild um. Der gemauerte Eingang mit dem verzierten Rundbogen lag im tiefen Schatten.

      Zögernd richtete er seine Schritte darauf und rief: „Zeig dich, du Feigling!“

      Nichts geschah. Wieder wagte der Kaufmann ein paar Schritte. Jetzt spürte er wieder seine fünfzig Jahre und das Fett seines Körpers. Kurzatmig ging er bis zum Türbogen und hielt mit zitternden Fingern den Säbel mit der ausgestreckten Hand vor sich hin. Die Spitze beschrieb in der Dunkelheit kleine Kreise. Hinter ihm, vor den Fenstern, klapperten Läden.

      Ein harter Schlag traf die Waffe und prellte sie ihm aus den Fingern. Klirrend fiel sie auf den festgestampften Lehm. Dann packte eine Hand das Hemd des Kaufmanns, drehte es zusammen und schob den Mann rückwärts zurück in den Hof.

      Als Kumaragupta erkannte, wer ihn bedrohte, keuchte er ein paarmal und fauchte: „Kein Einbrecher also! Natürlich Bahadur Charan, der Soldat der Stadtwache.“

      „Ja. Ich will mit deiner Tochter sprechen.“

      Bahadur ist so jung und schlank, schwarzhaarig und gutgläubig, wie ich vor dreißig Jahren, dachte der Hausherr verzweifelt. Aber seine einzige heiratsfähige Tochter sollte einen reichen Mann haben. Er wußte längst, wer es sein würde.

      Er zerrte an dem kräftigen Handgelenk, und Bahadur lockerte seinen Griff. Der Kaufmann stolperte rückwärts und trat den Hund. Das Tier jaulte auf und schnappte nach seiner Wade.

      „Du wirst mit niemandem sprechen. Auch nicht mit mir!“ fuhr der Kaufmann den anderen an. „Sieh zu, daß du verschwindest.“

      Der Schmerz in der Wade ließ den weißhaarigen Inder wütend werden. Jetzt gelang es ihm, die Hand wegzureißen. Wie zwei Kobras, die ihre Köpfe hoch aufgereckt haben, standen sie sich gegenüber und starrten sich haßerfüllt an.

      „Ich sage dir, du sollst verschwinden!“ rief der Kaufmann und stieß den aufgeregten Soldaten gegen die Schulter.

      „Warum?

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