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„Weiß der Kuckuck, Ballin“, sagt er: „Mister Cassel muß Sie tatsächlich gekannt haben.“

      *

      Die drei Töchter des Tuchhändlers Rauert waren als blonde Hamburger Schönheiten stadtbekannt. Zwei hatten früh geheiratet, die Älteste, Bertha Maria Georgine, in gute kaufmännische Verhältnisse am Ort, Johanna, ein Jahr jünger, nach Argentinien, wo ihr Mann große Estanzien besaß. Die Jüngste, Marianne, hatte sich noch nicht entschließen können.

      Das Kleeblatt war wieder einmal beisammen: Johanna, von jenseits des Atlantik auf Besuch gekommen, nahm die Gelegenheit wahr, im großen Tuchlager des Vaters Stoff für ein neues Reisekostüm auszusuchen. Die Schwestern assistierten. Marianne, bereits im Achtundzwanzigsten, hatte verständlicherweise von den beiden unter der Haube Befindlichen einiges auszuhalten. Vater Rauert, mit stolzgeschwellter Brust, den glänzenden Blick auf seine geliebten „Drei Grazien“ gerichtet, ließ es sich nicht nehmen, Ballen über Ballen vom feinsten Cheviot, Homespun, Cord und Tweed mit dem suggestiv-eleganten Schwung des gelernten Textilmannes auf dem Tresen zu entrollen. Er war eine stattliche Erscheinung, gerade sechzig, ein Holsteiner Typ, an der Lübecker Bucht geboren, einer der überzähligen Bauernsöhne, die, magisch in den Sog der Großstadt gezogen, dort entweder lautlos zermahlen und verbraucht werden oder es zu Ansehen und Vermögen bringen. Er besaß etliche schöne Häuser am Jungfernstieg und den Colonnaden in der teuersten Lage. Der Handel mit englischen Stoffen, darin er als Laufbursche begonnen, war ihm zum Segen gereicht. Seine Töchter galten als gute Partien. Gerade das aber hatte Mariannens Mißtrauen gegen alle bisherigen Freier wachgehalten.

      „Denen ging’s ja nur um Papas Mitgift!“ unterbrach sie kühl, als Johanna die Namen der Abgewiesenen mit spitzen Lippen nachkostete.

      „Laßt mir mein Mariannchen in Frieden“, meinte behaglich der Vater. „Wo ich aufgewachsen bin, in Cismar, da steht das alte Benediktinerkloster, das ihr kennt. Das werd’ ich ihr schenken, sobald sie dreißig und noch immer Nönnchen ist. Alsdann mag sie eine Herde Stiftsdamen um sich versammeln und protestantische Äbtissin werden wie Ihre Magnifizenz zu Hamburg im Johanniskloster.“

      Marianne lachte mit den anderen, wurde aber doch rot, als sie fragte: „Kann ich statt Stiftsdamen nicht lieber Kinder nehmen?“

      „Gewiß, Liebling, aber nur, wenn’s deine eigenen sind und dein Mann als Klosterpförtner angestellt ist.“

      Marianne küßte den Papa mit komischem Ernst auf die Stirn: „Also gut, Herr Rauert, ich will den Portier vom ‚Europäischen Hof‘ fragen, ob er bei dir Schwiegersohn werden will.“

      „Samiel, hilf, das ist ja ein Neger!“ schrie der Tuchhändler entsetzt. Da stimmten die übermütigen Gattinnen Bertha und Johanna für die Jungfrau Marianne eins von jenen Liedchen an, wie sie zwischen den Tingeltangels von Sankt Pauli und Sao Paulo aus dem Ozean emportauchen:

      Weit fährt ein Schiff

      übers Meer, übers Meer.

      Da steh’ ich an Bord,

      und ich warte so sehr.

      Wann sind wir denn da,

      hallo, Kapitän,

      in dem Hafen der Liebe

      vor Anker zu gehn?

      Oho!

      Da kam ich nach drüben, oho!

      Da standen drei Männer, oho!

      Der eine war blond,

      der andere war braun,

      der dritte war schwarz

      wie die Nacht anzuschaun.

      Oho, oho, oho!

      Sag’, warum liebst du mich so?

      Sie hatten unterdes fleißig unter den Bergen von Stoff gewühlt und dies und das, was ihnen gefiel, der zu guter Letzt einfallenden Marianne – ohne sich selber dabei zu vergessen –, in flüchtiger Drapierung angehalten, wobei sich alle drei vor einem riesigen Spiegel hin und her drehten.

      Modealben wurden aufgeschlagen, deren rundliche Figuren teils die gluckhennenhafte Linie des „Cul de Paris“ zeigten, teils die Wespentaille der Zukunft mit Röcken ohne Schweller und einer ersten Andeutung von Puffärmeln.

      Endlich hatte Bertha einen weichfallenden Wollstoff in Zeisiggrün gefunden, der ihr anstand. Vater Rauert atmete auf und seufzte zugleich, da sich alsbald eine Flut weiterer Wünsche über ihn ergoß, die es unwiderstehlich auf die nötigen Jupons abgesehen hatten. Sie tänzelten selbdritt in die hinterste Ecke des Lagers und zogen eigenhändig die schmaleren Kartons hervor. Nun ertrank der Ladentisch in einer fürstlichen Flut knisternder, regenbogenfarben schillernder Tafte, Foulards, Chiffons und Moirees. Herr Rauert kostete mit der ganzen Routine des gewiegten Importeurs seinen Kommentar über Herkunft, Güte und Eigenart aus. Doch, da er Marianne sich verzückt über ein leuchtendes Seeblau beugen sah, fiel ihm etwas anderes ein.

      „Vielleicht“ – er ließ genießerisch zögernd die Frage auf der Zunge zergehen –, „vielleicht ist da noch ein tieferer Grund, daß unser Nesthäkchen so wählerisch ist. Bei diesen majestätischen Stoffen müßtet ihr selbst daraufkommen, Kinnings. Insonderheit bei diesem unwahrscheinlichen Blau. Erinnert ihr Süßen euch noch an Helgoland?“

      „Ich hab’s!“ triumphierte Johanna: „Ein Prinz muß es sein!“

      „Ein Prinz, ein Prinz!“ jubelte Bertha und klatschte in die schon hausfraulich pummeligen Hände.

      Marianne lief an wie ein Borsdorfer Apfel im Oktober. Es war lange her, da hatten sie zu dritt „Räuber und Prinzessin“ mit wirklichen Prinzen gespielt, mit den Enkeln vom alten Kaiser, Willy und Heinrich. Die waren damals noch klein, aber namentlich Willy, ziemlich keck trotz des kurzen linken Arms; er hatte Mariannens gelöstes Haar, das schon damals bis zu den Füßen gereicht, wie einen Strick gepackt und geschrien, sie sei seine Gefangene und er wolle sie heiraten.

      „So ist das!“ kicherten die Schwestern.

      „Und dann sind sie beide ins Wasser gefallen“, lächelte der Papa.

      „Und Willy hat die Aujuste Victoria von Glücksburg geheiratet“, versetzte Johanna.

      „Die unserer Marianne übrigens merkwürdig ähnlich sieht und sogar ebenfalls etwas älter ist als Willem“, fügte Bertha hinzu.

      „Eine Hanseatentochter hat keinen Prinzen nötig!“ resümierte der Vater und lauschte auf das Läuten einer fernen Klingel. „Das Telefong“, rief er und eilte ins „Comptoir“, in eine abgeteilte ferne Ecke des Raumes, die sogar – für etwaige vertrauliche Zollfragen vielleicht – eine Polstertür aufwies, dahinter denn neben dem Geschäftspult und dem Kassenschrank und dem gerahmten Steindruck wild qualmender Elberfelder Spinnereischlote der ominöse Kasten an der Wand hing, mit dem das Zeitalter des Geschwätzes unsichtbarer Partner begann, indes in vorliegendem Falle ökonomischerweise die Dreiminutengebühr nicht überschritten wurde.

      Die Damen, sich überlassen, wühlten stumm in den chinesischen, Lyoner und Krefelder Geweben. Dann entschied Johanna: „Bitte, jetzt nehmen wir gleich Maß!“ Sie schlüpfte aus dem faltenreichen Kleid und den Leinenröcken darunter und stand nun in langen weißen, spitzenbesetzten Unaussprechlichen da.

      Wie aus der Versenkung tauchte in diesem Moment plötzlich ein junger Mensch auf. Mit halb ersticktem Aufschrei gelang es Bertha gerade noch, die Schwester in eine Woge schimmernden Seidenripses zu hüllen.

      Marianne hatte eben verträumt vor sich hingeflüstert: „Aber wenigstens blond muß er sein.“ Jetzt trat sie beherzt hervor und seufzte: „Womöglich ein Kunde.“

      Der Fremde, hinter seinen leicht beschlagenen Zwickergläsern zwinkernd – er schien kurzsichtig zu sein –, trug ein Päckchen Wollstoffmuster in der Hand. Er verbeugte sich unter Entschuldigungen und wollte sich zurückziehen.

      „Was wünschen Sie denn?“ frug Marianne.

      „Man sagte mir, der Chef sei hier oben. Ich bin angemeldet

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