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Geist des Llano Estacado zu sehen glaubten. Kurz bevor ich ankam, bildete eine fremdartige Lichterscheinung einen gewaltigen Halbkreis am südlichen Himmel. Da, wo der Bogen dieses Halbkreises links auf dem Himmelsrand lag, tauchte jetzt plötzlich die Gestalt eines riesigen Reiters auf. Das Pferd war schwarz, der Reiter weiß. Er hatte die Gestalt eines Büffels. Man sah ganz deutlich den Kopf mit den beiden Hörnern, den Nacken mit der struppigen, halblangen Mähne, die hinterherflatterte. Die Gestalt verschwand so plötzlich, wie sie erschienen war, und der Lichtschein verblasste wieder. Als ich mich noch mit meinen Kameraden unterhielt, wurde er plötzlich wieder heller und lief wie an einer Funken sprühenden Lunte immer weiter nach Westen. Ganz links, da, wo das Bild begann, kam ein Reiter aus dem Dunkel hervor, derselbe von vorhin, mit einem Büffelfell bekleidet, aber in verkehrter Stellung, mit dem Kopf nach unten. Da ließ sich ein zweiter Reiter sehen, der dem ersten nachjagte. Hinter der letzterwähnten Gestalt folgten jetzt noch fünf oder sechs Reiter. Gewiss war der vorderste Reiter der sogenannte Geist des Llano Estacado, der von den anderen verfolgt wurde. Wir mussten ihm zu Hilfe kommen, weshalb wir den Gestalten entgegenritten. Nach etwa zwanzig Minuten sahen wir mehrere dunkle Punkte auf uns zukommen, die sich gegen den feurigen Hintergrund abzeichneten. Wir stiegen von den Pferden und duckten uns in einer Sandmulde. Der erste Reiter trug den Schädel eines weißen Büffels auf dem Kopf, von wo das zottige Fell weit über die Kruppe des Pferdes herunterhing. Sein Gesicht steckte so tief im Schädel, dass es nicht zu erkennen war. Ich rief ihm zu, dass ich Old Shatterhand sei und ihn beschützen wolle. Er bedankte sich, ritt aber weiter. Als die zweite Gestalt herankam, holte ich sie mit dem Lasso aus dem Sattel. Die anderen ‚Llanogeier‘ wurden von meinen Kameraden durch Schüsse auseinandergetrieben. Es war Stewart, der ‚Kavallerie-Offizier‘, den ich gefangen hatte, und Eisenherz erkannte in ihm den Mann, der seinem Vater in den Leib geschossen hatte, woran der Häuptling gestorben war. Eisenherz wollte mit ihm kämpfen, wobei beide nur mit einem Messer bewaffnet auf ihren Pferden davonritten. Nach einiger Zeit kam Eisenherz zurück, das Pferd seines Feindes am Zügel führend. An seinem Gürtel hing ein frischer Skalp. Danach richteten wir uns für ein kurzes Nachtlager ein.

      Freitag, 7. Oktober 1864:

      Wir waren seit zwei Tagen nach Süden durch den Llano Estacado unterwegs. Wir folgten einer tief in den weichen Sand getretenen Fährte, und zwar der Spur der Wüstengeier, die vor der Karawane herritten, um die Pfähle auszureißen und in falscher Richtung wieder in den Sand zu stecken. Da tauchte vor uns ein Reiter auf, ein einzelner Mann. Es war Bloody-Fox, ein kaum dem Knabenalter entwachsener Jüngling. Er bat uns um schnelle Hilfe für einen Zug von Auswanderern, meist Deutschen, die höchstwahrscheinlich noch heute Nacht von den ‚Geiern‘ überfallen werden sollten. Während wir weiter ritten, erzählte er uns, dass er auf über dreißig ‚Geier‘ gestoßen sei, wovon er zwei erschossen habe. Er gestand mir, dass er der ‚Avenging-ghost‘, der ‚Geist des Llano Estacado‘ sei und uns später mit in sein ‚Geisternest‘ nehmen wolle, das er bisher immer geheim gehalten habe. Eben als die Sonne unterging, erreichten wir die Wagenfährte, der wir nun gerade nach Süden folgten. Als wir ungefähr eine Stunde geritten waren, erblickten wir im Mondlicht eine Wagenburg. Man hatte die Wagen so zusammengeschoben, dass kein Reiter hindurchkonnte. Ein Mann kam herbei und lehnte sich über die Deichsel. Es war Tobias Preisegott Burton, der angebliche Mormonenmissionar. Er floh aus der Wagenburg und wir ließen ihn reiten, denn eine Verfolgung in der Nacht war fast aussichtslos. Der Anführer der Auswanderer, die alle Deutsche waren, erzählte uns, dass sie wahrscheinlich von ihrem Führer, jenem angeblichen Mormonen, in die Irre geleitet worden seien und kein Wasser mehr für sich und die Zugochsen gehabt hätten, weil ihre Wasserfässer angebohrt wurden. Nach kurzer Zeit stand ein Reitertrupp vor der Wagenburg. Zu meinem Erstaunen war es Winnetou mit Vater und Sohn Baumann, die ihn auf seine Einladung hin bei den Mescaleros besucht hatten, sowie vier fremde Männer und zwanzig Komantschen. Die Wagenburg wurde erweitert, und die Komantschen verteilten ihr Fleisch und auch das Wasser, das sie mit sich führten, unter die Auswanderer. Winnetou erzählte mir, dass er, als er mit den beiden Baumanns durch den Llano Estacado geritten war, vier Westmänner und zwei Mexikaner getroffen hatte und die Komantschen zu ihnen gestoßen seien. Die beiden Mexikaner waren geflohen, als sie von den Komantschen als ‚Llanogeier‘ enttarnt wurden. Daraufhin ritt man ihnen nach und stieß dabei auf das Lager der ‚Geier‘, in dem sich aber niemand mehr befand, doch man war deren Spuren gefolgt und hatte nach Einbruch des Abends den Platz, wo die Wüstengeier lagerten, entdeckt. Sie machten einen Bogen um das Lager der ‚Geier‘ und folgten im spärlichen Mondlicht Burtons Spur zurück, bis sie an die Wagenburg kamen. Wir beschlossen, dass Bloody-Fox sofort mit zehn Komantschen zu seinem ‚Geisternest‘ aufbrechen sollte, um die ‚Geier‘, die wir dort hintreiben wollten, in Empfang zu nehmen. Dann herrschte tiefe Ruhe rundumher.

      Samstag, 8. Oktober 1964:

      So verging die Nacht. Langsam wurde es heller, und nun sahen wir die Pfahlmänner zu Pferd im Galopp herankommen. Über dreißig Schüsse krachten. Die Schar der Angreifer bildete augenblicklich einen wirren Haufen. Tote und Verwundete stürzten von den Pferden. Die herrenlos gewordenen Tiere rannten weiter. Die anderen wurden von ihren Reitern zurückgerissen und jagten fliehend nach Süden. Ihrer waren freilich kaum noch über zehn. Ein Teil der Verfolger, mit Winnetou an der Spitze, ritt ostwärts, um dann nach Süden einzulenken und den Fliehenden den Weg dorthin zu verlegen, damit sie gezwungen seien, zwischen den beiden Kaktusfeldern einzubiegen. Ich eilte mit den anderen im Trab nach Süden, hinter den Wüstenräubern her. Nur Davy und Jemmy ritten eilig nach Südwesten, wo sie eine Kaktusfläche in Brand stecken sollten. Jahrelang hatten die papierdürren Kaktusreste dagelegen. Das gab einen Stoff wie Zunder. Die aufsteigende Hitze erzeugte einen Luftstrom, der immer stärker wurde und sich gar zum Wind erhob. Die Luft war glühend heiß; der Sand schien zu brennen. Droben begannen Blitze durch die Wolken zu zucken. Einzelne Tropfen fielen, dann mehr und immer mehr. Und jetzt regnete es wirklich, stärker, immer stärker, bis es schließlich goss wie bei einem tropischen Gewitter. Ich war überzeugt, dass die Auswanderer alle verfügbaren Gefäße herbeiholten, um sie sich füllen zu lassen, und die fast verschmachteten Ochsen wieder Leben bekamen. Von den gejagten ‚Geiern‘ waren nur noch drei übrig, von denen zwei an Eisenherz vorübermussten. Er erkannte sie, die bei der Ermordung seines Vaters beteiligt gewesen waren. Zwei Schüsse, und sie stürzten von den Pferden. Indessen jagte Bloody-Fox den Anführer Burton vor sich her bis vor die Hütte. Dort brach das Pferd des Räubers zusammen und Burton flog aus dem Sattel. Seine Augen blickten starr und gläsern, er hatte sich den Hals gebrochen. Bloody-Fox aber hatte in dem Toten den Mörder seiner Eltern erkannt. Jetzt kamen auch wir herbeigestürmt, während Fox sein Pferd bestieg und zurückritt, um sein zuvor verlorenes Büffelfell aufzunehmen und es wieder über Kopf und Schulter zu hängen. Alle, außer mir, waren ungemein erstaunt, als sie Bloody-Fox nunmehr in dem weißen Fell erblickten und in ihm den sagenhaften Geist des Llano erkannten. Auch Bob war mit in das ‚Geisternest‘ gekommen. Da kam eine Schwarze auf ihn zu, die ‚Haushälterin‘ von Bloody-Fox, und sprach mit ihm. Dann fielen sich beide in die Arme, denn es stellte sich heraus, dass Bob ihr Sohn war, der als Sklavenkind von Tennessee nach Kentucky verkauft worden war. Hier hatte er endlich seine Mutter Sanna wiedergefunden, die er immer gesucht hatte. Die Geier waren besiegt, und die Auswanderer wurden herbeigeholt. Bloody-Fox war der Held des Tages. Er musste seinen seltsamen Lebenslauf ausführlich erzählen, und er sprach den festen Entschluss aus, für immer hierzubleiben, um den Llano von den ‚Geiern‘ rein zu halten. Sanna und Bob erklärten, ihn nicht verlassen zu wollen.

      Sonntag, 16. Oktober 1864:

      Die Komantschen und die vier anderen Männer brachen schon nach zwei Tagen auf. Wir anderen aber blieben gut eine Woche als Gast bei Bloody-Fox. Hobble-Frank wollte mit den beiden Baumanns wieder zum Haus des ‚Bärenjägers‘; der Dicke Jemmy und der Lange Davy hatten andere Pläne. Die Auswanderer wollten nach Arizona hinüber. Winnetou und ich würden sie bis an den Rio Pecos begleiten,7 dann wollten wir nochmals hinauf zu den Schoschonen, die uns im Sommer zur Herbstbüffeljagd eingeladen hatten. Als wir uns von Bloody-Fox verabschiedeten, mussten wir ihm versprechen, ihn unbedingt zu besuchen, falls wir wieder in den Llano Estacado kämen.

      Dienstag, 29. November 1864:

      Bei den Schoschonen waren wir auch mit Amos Sannel, einem alten biederen Pelzjäger zusammen gewesen, der ein ganz seltenes Gewehr aus der Werkstatt von ‚Ralling,

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