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anbelangte, das Blaue vom Himmel. Aber es war unübersehbar, daß die Engländer mit der Zeit die Luftüberlegenheit gewinnen würden, womit sie den »Seelöwen« nicht mehr zu fürchten brauchten.

      Bisher war die deutsche Befehlsgebung zerfahren gewesen, unkoordiniert, sprunghaft. In der zweiten Phase der Schlacht um England wurde ein neue Taktik erprobt: Kleine Kampfverbände griffen unter starkem Jagdschutz sorgfältig ausgewählte Ziele an, und das waren in erster Linie die Sector Stations, die Jägerleitstände rund um London: Kenley, Biggin Hill, Hornchurch und Northweald. Wenn das Fighter Command seine E-Häfen noch weiter nach hinten verlegen mußte, drohte ihm der Verlust der kurzen Anflugwege; wenn die deutschen Angriffe mit gleicher Heftigkeit weitergeführt würden, konnte die Luftwaffe voraussichtlich binnen einer Woche die Luftherrschaft wieder erringen.

      Churchill erkannte es.

      Kurz zuvor waren ihm vom US-Geheimdienst Berichte zugespielt worden, daß Hitler ungemein heftig auf die in ihrer Auswirkung eher lächerlichen Bombenangriffe der Briten auf Ziele in Deutschland reagierte.

      In der Nacht zum 25. August waren einige versehentlich geworfene deutsche Bomben auf das Londoner Stadtgebiet gefallen. Göring drohte, die Besatzungen vor das Kriegsgericht zu bringen. Churchill, niemals zimperlich, sah jetzt eine Rechtfertigung für einen Gegenschlag: Er brachte 81 Wellington- und Hampden-Bomber für einen Angriff auf Berlin zusammen. Niemand konnte sagen, wie sie die 2000 Kilometer lange Reise überstehen würden. Aber Churchills Spekulation war, daß der Hysteriker Hitler, wenn auch nur einige Bomben auf die Reichshauptstadt fielen, sofort Vergeltungsangriffe auf London anordnen und dadurch die schwer angeschlagenen Jägerleitstände entlasten würde.

      Der 25. August, ein Sonntag, war ziemlich bewölkt, so daß die zu dieser Zeit ohnedies mangelhafte Navigation noch erschwert wurde. Nur 29 englische Maschinen kamen überhaupt in die Nähe Berlins; nur einige kreisten über der Stadt und warfen insgesamt 22 Tonnen Bomben auf ihre nördlichen Vororte.

      Am nächsten Tag heulten die Sirenen wieder.

      Diesmal gab es zwölf Tote und achtundzwanzig Verletzte.

      Hitler ging sofort in Churchills Falle: Er ordnete den Zielwechsel seiner Geschwader nach London an.

      Das Invasionsheer für die Insel, die seit Wilhelm dem Eroberer im Jahre 1066 kein Feind mehr betreten hat, steht bereit. Trotz aller Bedenken hat die Kriegsmarine den nötigen Schiffsraum zusammengebracht. In Calais spielt sich ein Herr Dix auf, als sei er bereits der für Großbritannien ernannte höhere SS- und Polizeiführer. Er führt eine Liste mit den Namen von mehr als zweitausend Engländern mit sich, die sofort nach der Besetzung der Insel verhaftet werden sollen. Tausende von Plakaten, die vorsorglich gedruckt wurden, fordern die Briten in ihrer Sprache unter Androhung von Strafe auf, sich gegenüber den deutschen Besatzungstruppen loyal zu verhalten. Es fehlt nur noch gutes Wetter und der von Göring immer wieder zugesicherte, lückenlose Luftschirm, unter dem der Seelöwe über Südenglands Steilküste springen soll.

      »Die Planungen und Vorbereitungen gingen weiter, und das belagerte England mußte mit ansehen, wie der von Hitler beherrschte Kontinent sich für die Feuerprobe rüstete«, schreibt in seinem Buch »Große Schlachten des Zweiten Weltkriegs« der US-Autor Hanson W. Baldwin. »Anfang September 1940 hatte die deutsche Admiralität 168 Transportschiffe von insgesamt 700 000 Tonnen sowie 1910 Kähne, 419 Schlepper und Trawler und 1600 Motorschiffe bereitgestellt und bereits begonnen, diese Flotte nach Süden in die Kanalhäfen von Rotterdam bis Le Havre zu verlegen. Nach vielen Zwistigkeiten und scharfen Auseinandersetzungen zwischen den einzelnen Wehrmachtsteilen entwarf Hitler einen Kompromißplan, dem zufolge in einem ersten Ansturm 90 000 Mann in breiter Front zwischen Folkstone und Bognor an Land gehen sollten. Die 16., 9. und 6. Armee – 13 Divisionen für den Angriff, 12 als Reserve – sollten den Kanal überqueren, die Ufer stürmen und England erobern.«

      Die Engländer erkennen die Gefahr.

      »Die R.A.F. greift die vollgestopften Häfen Vlissingen, Ostende, Dünkirchen, Galais und Boulogne an«, schreibt Janusz Piekalkiewicz, »wo über 1000 Flußkähne für die Operation ›Seelöwe‹ bereitliegen und noch einmal 600 weitere flußaufwärts bei Antwerpen. Allein in der Nacht zum 13. September werden im Hafen von Ostende 80 Binnenschiffe versenkt. In der Nacht vom 14. auf den 15. September 1940 wiederholt die R.A.F. die Angriffe gegen Schiffsziele in den Häfen zwischen Boulogne und Antwerpen. Die Transportflotte für ›Seelöwe‹ erleidet besonders in Antwerpen schwere Verluste.«

      Der englische Geheimdienst schließt aus der deutschen Truppenkonzentration und aus der Berechnung von Mondlicht wie Flutverhältnissen, daß der Sturm auf die Insel in der zweiten Septemberwoche losgelassen werden soll. Dafür spricht noch ein weiteres Indiz: Reichsmarschall Göring, Oberbefehlshaber der Luftwaffe, kommt an die Kanalküste. Er steigt aus seinem mahagonigetäfelten Salonwagen »Asien«, bombastisch, eitel, bramarbasierend, seine kolossale Körperfülle in eine selbstentworfene Kreation in Weiß gepreßt; er nimmt grimmigen Gesichts mit erhobenem Marschallstab die Meldung entgegen. Der Mann, den das Jägeras des zweiten Weltkriegs (der spätere Inspekteur der Bundesluftwaffe, Johannes Steinhoff) »fett, faul und korrumpiert« nannte, heißt bei der Bevölkerung längst »Hermann Meier« – so wollte er heißen, wenn es auch nur einem Feindflugzeug gelänge, die deutsche Reichsgrenze zu überfliegen.

      Oberleutnant Michalski, Staffelkapitän im Jagdgeschwader 27, in einer zum Empfang des Reichsmarschalls kommandierten Offiziersgruppe, sieht die roten Saffianstiefel des schwammigen Eisernen, stupst seinen Nebenmann mit dem Ellbogen. »Da siehste, was draus wird, wennste mit ’ner Schauspielerin verheiratet bist«, albert er.

      Bis vor kurzem hatte zwischen dem Oberbefehlshaber und den Jagdfliegern ein unbedingtes Vertrauensverhältnis bestanden; es blieb während der Battle over Britain als erstes auf der Strecke. Der nächste Ausfall waren die berühmt-berüchtigten Stukas, sie mußten aus dem Kampf genommen werden, da sie unter R.A.F.-Schlägen vom Himmel gepurzelt waren wie Fallobst. Als nächster Posten stand die Me 110 auf der Verlustliste; statt als Langstreckenjäger die Kampfflieger zu begleiten, mußten die Zerstörer ihrer fehlenden Wendigkeit und zu langsamen Geschwindigkeit wegen selbst den Schutz von Me 109 anfordern.

      Auch die deutschen Kampfflugzeuge hatten bei der sich monatelang hinziehenden Luftschlacht keine Siegeschance. Mit zweimotorigen Bombern war höchstens ein Zehntel der Insel zu erreichen; es rächte sich jetzt, daß die Forderung des 1936 abgestürzten Generals Walther Wever nach der Entwicklung eines viermotorigen »Ural«-Bombers aufgegeben worden war.

      Diesmal nimmt sich Göring, sonst in viele Spielereien verstrickt, Zeit; er klappert die E-Häfen ab, drohend, jovial, lächerlich und gefährlich, ein Mann, »der wie eine Frau über die in aussichtslosen Unternehmungen erlittenen Verluste weinen konnte« (Herbert Molloy Mason). Göring taucht überraschend auf. Im Gefechtsstand des Jagdfliegerführers Oberst Theo Osterkamp findet er ein Schild mit der Aufschrift: »Welche Führung brauchen die Engländer, wenn sie den Krieg verlieren wollen?«

      »Osterkamp, das geht gegen mich«, fährt ihn der Reichsmarschall an. »Das kommt sofort runter!«

      Die miese Stimmung auf den E-Häfen ist auch für ihn unüberhörbar. Er hatte befohlen, daß die Jägerkommandeure ihre Gefechtsstände so nahe an die Küste zu verlegen hätten, daß sie den Kanal überblicken könnten. Während Göring über die Klippen des Cap Blanc Nez stapft, hört er Oberst Werner Junck maulen: »Ich werde mir einen neuen Gefechtsstand mitten im Kanal bauen. Bei Flut stehe ich bis zum Hals im Wasser, bei Ebbe stehe ich bis zu den Hüften im Wasser – aber ich werde dem Feind mitten ins Gesicht schauen.«

      In seinem Buch »Adlertag« berichtet der britische Autor Richard Collier über Hauptmann Heinz Bär, einen störrischen Sachsen, der vor Görings Augen von einer Spit abgeschossen worden war. »Ein Patrouillenboot hatte Bär aus dem Bach gefischt. Er wurde triefnaß und bis auf die Knochen frierend vor Göring geschleppt. Als der Reichsmarschall ihn wie ein leutseliger Onkel fragte, woran er denn eigentlich im Wasser gedacht habe, antwortete der Sachse ziemlich mißmutig: ›An Ihre Rede, Herr Reichsmarschall – daß England jetzt keine Insel mehr ist.‹«

      Schon im Morgengrauen des 7. September herrscht auf den nordfranzösischen E-Häfen der deutschen Luftwaffe

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