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dachte Dr. Vogel an Regine. Ob sie ihn schon vermißte? Oder ob sie ihn schon vergessen hatte und sich der Fröhlichkeit der Stunde hingab?

      Er ahnte es nicht. Er wußte überhaupt nur sehr wenig über ihr eigentliches Wesen. Darüber täuschte er sich nicht.

      Unwillkürlich warf er einen Seitenblick auf Kurt Eichner, sah das sensible, hochmütige Profil, das lackschwarze Haar. Auch er hatte Regine geliebt oder sich doch jedenfalls um sie beworben. Aber er hatte nie eine Chance gehabt. Dachte er zuweilen noch an sie? Arno Vogel hatte plötzlich das Gefühl, dem anderen etwas Gutes sagen zu müssen. »Regine hat es übrigens sehr bedauert, daß Sie heute abend nicht dabei waren«, log er, »ich glaube, sie war richtig enttäuscht, als Ihre Absage kam.«

      »Wirklich?« sagte der andere nur, und Dr. Vogel wußte nicht, ob Eichner die Lüge durchschaute oder ob er verbergen wollte, daß er sich geschmeichelt fühlte.

      In dem Augenblick, als sie sich trennten und Dr. Vogel die Tür zum Operationssaal öffnete, war alles vergessen. Von einer Sekunde zur anderen gab es nur noch das kranke Kind für ihn, das seiner Hilfe bedurfte.

      Schwester Marina saß bei dem Neugeborenen, Schwester Hilde hatte am Instrumentenschrank zu tun.

      Dr. Vogel schickte die Hilfsschwester mit den Gefäßen zur Blutabnahme zu Eichner hinüber und sagte dann zu Schwester Marina: »Bitte, legen Sie das Kind hier auf den Tisch. Ich möchte es untersuchen.«

      Er wusch sich gründlich die Hände, während die Schwester den kleinen Patienten auswickelte. Dann beugte sich Dr. Vogel über das Neugeborene, prüfte mit dem Stethoskop die Töne von Herz und Lunge. Die Auskultation ergab keinen Befund.

      Er tastete den Bauch des Kindes ab. Sofort spürte er die starke Vergrößerung von Milz und Leber.

      Die Untersuchung bestätigte ihm, was Eichner gesagt hatte. Nur ein vollkommener Blutaustausch konnte das Leben des Neugeborenen retten.

      Chefarzt Dr. Vogel richtete sich auf. »Danke, Schwester. Treffen Sie bitte alle Vorbereitungen zum Blutaustausch.«

      »Jawohl, Herr Chefarzt!«

      Das Neugeborene lag auf dem Operationstisch, winzig, nackt und hilflos im kalten, weißen Licht, das keine Schatten duldete. Es hatte die blinden Augen geschlossen, saugte, wie sein Instinkt ihm eingab, an dem Schnuller, den Schwester Marina ihm in den Mund gesteckt hatte. Es war ein hübsches Kind mit einem auffallend wohlgeformten Kopf. Wenn nicht die erschreckend dunkelgelbe Färbung gewesen wäre, hätte man es für gesund halten können.

      Schwester Marina mußte es immer wieder ansehen, während sie die Instrumente sterilisierte und auf einem mit sterilen Tüchern abgedeckten Tischchen bereitlegte. Es wirkte so verloren und ausgeliefert, noch nicht einen Tag alt und schon der Mutter entrissen. Statt Körpernähe mußten Wärmflaschen dazu dienen, es vor Auskühlung zu schützen.

      »Es ist süß, nicht?« fragte Schwester Hilde, die am Kopfende des Tischchens stand und das Kind beobachtete. »Die arme Mutter … Ob sie es schon weiß?«

      »Ich denke nicht.«

      »Ehrlich, Marina … glauben Sie, daß es zu retten ist?«

      »Ja«, sagte Schwester Marina ruhig.

      »Es ist doch so klein, so … zerbrechlich, noch kaum ein Mensch.«

      »Hilde … es ist ein Mensch, genau wie Sie und ich. Doktor Vogel wird es retten, ich bin ganz sicher. Wir haben schon Fälle gehabt, die noch schlimmer aussahen und doch gut ausgingen. Manchmal glaube ich …« Sie brach im Satz ab.

      »Sie arbeiten schon lange mit ihm zusammen, nicht?« fragte Schwester Hilde. »Wie lange eigentlich?«

      »Ein paar Jahre«, sagte Schwester Marina ausweichend.

      »Dann müssen Sie doch auch wissen, ob es stimmt …«

      »Was denn?«

      »Daß ihm nie ein Kind stirbt.«

      »Es gibt Fälle, wo keine Rettung möglich ist.« Schwester Marina sah ihre Kollegin ernst an. »Irgendwo setzt Gott auch dem besten Arzt eine Grenze.«

      »Also stimmt es doch nicht. Warum haben aber alle Mütter so besonders viel Vertrauen zu ihm?«

      »Sie müssen den Chefarzt bei der Arbeit sehen, dann wissen Sie es. Es kommt mir manchmal so vor, als wenn er seine ganze Kraft und seinen Willen auf das kranke Kind übertragen kann. Verstehen Sie?« Als wenn sie schon zuviel gesagt hätte, fügte sie hinzu. »Das klingt vielleicht übertrieben, aber …« Sie brach ab, denn die Tür wurde geöffnet.

      Dr. Vogel trat ein, gefolgt von Dr. Eichner.

      »Die Kreuzprobe ist in Ordnung«, sagte der Chefarzt, »wir können anfangen. Sind Sie soweit, Schwester?«

      »Ja, Herr Chefarzt.«

      Die beiden Ärzte traten in Hemdsärmeln zu dem großen Waschbecken, wuschen und desinfizierten sich. Danach schlüpfte Dr. Vogel in den Operationsmantel, den Schwester Marina ihm bereitgelegt hatte. Schwester Hilde kam, um ihn zuzubinden. Der Chefarzt trat zum Operationstisch. Behutsam deckte er das Kind mit sterilen Tüchern ab, so daß nur die Nabelgegend frei blieb.

      Er zog die Gummihandschuhe an.

      »Ich beginne jetzt mit dem Einführen des Katheters.«

      »Ja, Herr Chefarzt.« Schwester Marinas Stimme verriet gespannte Konzentration. »Die Spritze mit Vetren und die Dreiwegehahnspritze sind vorbereitet.«

      »Ich beginne.« Ohne hinzusehen nahm Dr. Vogel das schmale, schimmernde Skalpell, das Schwester Marina ihm reichte, schnitt mit einer einzigen raschen Bewegung ein Stückchen des Nabelschnurrestes ab.

      Die Nabelblutgefäße wurden sichtbar.

      Dr. Vogel nahm den Kunststoff-Katheter aus Schwester Marinas Hand, begann die Spritze behutsam in die Nabelvene einzuführen, schob sie tiefer und tiefer hinein. Er hielt erst inne, als ein dünner Blutstrahl aus dem Katheter schoß. Die Spritze war bis in die große Körpervene vorgedrungen.

      »Vetren, bitte.«

      Dr. Eichner reichte ihm die vorbereitete Spritze. »Hier, Herr Chefarzt.«

      Dr. Vogel injizierte vier Kubikzentimeter der gerinnungshemmenden Flüssigkeit durch den Katheter in die Körpervene des Kindes, gab die leere Spritze Eichner zurück.

      Schwester Marina reichte ihm das Anschlußstück der Dreiwegehahnspritze, Dr. Vogel schraubte es auf den Katheter. »Fangen Sie an, Schwester.«

      Marina übernahm die Spritze, begann langsam Spenderblut in die Körpervene des kranken Kinder zu injizieren.

      Dr. Vogel befestigte den Katheter mit Fäden. »Geben Sie her.« Er nahm Schwester Marina die Dreiwegehahnspritze ab. »Bereiten Sie Calcium vor.«

      »Ich habe schon zwanzig Kubikzentimeter Spenderblut eingespritzt«, sagte Schwester Marina.

      »Danke.« Dr. Vogel veränderte die Einstellung der Spritze, begann damit, aus der Körpervene des Kindes eine entsprechende Menge des kranken Blutes herauszuziehen, das in einem bereitgestellten Gefäß aufgefangen wurde.

      Schwester Marina hatte die Calciumspritze aufgezogen, gab sie Dr. Eichner.

      »Soll ich spritzen?« fragte der Arzt.

      »Calcium? Ja, ich bitte.« Dr. Vogel wandte nicht für eine Sekunde den Blick ab.

      Schwester Marina desinfizierte eine Stelle am Oberschenkel des Kindes. Eichner spritzte intramuskulär. Die Schwester desinfizierte wieder.

      Dr. Vogel hatte die Dreiwegehahnspritze abermals umgestellt, ließ jetzt wieder Spenderblut in die große Körpervene des Neugeborenen laufen.

      »Befinden des Patienten?« fragte er.

      »Gut«, sagte Schwester Marina. »Atmung und Puls normal.«

      Sie arbeiteten weiter, still, konzentriert, verbissen, der Chefarzt, Dr. Eichner

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