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wurde eine Schinderei ohnegleichen – sowohl für die Conquistadores als auch für die Eingeborenen und die Tiere: die Pferde, die Lastesel und Bluthunde … »Ave Maria, gratia plena …« Die Überquerung – vielmehr: das Schneisen-Freischlagen, das Sümpfe-Durchwaten, das Berge-Erklimmen – führte durch einen Dschungel, aus dessen geheimnisvollen Tiefen immer wieder vergiftete Pfeile auf den längst fiebersiechen Heerwurm niederprasselten. Hundertdreiundzwanzig der hundertneunzig Soldaten, die sich vor Wochen beutelüstern aufgemacht hatten, waren inzwischen schon tot.

      Doch dann, am 25. September 1513, schien es, als hätte sich die Heilige Jungfrau ihrer Schutzbefohlenen erbarmt. Und so trat auf einer Anhöhe plötzlich der Baumbestand zurück, und bis zum Horizont sah Balboa nichts als das Gleißen und Glitzern des avisierten Ozeans …

      Zwei Tage später erreichte er mit einer Abteilung seiner Getreuesten das Ufer. »Diese zweiundzwanzig«, bezeugt eine zeitgenössische Quelle, »sowie der Schreiber Andrés de Valderrábano waren die ersten Christen, die ihren Fuß in das Mar del Sur setzten, und alle probten sie mit ihren Händen das Wasser und netzten damit den Mund, um zu sehen, ob es Salzwasser sei wie jenes des anderen Meeres. Und als sie sahen, dass dem so war, sagten sie Gott ihren Dank.«

      So gewissenhaft der 27. September 1513 dokumentiert ist: Der grandiose Moment, in dem Balboa achtundvierzig Stunden zuvor die »Südsee« erblickt hatte, dieses Gewahrwerden, dass »America« ein Kontinent ist, markiert das Datum, an dem die Suche nach dem westlichen Seeweg nach »Indien« aufs Neue begann. »Indien« lag plus ultra, noch weiter draußen, und harrte darauf, von Osten her angesteuert zu werden.

      Doch nachdem dies 1521 durch die Landung von Fernão de Magalhães auf den Philippinen gelungen war, sich aber – nicht zuletzt in dem Archipel am Südzipfel Amerikas – als äußerst mühsam erwiesen hatte, richtete sich das Augenmerk der Seefahrer Europas auf den Norden des Mundus Novus.

      Daher schwärmten sie aus, um ihrerseits ans Ziel des Genuesen zu gelangen … und mussten doch allesamt vor heimtückischen Untiefen oder abweisenden Packeissperren beidrehen: der Italiener Giovanni da Verrazzano 1523 in der Hudson-Straße, der Portugiese Esteban Gómez 1525 unter dem Saum Neufundlands, der Franzose Jacques Cartier 1534 im Sankt-Lorenz-Golf, die Engländer Martin Frobisher 1576 vor der Cumberland-Halbinsel, Henry Hudson 1610 in der Hudson Bay und William Baffin 1616 im Lancaster-Sund.

      Nein, die Nordwestpassage blieb ein Traum und ein Trug: ein brillantes Theorem!

      So lenkte die dauerhafte Fruchtlosigkeit der älteren Piloten die Draufgängerlust der jüngeren für eine Weile auf andere Regionen, obschon das Parlament in London unterdessen – 1745 – eine Belohnung von zwanzigtausend Pfund Sterling für jenen Sailor ausgesetzt hatte, der den Durchschlupf fände. Nachdem dann überdies James Cook von der Beringstraße aus in west-östlicher Richtung vergebens nach jener Schneise gefahndet hatte, erschien sie ein für alle Mal als Illusion. Am 15. August 1778 notierte der Post Captain Seiner Majestät ins Logbuch der »Resolution«: »Eine halbe Stunde nach zwei kamen wir bei 22 Faden tiefem Wasser […] auf eine Breite von 70°41', wobei wir nicht in der Lage waren, uns auch nur ein Geringes weiter vorzutasten, war doch das Eis zur Gänze undurchdringlich und reichte vor uns von einem Horizont zum anderen, so weit wir sehen konnten.«

      Die Nord-Route vom Atlantik in den Pazifik wurde zu einer Herausforderung für Albions Seehelden in spe. Dementsprechend stellte sich 1818 schon auf den ersten Seiten von Mary Shelleys Schauermär Frankenstein ein junger Skipper dadurch als Wohltäter der Menschheit vor, »dass ich in der Nähe des Pols eine Passage zu den Ländern entdecke, die zu erreichen im Augenblick so viele Monate in Anspruch nimmt«.

      Now then! John Ross, David Buchan, William Edward Parry – sie alle ließen in ebenjenem Jahr 1818 die Anker lichten und irrten im maritimen Labyrinth der Arktis umher, erlitten Verluste an Material und Mannschaften, scheiterten, aber gaben nicht auf und wiederholten ihre Attacken.

      Am erbittertsten kämpfte ein Engländer, der bis heute als Ausbund eines Suchers nach der Nordwestpassage gilt und nicht zuletzt durch Sten Nadolnys Roman Die Entdeckung der Langsamkeit (1983) ein mythischer Heros geworden ist, das Muster eines Mannes, der sein Schicksal beharrlich mit dem Drang zum Voraussein verband – jener Grundbedingung, die für die Erforschung der Erde seit Olims Zeiten zwingend ist.

      Sein Name: John Franklin.

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      John Franklin wurde am 15. April 1786 in Spilsby geboren1, einem Marktflecken in der Grafschaft Lincolnshire, nahe der Ostküste der Insel. Seine Vorväter stammten aus dem südwärts gelegenen Norfolk, hatten sich dann aber bei Sibsey in Lincolnshire als Gutsherren niedergelassen – freilich ohne Fortune. Denn mit jedem neuen Geschlecht schrumpfte das Vermögen der Sippe so weit zusammen, dass am Ende die Witwe John Franklins, des Großvaters des Wegbereiters, ein – wie die Annalen berichten – »gar mäßiges Auskommen« besaß. Da sie jedoch, wie ebenfalls kolportiert wird, eine Frau »von maskuliner Dynamik und resolutem Charakter« war, zog sie nach Spilsby, machte dort einen Laden mit Kolonialwaren auf und lernte ihren Sohn, Willingham, als Tandler und Trödler an. Das tat sie mit solchem Erfolg, dass aus dem Groß- und Einzelhandelskrämer bald ein Bankbesitzer wurde, der es sich 1779 leisten konnte, auf der Main Street ein stattliches Haus zu kaufen, in das er mit seiner Frau Hannah Chappell, der Tochter eines begüterten Landwirts, und sieben Kindern (ein achtes war kurz nach der Geburt gestorben) einzog.

      Als sich dann zu den drei Brüdern und vier Schwestern ein vierter Junge gesellte (ihm sollten im Laufe der Jahre drei weitere Mädchen folgen), geschah das für diesen Knaben unter günstigen Verhältnissen: Um ihn herum quirlte die Schar der Geschwister, mit denen er zu den Wäldern und Seen, Mooren und den Anhöhen hinauswandern konnte – denn am Rande der Lincolnshire Wolds war kein Platz für Stubenhockerei, sondern für Tatendrang, Wagemut und Rührigkeit. Bloß, musste es 1796 gleich das Internat von Saint Ives in Cambridgeshire sein? – Nach wenigen Wochen war John Franklin wieder zurück: auf der Lateinschule in Louth, nicht mehr als eine halbe Tagesreise nördlich von Spilsby.

      Und wenige Meilen von hier, bei Saltfleet, lag das Meer … sein Geruch erfüllte die Luft.

      Diese Prämissen, die familiären wie die topographischen, sollten mit frappanter Konsequenz einen von Willingham Franklins Söhnen als Richter nach Madras, einen anderen als Soldaten um die halbe und einen dritten – nämlich jenen, von dem im Folgenden hauptsächlich die Rede sein wird – als Entdecker fast um die ganze Welt führen.

      Zumal die Epoche, in der John Franklin groß wurde, eine Zeit der Entgrenzungen war: Hergebrachte Schranken wurden aufgehoben, bestehende Gräben übersprungen und verbindliche Verhältnisse gelöst. England befand sich im Umbruch. Seine Bürger sorgten (das Ehepaar Franklin hatte es gezeigt) in so massenhafter Weise für Nachwuchs, dass Thomas Robert Malthus in seinem Versuch über das Bevölkerungsgesetz 1798 wegen der ständigen »Neigung aller Lebewesen, sich in höherem Maße zu vermehren, als es die ihnen zur Verfügung stehende Nahrungsmenge zulässt«, nichts als Verelendung befürchtete. Vielerorts entstanden neue Städte, und die alten platzten aus den Nähten. Manchester allein sollte seine Einwohnerzahl von vierzigtausend Seelen zwischen 1770 und 1820 nahezu verfünffachen. Es war die Ära der Industrialisierung, die manchem Wohl und vielen Wehe brachte und allesamt in merkwürdiger Eintracht von der Ferne träumen ließ: die Arbeiter in den Slums, die Kaufleute in den Kontoren, die Unternehmer in den manor-houses. Diese prüften schon die Ausfuhr nach Australien … die anderen planten längst den Handel mit Ostindien … und jene priesen bereits die Freiheit in Amerika …

      Infolgedessen wundert es nicht, dass das industrielle oder merkantilistische Saeculum namentlich in England zugleich ein – sagen wir – transozeanisches war. Immer beschäftigten sich Künstler und Denker mit dem Thema des Überseeischen. So bezeichnete Adam Smith 1776 in seiner Abhandlung über den Wohlstand der Nationen Bartolomëu Diaz’ erste Umfahrung des Kaps der Guten Hoffnung als eines der »größten und bedeutendsten Ereignisse in der Geschichte der Menschheit«; und dann rankte er um diese Diagnose einen nationalökonomischen Exkurs über die »Vorteile, die Europa aus der Entdeckung Amerikas und der Passage um das Kap der Guten Hoffnung

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