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kennen diesen Weg, und Pferde kleben im Gelände aneinander wie die Briefmarken. So ging alles gut, und Uli ritt fast bis zum Reitverein mit. Dort machte er aus irgendeinem fadenscheinigen, aber taktvollen Grund kehrt.

      »Nun findest du wohl allein weiter, lieber Nickel!« sagte er und hätte der Elfi am liebsten noch einen ermunternden Schlag auf die Kruppe geknallt. Jedoch Diplomatie ist der beste Teil des Mutes, und wer wußte, was noch nachkam!

      Es kam nichts nach. Uli hatte sich aber noch am selben Abend über Atlas und Geographiebuch gesetzt und mindestens zwei Stunden lang gebüffelt, bis ihm der Kopf rauchte. Auch ein verärgerter Lehrer wird zwangsläufig entgiftet, wenn er jede Frage, die er stellt, prügelfest und sekundenschnell beantwortet bekommt.

      Diese kleine Begebenheit ist übrigens ein Beweis dafür, daß Reiterei und Schule keineswegs in Gegensatz zu liegen brauchen, man muß es nur richtig anfangen.

      Niemand möge annehmen, daß das Leben mit Ponys nur Vergnügen und Entspannung mit sich bringt. Es macht auch eine Menge Arbeit. So, wie jede Hausfrau vor Weihnachten die ganze Wohnung blitzblank scheuert, so werden dort Stall und Sattelkammer, Ein- und Zweispänner, Geschirr, Sättel, Trensen und Kreuzzügel blinkeblank gewienert. Im Stall konnte Ben dies Jahr nicht mittun, wie er grienend feststellte. Dafür schleppte ihm Steffi täglich ein anderes Geschirr ans Bett, und die Wohnstube roch penetrant nach Sattelseife, uns übrigens ein guter und lieber Geruch.

      »Du kannst putzen! Da muß Muskelfett hinein, streng dich nur an, sonst verkümmert dein Bizeps.«

      Ben fügte sich in sein Geschick. Manchmal spielte er den Elenden und legte sich zurück, um Mitleid zu erregen, wenn aber Steffi dann wieder mit vor Eifer roten Backen hereinkam und ihm flüsternd erzählte, daß sie Uli diesmal einen geflochtenen Reitzügel schenke, wurde er sofort wieder munter.

      »Woher hast du den denn?« fragte er begierig.

      »Den mach ich selber. Du wirst schon sehen!«

      Steffi hat Ideen. Sie schnitt aus einer nicht mehr gebrauchten Einspännerleine ein Stück Zügel in der richtigen Größe heraus, versah es an beiden Enden mit einem Karabinerhaken und stach dann mit einer Ahle Löcher hinein, in regelmäßigen Abständen. Durch diese Löcher zog sie im Muster lederne Schnürsenkel, die sie für ein paar Pfennige gekauft hatte. Es war eine mühselige Arbeit, wurde aber Ulis schönstes Weihnachtsgeschenk. Uli reitet im Reitverein ein Pferd, das schwer am Zügel geht. Da ist ein geflochtener Zügel Gold wert, er rutscht einem nicht so leicht durch die Faust. Natürlich nimmt er ihn auch für seinen Isländer. Der Zügel war jedenfalls ein großer Erfolg, und Uli war selig darüber.

      Meist bekommen wir auch etwas für die Ponys geschenkt. Den Dogcart zum Beispiel brachte das Christkind. Es hatte es damals schwer, ihn bis zum Heiligen Abend verborgen zu halten. Wir waren das erste Jahr im Ponyhof, der ja ganz einsam liegt, und hatten demnach keine Nachbarn und auch sonst fast keine Bekannten. Das Christkind überlegte und überlegte, schließlich stellte es ihn in die Garage eines Fahrradhändlers im Städtchen.

      »Wir holen ihn dann am Heiligen Abend ab«, sagte Mutter und gab ein Trinkgeld. Aber der Verräter schläft nicht. Uli, derjenige von uns, der am besten schenken kann, noch dazu mit wenig oder gar keinem Geld, Uli hatte sich wieder einmal etwas Großartiges ausgedacht. Er wollte allen seinen Schwestern geputzte Fahrräder schenken, brachte also eins nach dem andern unter irgendwelchen Vorwänden in die Stadt, fragte beim Fahrradhändler, ob er sie dort stehenlassen dürfte, und putzte, ölte und schmierte. Eines Tages kam er aufgeregt heim.

      »Es muß noch mehr Ponys in der Stadt geben«, erzählte er, »da steht ein Einspänner, ein ganz großartiges Gig, also ich sage euch ...«

      Er fing an zu beschreiben. Mutter rutschte auf ihrer Eckbank hin und her. War er wirklich so harmlos?

      Er war es. Die andern horchten zwar mit aufgerissenen Augen auf und ließen sich jede Einzelheit genau schildern, keins aber machte eine Bemerkung. Mutter stellte fest, daß man »noch nichts zum Abendbrot« habe, schmuggelte sich aus der Wohnstube und suchte sich ein Fahrrad. Auf diese Weise kam sie beinahe hinter Ulis Weihnachtsgeheimnisse, denn von den vier Rädern war nur noch eins da. Mit dem sauste sie in die Stadt und beschwatzte den Fahrradhändler so lange, bis er den Dogcart in die Scheune eines ihm befreundeten Bauern zu stellen und Uli auf Befragen grandios anzulügen versprach. Nur Mutters Aufregung über diese beinah eingetretene Panne hinderte sie daran, in der Garage auf alte, gummibereifte Freunde zu stoßen.

      Solche Sensationen gehören zur Vorweihnachtszeit wie Blockflöte und Strickzeug, kreischende Laubsäge und überkochender Leim, zugesperrte Schubladen und angstvolles Suchen. »Ich hab es so gut versteckt, ich find’ es nicht wieder ...« Jeder hat entsetzlich viel zu tun, und trotzdem vergehen die Tage nicht. Die auswärtigen Kinder – unsere größeren Geschwister studieren oder sind gar schon im Beruf – schreiben oder rufen an, sie könnten erst im letzten Augenblick kommen, mit dem und dem Zug. Wir sehen im Kursbuch nach und merken, daß es den gar nicht gibt, rätseln herum und verlassen uns schließlich auf den sogenannten Anhalter. Wenn die Bundesbahn versagt, gibt es immer noch Autos, denen man winken kann, und kurz vor Weihnachten wird jedes arme Studentlein mitgenommen, das zu Muttern strebt.

      In Westfalen ist es uns einmal passiert, daß Christine, damals noch Buchhändlerlehrling in Stuttgart, in Frankfurt den Anschlußzug nicht bekam. Er fuhr ihr vor der Nase weg. Sie rief an, sie käme erst nachts um eins. Das war ein langer Heiliger Abend! Die meiste Zeit davon saßen wir im Stall, fütterten die Ponys mit guten Bissen und erzählten uns Weihnachtsgeschichten. Unser Gutsherr war dann so rührend, Mutter in die Kreisstadt zu fahren und Christine dort vom D-Zug abzuholen, sonst hätte sie wiederum zwei Stunden auf Anschluß warten müssen. So standen die beiden doch »schon« um elf vor uns, und auf einmal war es soweit, wie man es seit einem ganzen Jahr wünschte. Das Christkind beeilte sich, die Kerzen anzuzünden – und alle Warterei war vergessen.

      Steffis Alleinritt

      Warten aber gehört nun mal zur Weihnachtszeit. Ein Schritt vorwärts ist es ja schon, wenn wenigstens die Schule vorbei ist, und das war in dem Jahr, in dem sich die beiden ihre Alleinritte gewünscht hatten, relativ zeitig. Steffi wollte am neunzehnten Dezember in die Schule reiten, einem Samstag. Sie hatte alles bestens vorbereitet, vor allem die Unterkunft des Ponys in der fremden Stadt. »Fremd« ist ein bißchen übertrieben, Steffi ging seit zwei Jahren dort zur Schule, aber um ein Pony unterzustellen, braucht man mehr als eine gute Schulfreundin.

      Sie hatte sich mit der Mühle in Verbindung gesetzt. Die gehört einer Dame, die auch reitet, Pudel züchtet und demnach in Ordnung ist. Sie lud Steffi ein, über den Sonntag bei ihr zu bleiben und erst am Montag zurückzureiten. Aber Steffi wollte nicht. Erstens mochte sie keinen Adventssonntag zu Hause verpassen, und zweitens hatte sie sich vorgenommen, sich einmal einen Tag richtig sattzureiten, wie sie sagte.

      Sechzehn Kilometer wollten geritten sein. Um rechtzeitig in der Schule zu sein, mußte Steffi zu wahrhaft unchristlich früher Stunde aufbrechen. Es war eine jener pechdunklen Nächte, in der man nicht die Hand vor den Augen sieht und beim Reiten kaum die helle Mähne seines Fuchses, geschweige denn unsere kleinen Rappen. Steffi nahm Gloa, die schnellere unserer Isländerstuten.

      Steffi hatte Gloa heimlich mit mehr Hafer gefüttert als die andern, genau wie Ben es insgeheim mit Winnetou tat. Früh um fünf fütterte Steffi noch mal, um sechs saß sie auf. Mutter war auch schon wach. Sie hockte meist in den frühesten Morgenstunden an der Schreibmaschine, weil ihr da noch was einfällt. Später am Tag werden alle Gedanken von unvorhergesehenen Ereignissen, von Besuch und täglichen Kleinkatastrophen zugeschüttet. Heute aber verzichtete sie aufs Tippen und schwang sich aufs Stahlroß. Steffi sah es mit Unbehagen.

      »Du willst doch nicht etwa mit?« fragte sie mißtrauisch und guckte auf Mutter herunter.

      »Gott bewahre, was soll ich denn in Schorndorf! Ich will nur –«

      »Na was denn?«

      »Sehen, wie hell es ist. Willst du nicht eine Taschenlampe einstecken?«

      »Wozu denn das um Himmels willen? Es wird doch hell.« »Na, um beispielsweise einen zerfetzten Riemen zu reparieren.«

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