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Herzblut. Rudolf Stratz
Читать онлайн.Название Herzblut
Год выпуска 0
isbn 9788711507124
Автор произведения Rudolf Stratz
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Rudolf Stratz
Herzblut
Roman
Saga
Herzblut
© 1908 Rudolf Stratz
Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711507124
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com
Meiner Frau
I
Es war seltsam, welch eine Wandlung in Jakobe Ansold von dem Augenblick ab vorging, wo sie den Entschluss gefasst hatte, in nächster Zeit das Haus ihres Mannes für immer zu verlassen. Sie wunderte sich selbst darüber, dass sie nun auf einmal ganz ruhig wurde. Sie begriff es nicht; nach all dem Sturm die plötzliche Stille — nach einem Seelensturm durch Monate hindurch, den niemand auf Erden kannte, niemand ahnte ausser ihr — und am wenigsten ihr Mann.
Seit sie in diesen ersten Septembertagen so weit gekommen, lebte sie innerlich wieder auf. Die Blässe wich. Die Teilnahmlosigkeit, in der sie lange Stunden des Tages und halbe Nächte voll eines unbestimmten Grauens, sie könne noch einmal über dem allem den Verstand verlieren, vor sich hingedämmert, machte einer klaren Abschiedsstimmung Platz, das bittre ratlose Lächeln, das so oft, wenn sie sich unbeobachtet wusste, um ihre Mundwinkel gezuckt, verschwand. Nur einen eigenen starren Ausdruck hatte sie in den Augen, wenn sie, wie jetzt oft, plötzlich in Gedanken verloren mitten im Zimmer stehen blieb und vor sich hinschaute — in die Ferne hinaus, als suche sie da draussen etwas — neues Land — einen festen Punkt — und sähe doch nur uferlose Weite.
Kaum klangen aber auf dem Flur Schritte und es näherte sich jemand, so gewannen ihre Züge jene lebhafte und etwas scheue Freundlichkeit, mit der sie nun allen, auch ihrem Mann, begegnete. Es lag Schuldbewusstsein darin. Schon eine stumme Bitte um Verzeihung für das Kommende. Aber er bemerkte davon nichts. Er war froh, dass seine Frau nach all dem Trübsinn und den Nervengeschichten und Verstimmungen dieses Sommers, die er sich nicht hatte erklären können, endlich wieder ein vernünftiger Mensch wurde, und schob das auf die nun eingetretene kühle, klare Herbstluft und machte sich weiter keine Gedanken darüber, sondern schimpfte bei Tisch auf den Dienst und die Vorgesetzten, namentlich auf den Major, der ihm und den drei anderen Hauptleuten des Bataillons das Leben unnütz sauer mache, und auf seinen unfähigen Oberleutnant, diese Schlafmütze, der er nicht einen halben Tag mit ruhigem Herzen die Kompanie anvertrauen könne. Und dann kamen nach dem Essen die Kaffeetassen und vom Treppeneingang her, wo die Ordonnanz mit der Blechmappe stand, die Parolebücher und vor dem Hause hielt der Bursche das gesattelte Pferd und der Hauptmann Ansold stand auf und gab seiner Frau einen flüchtigen, gewohnheitsmässigen Kuss wie immer in den zehneinhalb Jahren, seit sie verheiratet waren, und knöpfte sich den Überrock zu und machte, dass er hinaus nach den Schiessständen kam, um dort unversehens um die Waldecke herum mit einem Donnerwetter in die allgemeine Bummelei hineinzufahren, und Jakobe war wieder allein.
Sie hatte jetzt die Gewohnheit, wenn er aus dem Zimmer war, noch eine Weile still zu sitzen und die Augen zu schliessen. Das war nicht Furcht vor der Zukunft, sondern ein Trieb, die Gegenwart zu vergessen, so zu tun, als sei die schon gar nicht mehr wirklich um sie herum vorhanden. Dies Dämmergrau vor den Wimpern, das der Schein vom Fenster her rosig erhellte, war besser als alles, was man hier sah und hörte und erlebte. ...
Und aus dem Wandspiegel, vor dem sie stand, schaute, wenn sie die Wimpern wieder erhob, eine fremde Frau sie an, und sie betrachtete ihr gläsernes Ebenbild mit einer stummen, bangen Neugier — einem steten Zweifel, ob sie das sei — noch sei — und frug sich wieder: wer bist du? — und was willst du werden? und sah dies schmale, leidenschaftliche Gesicht, von dem so viele ihr sagten, dass es schön sei, in der Regelmässigkeit seines Ovals, der Zartheit und Klarheit seiner Farben. Auf einer Schweizer Reise, bei Wengen, hatte einmal eine Dame, mit der sie Bekanntschaft geschlossen, beim Enzianpflücken plötzlich aufgeblickt und lebhaft gesagt: „So sind Ihre Augen!“ und dabei hatte sie auf das seltsame, tiefe Dunkelblau der Alpenblume gewiesen, die sie in der Hand hielt — eine Farbe, in die man tief hineinschauen konnte, ohne auf den letzten Grund zu kommen, wie bei einem einsamen Gebirgsee. Jakobe Ansold wusste ja selbst, dass ihre Augen das Schönste an ihr waren. Sie liess die Stirne darüber stets frei und trug das reiche, aschblonde Haar nach hinten aufgewellt. Ihre Gestalt war, in ihrer Mittelgrösse, noch mädchenhaft schlank, obwohl sie sich den dreissig näherte. Und zuweilen, wenn sie in den Stuben umherging und zwecklos abstäubte und zurecht rückte und sich dabei wieder für einen Augenblick irgendwo im Spiegel sah, schossen ihr ganz nichtige Äusserlichkeiten durch den Kopf, die mit ihrer bevorstehenden Abreise zusammenhingen, wie etwa: das weisse Kleid, das du jetzt anhast, brauchst du nicht mehr einzupacken! Da draussen wirst du dich doch immer unauffällig dunkel anziehen müssen, damit die Leute nicht noch mehr auf dich schauen, als sie es ohnedies schon tun werden! — Und dann war es ihr, als sagte jemand neben ihr: Ach, du führst es ja doch nicht aus! Du spielst ja nur mit dem Gedanken, einmal von hier wegzugehen! Das ist für dich nur ein schmerzstillendes, betäubendes Mittel gegen die Öde und Leere deines Lebens.
Wenn diese Stimmung jetzt zu stark in ihr wiederkehrte, dann tat Jakobe Ansold etwas, was ihr sonst zu schmerzlich war: sie öffnete die Türe zu der kleinen Kammer neben dem Schlafzimmer, nach dem Hofe hinaus. Da stand noch das schmale, eiserne Bettchen, in der Ecke lehnte das Schmetterlingsnetz und hing die grünlackierte Botanisiertrommel, auf dem Tisch lagen die blauen Hefte, in denen sie selbst mit ihrem Sohn das Einmaleins durchgerechnet und Schönschreiben geübt hatte. Und dabei stiegen ihr jedesmal die Tränen in die Augen. Wie hatte sie ihren Mann gebeten, den kleinen Burschen noch nicht in das Kadettenkorps zu stecken, ihren einzigen mit seinen kaum neun Jahren! Ein paar Jahre konnte man doch noch wenigstens warten, ihn ihr lassen! Sie hatte ja sonst nichts! Und die Erziehung im Kadettenkorps tat doch gar nicht gut — dies Heranwachsen ganz ohne Mutterliebe und Frauennähe — es war ein roher Spartanerdünkel, den man da züchtete — das wussten doch so viele — das alles hatte sie ihrem Mann gesagt und immer nur die Antwort erhalten: Ich war auch im Kadettenkorps und bin nicht umgekommen, sondern ein ordentlicher Offizier geworden, und so gut wie jede andere Kompanie im Regiment ist meine fünfte auch — also wird es meinem Sohn auch nichts schaden, wenn er denselben Weg geht. ...
Das war vor einem Jahr gewesen. Ihr Mann hatte damals nicht gewusst, was er tat. Das sagte sie sich jedesmal, wenn sie wieder mit zuckenden Lippen in dem verlassenen Stübchen stand. Indem er ihr das einzige nahm, was sie besass, hatte er sie freigemacht. Nie hätte sie die Kraft gefunden, diese vier Wände zu verlassen, solange in ihnen noch das fröhliche Kinderlachen scholl. Die Tränen, die in der Erinnerung an das alles über ihre Wangen rannen, hatten eine grausame, stählende Kraft. Sie machten ihr das Herz hart. Wenn sie diese Türe wieder hinter sich in das Schloss drückte, dann stand ihr Entschluss so unbeugsam da, dass sie die Anwandlungen einer schwachen Stunde nachträglich gar nicht mehr begriff. Es war wie ein Naturgebot. Sie musste fort. Und ging fort, so wie nur erst die Manöverzeit da war. Und inzwischen lag schon eine Abschiedsstimmung über allem. Es war bereits der Anfang der Befreiung. Vieles, was sie früher geschmerzt, betrübt, gelangweilt hatte, verlor jetzt seine wirkende Stärke, war nur noch ein Gleichnis für das nahe Ende. Und auch freundlichere Dinge sprachen zu ihr und wichen zurück und schwanden. Was nur mit der Gewohnheit des bisherigen Seins zusammenhing, sagte ihr Ade und löste sich von ihr und liess sie ziehen, in blaue Ferne, wie die langsam segelnden weissgeballten Sommerwolken am Himmel, über dem alten märkischen Städtchen, seinen spitzen hohen Kirchtürmen, den Giebeln und Dächern, der Backsteinringmauer mit ihren verwitterten Bollwerken aus der Hussitenzeit, dem Marktplatz, wo die Riesenlinde das Standbild des Kaiser Wilhelm überschattete, den breiten Strassen, deren fast einziger Pulsschlag des Lebens das ewige Hin und Her zwischen der Infanteriekaserne