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Mutti.“

      „Nun freu dich doch ein bißchen!“

      Klaudia verzog den Mund. „Worauf? Etwa auf die Jungen aus meiner Klasse? Die interessieren mich doch keinen Fitz!“

      „Das war aber einmal ganz anders.“

      „Du sagst es. Aber der Mensch wird eben unaufhaltsam älter und reifer.“

      Frau May lachte und ließ ihre Tochter allein.

      Klaudia holte ihr Schminktäschchen hinter den Büchern hervor, wo sie es vorsorglich verborgen hielt. Sie setzte sich vor ihren kleinen Toilettenspiegel, klappte ihn schräg und blickte sich lange an. Ja, sie war hübsch, daran war kein Zweifel. Ihre leicht gebräunte Haut war glatt, ohne Mitesser und Pickel, die blauen Augen hatten Glanz, der Mund war gut geschnitten, nicht zu schmal und nicht zu üppig, und das blonde Haar, das sie alle paar Tage zu waschen pflegte, fiel weich und locker auf ihre Schultern.

      Sie war hübsch, aber was nutzte es ihr, wenn der einzige, dem sie gefallen wollte, sie nie zu sehen bekommen würde? Nie würde Ben Simon in der Kleinstadt Rosenberg auftreten, und genauso wenig durfte sie ja in die nächste Großstadt fahren und eines seiner Konzerte besuchen. Jedenfalls nicht, bevor sie grau und schimmelig geworden war.

      Klaudia zog sich ihr Kleid über den Kopf, warf es achtlos auf den nächsten Sessel und begann sich Lidschatten aufzulegen. Sie machte das sorgfältig und geschickt, doch ohne Lust und Liebe. Was hatte es schon für einen Sinn, wenn sie höchstens Heide damit ärgern konnte?

      Sie zog sich gerade ihr Festkleid an, das sie sich aus dunkelrotem Seidenstoff selbst genäht hatte, als Sylvie in das Zimmer stürmte.

      „Du gehst fort? Ich dachte, du wolltest die Schlagerparade sehn!“

      „Du bist gut! Verrat mir mal, wie und wo!“

      „Hier bei uns. Vati ist zu einem Patienten gerufen worden, und Mutti begleitet ihn.“

      Vor Freude machte Klaudia einen kleinen Luftsprung, aber gleich darauf kamen ihr wieder Bedenken. „Fragt sich bloß, wie lange sie wegbleiben.“

      „Lange genug. Sie haben mir gesagt, daß ich nicht auf sie warten, sondern Türen und Fenster schließen und zu Bett gehen soll.“

      „Oh, Sylvie! Das ist zu schön, um wahr zu sein!“

      „Du gehst also nicht weg?“

      „Wie könnte ich denn, wenn Ben Simon gleich ins Haus kommt! Sylvie, du ahnst ja nicht, wie glücklich ich bin.“

      „Dann zieh dich um und komm runter.“

      „Umziehen? Wozu? Nein, ich bleibe so, damit Ben mich auch mal in meiner ganzen Pracht sehen kann.“

      Sylvie seufzte leicht. „Du bist ja noch verrückter, als ich gedacht hatte!“

      Wenig später sahen die Schwestern zusammen die Tagesschau, wobei Klaudia, die inzwischen doch Hunger bekommen hatte, ein Stück Kuchen vom Nachmittag und ein belegtes Brot aß. Noch bevor die Wetterkarte gezeigt wurde, schalteten sie auf das Zweite Deutsche Fernsehen um und kamen gerade rechtzeitig für die Schlagerparade. Sie schwatzten und lachten, während das Programm ablief. Klaudia mochte nicht zugeben, wie sehr ihr Herz vor Erwartung pochte.

      Aber dann, als Ben Simon auftrat, befahl sie in verändertem Ton: „Sei still, Sylvie! Jetzt kein Wort mehr!“

      Mit einem tiefen Seufzer lehnte sie sich zurück und hatte nur noch Augen für den schlanken jungen Mann mit den großen dunklen Augen und dem lockigen schwarzen Haar, der in seinen eng anliegenden Hosen und dem Wams aus Goldbrokat wie ein junger Romeo wirkte. Seine Stimme, rauh und nicht sehr stark, aber von großer Musikalität, schlug Klaudia in ihren Bann. In diesen Minuten, während sie ihn mit den Augen und Ohren verschlang, war sie wunschlos glücklich.

      Sylvie riß sie aus ihrer Seligkeit. „Du, der hat sich falsche Wimpern angepappt!“

      „Ach was!“

      „Bestimmt! Sieh doch mal genau hin …“

      „Sei still!“ zischte Klaudia.

      „Werd ich dir jemals begegnen …“, sang Ben Simon, und Klaudia hatte das Gefühl, daß sie es war, die er dabei so eindringlich anblickte, daß sie es war, nach der er sich sehnte.

      „Und ’ne Dauerwelle hat er auch“, behauptete Sylvie.

      „Bist du ruhig!“

      Sylvie maulte: „Man wird doch wohl noch was sagen dürfen!“

      „Nicht jetzt! Oder ich bring dich um!“

      Diese Drohung wirkte. Sylvie schwieg, bis Ben Simon von Peggy March auf dem Bildschirm abgelöst wurde.

      Dann aber erklärte sie: „Also geschminkt ist er ganz bestimmt! Das hat doch ein Blinder aus zehn Meter Entfernung gesehen!“

      Mühsam fand Klaudia wieder in die Wirklichkeit zurück. „Sind sie doch alle für Television!“

      „Na ja, kann schon sein“, gab Sylvie zu, „aber woher weißt du dann, wie er in Wirklichkeit aussieht? Wenn er abgewaschen ist, meine ich.“

      „Bestimmt noch viel schöner.“

      „Wie kommst du darauf?“ fragte Sylvie erstaunt.

      „Weil ich es fühle.“

      „Kannst du wirklich fühlen, wie jemand aussieht? Ich nicht.“

      „Du natürlich nicht, weil du noch ein Baby bist. Er ist wundervoll, glaub mir! Wie gerne würde ich ihm schreiben!“

      „So tu’s doch. Seine Adresse kannst du doch bestimmt leicht herauskriegen.“

      „Die habe ich. München, Arabellahaus.“

      „Auf was wartest du dann noch?“

      Klaudia griff neben sich und hob ein Glas mit Limonade vom Boden. „Ich muß mir erst noch ganz genau überlegen, was ich ihm schreibe.“ Sie sog durch den Kunststoffhalm.

      „Mach’s nicht so feierlich. Schreib ihm irgend was. Daß du ihn bewunderst, daß du ein Autogramm von ihm möchtest …“

      „Solche Briefe“, sagte Klaudia ohne die Augen vom Bildschirm zu lassen, „kriegt er doch jeden Tag. Nein, ich muß mir etwas Besonderes ausdenken.“

      „Schick ihm ein Foto von dir“, riet Sylvie.

      „Quatsch“, sagte Klaudia spontan.

      „Gar nicht“, widersprach die kleine Schwester, „dann weiß er wenigstens schon mal, wie du aussiehst.“

      Je länger sie darüber nachdachte, desto besser gefiel Klaudia diese Idee; aber sie wollte es nicht zugeben, und so sagte sie lieber gar nichts.

      „Du kannst ihm natürlich auch gleich eine regelrechte Liebeserklärung machen“, schlug Sylvie vor.

      Klaudia warf ihr nur einen Seitenblick zu. „Vielleicht bin ich komisch“, sagte sie, „aber so komisch, daß du dich über mich lustig machen dürftest, bestimmt nicht.“

      „Das wollte ich doch gar nicht!“ behauptete Sylvie, konnte aber ein Kichern nicht unterdrücken. „Bestimmt nicht …“

      In diesem Augenblick kam die Absage der Sendung. Klaudia stand auf und stellte den Apparat ab. „Das wär’s für heute“, erklärte sie von oben herab, „räumen wir auf und gehn wir schlafen.“

      „Schon? Es ist doch noch gar nicht spät.“

      „Für dich schon. Und ich habe noch etwas zu erledigen.“

      Sie schob, mit Sylvies Hilfe, die Sessel wieder zurecht, zog den Teppich gerade, pustete die Krümel vom Tisch, brachte Gläser und Teller in die Küche und stellte sie in die Spülmaschine. Dabei hörte sie nicht mehr auf das Geplauder ihrer Schwester, sondern war im Geist schon ganz damit beschäftigt, den

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