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schnelle, fließende Weise zu laufen, wie es Islandpferde können. Aber nicht alle tölten. Manche wollen lieber traben, und dann macht es nicht so viel Spaß, im Sattel zu sitzen. Man hat dann leicht das Gefühl, als ob einem alle inneren Organe durchgeschüttelt würden. Und leicht traben kann auch nicht jeder.

      Sterni ließ sich nicht so einfach zum Tölten bringen. Heli setzte sich tief in den Sattel und verkürzte die Zügel. Man musste sich vorstellen, dass man den Pferdekörper sanft verkürzte und zusammenzog, hatte Gunni gesagt. Dann sollte man dem Pferd Schenkeldruck geben. Sterni machte ein paar Töltschritte, fiel dann aber wieder in ihren ruckartigen Trab.

      Nein, an diesem Tag klappte es nicht. Heli wusste es. Und als sie nach Hause radeln wollte, konnte sie ihren Fahrradschlüssel nicht finden. Sie musste das Rad hinter Gunnis Wirtschaftsgebäude abstellen. Tante Anneli brachte sie mit dem Auto nach Hause.

      5

      Tante Anneli kam eine Weile mit nach oben.

      „Es ist doch ganz nett, hin und wieder seine kleine Schwester zu treffen“, sagte sie. „Heute Abend muss sie doch nicht arbeiten?“

      „Nein.“

      Sobald sie in den Flur kamen, merkte Heli, dass Ralf da war. Sie sah seine braune Jacke und seine großen Schuhe. Ralf war ein Mann, den Mama manchmal traf. Manchmal übernachtete er bei ihnen. Er hatte ein paar Häuserblocks entfernt eine Ein-Zimmer-Wohnung.

      Ralf und Mama waren früher Arbeitskollegen gewesen. So hatten sie sich kennen gelernt. Ralf arbeitete nicht mehr, er hatte Rückenbeschwerden.

      Mama war so anders, wenn Ralf da war. Dann war sie Heli fremd. Sie war überdreht und spielte sich auf, kein bisschen die normale Mama wie sonst. Sie umschmeichelte Ralf auf eine Weise, die Heli eiskalt und wütend machte. Aber sie traute sich nie, etwas zu sagen. Mama wollte auch nichts hören.

      Tante Anneli wandte Heli ihr rundes Gesicht zu. „Ihr habt wohl Besuch?“, flüsterte sie.

      „Ach, das ist nur Ralf.”

      „Hallo!“, rief Tante Anneli. „Darf man hereinkommen?“

      Mama kam an die Wohnzimmertür. Ihr Haar war zerzaust.

      „Ach, du bist das, Anneli. Klar darfst du reinkommen. Möchtest du eine Tasse Kaffee? Wir wollten gerade Kaffee trinken.“

      „Ist er schon fertig?“

      „Nein, aber ich setz welchen auf, das geht schnell. Geh du schon rein, da drinnen ist Ralf. Wir sind dabei, Lottoscheine auszufüllen. Es müsste doch mit dem Teufel zugehen, wenn man nicht einmal einen Hauptgewinn hätte.“

      Heli zog die Reitsachen aus. Sie zog ihre Jeans und das T-Shirt an, das sie im Vergnügungspark gewonnen hatte.

      „Hast du Hunger, Heli?“, rief Mama aus der Küche.

      „Nein.“

      „Ich hab Makkaroniauflauf gemacht.“

      „Ich möchte nichts.“

      „Du, übrigens, deine Freundin, dieses geschminkte Mädchen, Liza, oder wie hieß sie noch gleich?“

      Heli spürte, wie ihr Herz zu hämmern begann.

      „Ja, was ist mit ihr?“

      „Ich hab sie vorhin getroffen. Sie hat nach dir gefragt.“

      „Was hast du gesagt?“

      „Dass du reiten bist, natürlich. Was hätte ich sonst sagen sollen?“

      6

      Am nächsten Morgen sagte Heli, sie sei krank.

      Mama fühlte ihre Stirn.

      „Du hast aber kein Fieber.“

      „Ich hab Bauchschmerzen”, sagte Heli und drückte das Gesicht ins Kissen.

      Mama umarmte sie. „Vielleicht ist es jetzt so weit bei dir. Hast du gesehen, ob schon Blut gekommen ist?“

      „Nein.“

      „Trotzdem ist es jetzt wohl so weit. Ich war damals zwölfeinhalb. Bleib heute im Bett und ruh dich aus. Das schadet nichts. Ich mache dir eine Wärmflasche, die kannst du dir auf den Bauch legen. Wärme lindert.“

      Heli hatte wirklich Bauchschmerzen, aber nur, weil sie an Liza dachte. Nicht von etwas anderem.

      Sie hörte, dass Putte hereinkam. Sie hörte seine heisere kleine Kinderstimme.

      „Bist du krank, Heli?“

      „Ja.“

      „Soll ich dir meine Legoteile leihen?“

      „Nein, aber vielen Dank.“

      Mama brachte ihr die Wärmflasche und eine halb volle Schachtel Halspastillen. „Ich hab nur noch diese. Nimm sie. Und wenn du Hunger kriegst, kannst du dir den Makkaroniauflauf in der Mikrowelle aufwärmen. Küsschen, wir müssen jetzt gehen. Zieh die Jacke an, Putte.“

      Es wurde ganz still in der Wohnung, abgesehen von den üblichen Geräuschen. Wenn jemand im Haus die Wasserspülung betätigte. Oder wenn die Zwillinge in der Nachbarwohnung Musik spielten.

      Die Zwillinge waren zwei Jahre älter als Heli. Sie gingen in die Achte. Sie hatten sich die Haare schwarz gefärbt und trugen Ringe in den Ohren. Max und Morten hießen sie, das wusste Heli, aber sie kannte sie nicht. Und die beiden grüßten sie nie. Entweder, weil sie nicht wussten, wer sie war, oder weil sie es wussten. Denn Helis Mutter hatte mehrere Male drüben angerufen und sich über die laute Musik beschwert.

      Heli fand die Musik nicht störend, sie war fast wie Gesellschaft. Abends, bevor sie einschlief, stellte sie sich vor, sie wäre mit Max und Morten dort drüben und sie hörten zusammen Musik, und ihre Mutter brächte ihnen auf einem Tablett Coca-Cola und Kokosbällchen. Die Mutter der beiden kannte sie vom Sehen, sie war klein und hübsch, duftete nach Parfum und hatte silbernen Lidschatten auf den Augenlidern. Genau so wollte Heli aussehen, wenn sie erwachsen war. Na ja, zu einem Pferdejob passte das wohl nicht so gut, aber abends, wenn sie mit der Arbeit fertig war, dann könnte sie aussehen wie die Mutter der Zwillinge.

      Im Augenblick war die Musik auf der anderen Seite der Wand besonders laut. Dann wurde es jäh still. Heli hörte das Geräusch einer Tür und schnelle Schritte die Treppe hinunter. Die Jungen gingen zur Schule, sie schienen es eilig zu haben. Heli hatte die beiden noch nie langsam wie normale Leute gehen sehen.

      Heli holte das Buch hervor, das sie gerade las. Es handelte von einem Mädchen, das sich mit einem Wildpferd anfreundete. Sie hatte es spannend gefunden, aber jetzt fand sie nicht den rechten Einstieg. Jedes Mal, wenn sie eine Seite umblätterte, merkte sie, dass sie keine Ahnung hatte, was sie gelesen hatte.

      Der Gedanke an Liza war wie ein nagender, brennender Schmerz. Liza wusste jetzt, dass Heli reiten gewesen war. Liza wusste, dass sie gelogen hatte.

      Liza war dabei, einiges von dem, was nur Heli gehörte, aufzubrechen – ihren geheimen Schutz und ihre Mauer gegen alle Schwierigkeiten und Probleme der Welt.

      Die Bauchschmerzen kamen doch nicht nur von all dem, was ihr Unbehagen bereitete. Sie merkte es, als sie aus dem Bad kam. Sie hatte ihre Tage bekommen. Die Entdeckung ließ sie in Tränen ausbrechen. Gleichzeitig spürte sie vorsichtigen Stolz. Jetzt gehörte sie zu den Mädchen in der Klasse, die den ersten Schritt in die Welt der Erwachsenen getan hatten.

      Sie betrachtete ihr schmales, mageres Gesicht im Spiegel, die ungekämmten Haare, die kleinen hellen Augen. Eine leichte Röte breitete sich über ihr Gesicht aus. „Heli Hämäläinen“, flüsterte sie.

      Ein schöner Name war das nicht. Heli – das klang fast wie ein Fluch. Jedenfalls wenn man ihn aussprach, wie Mama das tat und wie man ihn eigentlich aussprechen sollte: Helli. Die meisten sagten Heeeli.

      Abends kam Ralf wieder zu Mama. Er war groß und ein bisschen schwerfällig und kriegte einen Bauch. Heli dachte, das kommt vom vielen Essen.

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