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ein bisschen albern gewesen war.

      An diesem Tag brauchte sie nicht einzukaufen. Sie musste nur für Putte und sich etwas zu essen machen und ihn dann von der Kindertagesstätte abholen. Putte war ihr kleiner Bruder. Er war acht Jahre alt, Mama wollte nicht, dass er allein nach Hause ging. Er war noch zu klein.

      Putte freute sich, als sie kam. Er freute sich immer. Sie sah ihn schon von weitem. Die gestreifte Mütze leuchtete, er saß auf der Treppe.

      „Was machst du?“, fragte Heli.

      „Nichts.“

      „Hol deine Tasche, dann gehen wir.“

      „Okay.“

      Sie sprach mit ihm, wie Erwachsene mit Kindern reden. Wie Mama mit ihnen redete, wenn sie von der Arbeit nach Hause kam. Sie redete, ohne eine Antwort zu erwarten. Es dauerte eine Weile, ehe Heli merkte, dass er nicht zuhörte. Sie zog an seiner Jacke.

      „Ich hab Makkaroni gekocht, dazu gibt’s Bratwurst!“, sagte sie.

      „Mhm.“

      „Das magst du doch. Und Ketschup dazu, massenhaft Ketschup.“

      „Ja.“

      „Weswegen bist du denn so sauer?“

      „Nichts.”

      „Wollen wir laufen, Putte? Wer zuerst an der Tür ist.”

      Sie lief mit langen Schritten los, hörte seine Turnschuhe wie ein leises Trippeln auf dem Trottoir hinter sich.

      Es war Oktober, fast alle Blätter waren gelb und von den Bäumen gefallen. Heli liebte den Herbstgeruch, den modrigen, kräftigen Herbstgeruch. Aber die Dunkelheit mochte sie nicht. Wenn die Abende dunkel wurden, durfte sie nicht mehr draußen sein und Rad fahren. Und dann kam sie nicht zu Gunni und den Pferden. Das Einzige, das ihr wirklich etwas im Leben bedeutete. Die Pferde.

      Nach nur einer Woche war es, als ob Lizandra schon immer in ihre Klasse gegangen wäre. Sie wollte lieber Liza genannt werden. Sie schminkte ihre Augen und hatte Zigaretten in der Jackentasche. Sie wirkte älter als die anderen, als ob sie in ihrem zwölfjährigen Leben schon sehr viel erlebt hätte. Heli sah allmählich ein, dass sie und die anderen viel zu lange kindlich gewesen waren. Sie waren in die Sechste gekommen. Jetzt wurden sie erwachsen, sagte Liza. „Zum Teufel, wir werden erwachsen“, sagte sie so laut, dass es die Lehrerin hörte.

      Jedenfalls die Mädchen wurden erwachsen. Von den Jungen konnte man das nicht behaupten. Die brauchten noch ein paar Jahre.

      Liza hatte etwas Verlockendes, etwas Gefährliches. Heli spürte es im Zwerchfell, und sie wollte es abwehren. Sie wollte behalten, was ihr gehörte, unberührt und ungesehen von den Augen des fremden Mädchens. Sie wollte auf der ruhigen, geschützten Seite des Lebens bleiben.

      Mehrere Tage kämpfte sie dagegen an. Dann ging es nicht mehr. Dann brach Liza bei ihr ein, ja, tatsächlich, sie brach ein.

      Eines Nachmittags klingelte es an der Tür. Mama war noch zu Hause, sie hatte Abenddienst. Heli hörte sie mit jemandem da draußen reden. Dann: „Heli, hier fragt eine Schulkameradin nach dir!“ Und leiser: „Geh nur rein. Die Tür links im Flur.”

      Nun ist Liza mitten auf dem Flickenteppich, Liza steht in ihrem stillen, singenden Zimmer, dem Pferdezimmer, dem Traumzimmer. Da steht Liza Svedenmark in ihrer Lederjacke und starrt Heli an.

      „Hi!“

      „Hi!“, sagt Heli.

      „Pferde?“

      „Ja.“

      Liza greift nach dem Reithelm, dem neuen mit der Kunststoffschale, den sie von Tante Anneli bekommen und noch nicht benutzt hat. Er ist neu und schön und schwarz und weich, wenn man ihn mit der Oberlippe berührt.

      „Ich bin auch geritten. Früher. Bevor wir hierher gezogen sind.

      „Ja?“ Heli starrt sie überrascht an.

      „Ich sollte ein eigenes Pferd bekommen. Aber dann mussten wir umziehen.“

      „Ein eigenes Pferd!“ Heli staunt.

      „Sie sind in Konkurs gegangen, die Firma meines Vaters.“

      „Ach so.“

      Liza geht herum und betrachtet die Pferdebilder. Sie ist einfach in Helis Traumzimmer.

      „Weißt du, wie ich rausgekriegt habe, wo du wohnst?“

      „Nein.“

      „Na, da steht doch Hämäläinen an der Tür.“

      „Ach ja, na klar.“

      „Ich wohn im nächsten Haus. Nummer achtzehn.“

      „So.“

      „Die über uns rennen dauernd rum, sie trampeln und machen Krach. Man kriegt kein Auge zu. So ist das eben, wenn man nicht gewöhnt ist, in einer Mietwohnung zu wohnen.“

      „Wollen wir rausgehen?“, hört Heli sich sagen. „Wollen wir ein bisschen raus?“ Sie hält es nicht mehr aus.

      Sie will endlich raus mit Liza aus dem Traumzimmer, ihrem Traumzimmer, dem Innersten, hinaus in die Allgemeinheit.

      Sie sitzen auf den Schaukeln, wie große Kinder.

      „Ihr seid Finnen, nicht?“

      „Nein, Schweden.“

      „Aber Hämäläinen ist ein finnischer Name.“

      „Ich bin trotzdem Schwedin.”

      „Wie heißen deine Mutter und dein Vater?“

      „Mama heißt Eeva. Meinen Vater kenne ich nur wenig.“

      „Ich kann ein bisschen Finnisch. Päivä. Guten Tag.“

      „Päivää heißt das.”

      Liza wirft ihr einen Blick zu. „Ich kann noch was anderes, was Gemeines ... Voj vittu!“ Und sie lacht hohl, wirft den Kopf nach vorn und wieder zurück, dass die Haare fliegen.

      „Das ist gemein“, sagt sie nach einer Weile. „Wahnsinnig gemein.“

      Einige Regentropfen fallen. Über sie ziehen die Wolken dahin wie Herden kleiner runder Pferde.

      „Willst du bald reiten?“ Liza kratzt mit einem Zweig an ihren Fingernägeln.

      „Vielleicht.“

      „Sag mir Bescheid, dann komme ich mit.”

      „Ja. Ich sag Bescheid.“

      „Sind es gute Pferde?“

      „Islandpferde.“

      „Solche kleinen, stämmigen.“

      „Sie sind nicht besonders klein.“

      „Ich hätte eine Halbblutstute bekommen, Lady hieß sie. Rabenschwarz mit silberweißer Mähne und Schweif.“

      „Warum hat dein Vater Pleite gemacht?“

      „Das Geschäft ging nicht mehr. Der Bauwirtschaft geht’s heute schlecht.“

      Darüber hatte Heli noch nicht nachgedacht. Verstohlen sah sie sich um. Die Häuser um sie herum waren alle fertig. An allen Fenstern hingen Gardinen. Nirgends gab es Baugerüste oder Männer mit Helmen und in Arbeitskluft.

      Ein Kind kam über den Hof. Heli erkannte schon von weitem, dass es Putte war.

      „Wir müssen rein zum Essen“, sagte sie. „Putte, warte!“

      „Kommst du nachher wieder raus?“

      „Nein, Mama arbeitet.“

      „Was hat das damit zu tun?“ Liza sah sie an.

      „Ich muss auf meinen kleinen Bruder aufpassen.“

      „Ach so.“

      „Tja,

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