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      Inger Frimansson

      Wolken, Wind und Islandpferde

      Saga

      Vorher hatte ich mir niemals vorstellen können, dass etwas so Furchtbares passieren könnte, dass ich, Heli, eine Verbrecherin werden könnte. Dass ich Gunni so etwas antun würde, ihr, die sich immer für mich eingesetzt hat. Auch Tante Anneli. Und mein Bruder Putte. Und ... ja, auch Mama. Lieber Gott, hilf uns, was sollen wir machen?

      Die Zeit, bevor all das Schreckliche passierte, war auch nicht besonders gut gewesen. Doch, vielleicht am Anfang. Aber dann ist so viel dazwischengekommen, so viel. Wenn das Leben so ist, weiß ich nicht, ob ich es mitmachen will ...

      1

      Erst als sie in den Wald kamen, beruhigten sich die Pferde. Heli ließ die Zügel lang, sie strich Sterni über den Hals, ganz schnell. Sternis braunes Fell war verschwitzt, sie hatten miteinander gekämpft, aber Heli hatte sich durchgesetzt. Sie saß mit zitternden Beinen im Sattel, aber sie hatte sich durchgesetzt.

      Vor ihr ritt Liza auf Aurvakur. Eigentlich hatte sie ein anderes Pferd haben wollen, die kleinere, flinkere Harpa, aber Harpa hatte sich auf der Weide nicht einfangen lassen. Sie waren gelaufen, dass die Erde von den Pferdehufen dröhnte und die anderen Tiere in der Herde unruhig geworden waren. Als es ihnen endlich gelungen war, Harpa in eine Ecke zu drängen, hatte sie eine Drohgebärde gemacht und wilde Augen gehabt. So etwas hatte Heli noch niemals bei einem Islandpferd gesehen.

      „Ich nehm sie nicht!”, hatte Liza entschlossen gesagt. „Ich nehme ein anderes Pferd!” Es kam jetzt darauf an, die Pferde schnell einzufangen, damit sie nicht entdeckt wurden. Damit keiner der Erwachsenen kam und sie zurückhielt. Und auf keinen Fall Gunni, der der Stall gehörte. Sie durfte sie einfach nicht sehen.

      Aurvakur war näher gekommen und hatte sich hinter sie gestellt, voller Appetit auf einen Leckerbissen, so wie immer. Er stieß mit dem Maul gegen Lizas Jeansjacke. Sie zog ihm das Halfter an, dann war er ganz leicht wegzuführen.

      Als Erstes hatten sie die Trensen und Sättel hinausgetragen. Dann holten sie Sterni. Das war überhaupt kein Problem gewesen. Er war hinten beim Gatter, seine Ohren waren neugierig und abwartend aufgerichtet. Er wunderte sich bestimmt, warum Gunni nicht dabei war. Als der Wind in seine Mähne fuhr, sah man den weißen Stern auf seiner Stirn, der ihm den Namen gegeben hatte.

      Die Pferde zu satteln war schwierig gewesen. Sonst war das nichts Besonderes, aber jetzt waren sie nervös, klar. Liza hatte es mit Harpas Trense und Sattel versucht, aber beides musste sie zurücktragen. In der Sattelkammer hatte sie dann kein Schild mit Auvakurs Namen gefunden. Panik packte sie, und sie kam heraus und zischte Heli an, als ob das ihre Schuld wäre.

      „Die Sachen hängen immer an Godis’ Platz“, sagte Heli leise. „Godis ist doch nicht mehr da.“

      Sterni hatte sich auf der Weide rund und dick gefressen, sodass es zunächst schwierig war, den Sattelgurt anzulegen. Heli musste um ihn herumgehen und den Sattelgurt auf der anderen Seite unter dem Bauch durchziehen, und während sie das tat, machte das Pferd ein paar unerwartete Sprünge. Das ganze Sattelzeug rutschte auf den Boden. Es war, als ob Sterni spürte, dass etwas nicht stimmte.

      Heli stiegen Tränen in die Augen. Sie hob Satteldecke und Sattel wieder hinauf, und dieses Mal stand Sterni still. Das Besondere bei Isländern ist, dass sie den Sattelgurt etwas weiter hinten tragen als andere Pferde, also dort, wo ihr Bauch am rundesten ist. Sitzt der Gurt nicht dort, können sie sich leicht wund scheuern.

      Das Auftrensen dagegen ging glatt. Sterni stellte sich ein bisschen an, aber das tat er fast immer. Es konnte ja auch kein schönes Gefühl sein, ein kaltes Metallstück ins Maul geschoben zu kriegen, auch wenn Heli das Gebiss mit den Fingern angewärmt hatte.

      „Guter Junge!“, flüsterte Heli, als sie den Kinnriemen verschnallte.

      Ihr Herz schlug so sehr, dass sie meinte, man müsse es außen auf dem Pullover sehen. Ihre Hände waren eiskalt. Es war ein schöner, wenn auch windiger Tag, einer der allerersten, seit sie Ferien hatten.

      „Guck nach, ob das Gatter geschlossen ist.“

      Guck doch selber nach, dachte Heli. Du bist näher dran. Aber sie sagte nichts. Sie ging die zehn Schritt zum Gatter und überzeugte sich, dass der Haken an der richtigen Stelle lag.

      „Dann steigen wir also auf“, sagte Liza.

      Aurvakur lief los, kaum, dass Liza sich im Sattel zurechtgesetzt hatte. Sie schrie das Pferd an, ihre Stimme klang schrill, fast ängstlich.

      „Ich hab die Steigbügel noch nicht erwischt“, sagte sie vor sich hin. Aber sie meinte Heli.

      Der große Schimmel stand still, aber sein Körper zuckte, er wollte zurück zu den anderen Pferden, er warf den Kopf herum und hatte Schaum vorm Maul.

      Seine Unruhe übertrug sich auf Sterni. Einmal stieg er halb. Aber da war Heli noch nicht aufgesessen. Zum Glück, denn Heli hatte noch nie auf einem Pferd gesessen, das unter ihr stieg.

      Die erste Strecke vom Hof zum Wald hinunter war die schwierigste. Einmal, weil jeden Augenblick das Geräusch von Gunnis altem Wagen ertönen konnte, dann, weil die Pferde noch nicht begriffen hatten, wer diesen Aufbruch bestimmte. Drinnen im Wald wurde alles ruhiger.

      2

      Liza war im Herbst neu in die Klasse gekommen. Der Direktor, Olle Berg, kam mit ihr in die Mathematikstunde, und Heli war erleichtert über die Unterbrechung. Das neue Mädchen sah weder ängstlich noch schüchtern aus. Ganz gerade stand sie da mit ihren kurzen Stoppelhaaren und schwarzen Strichen um die Augen. Sie räusperte sich ein paar Mal. Dann starrte sie über die Klasse hinweg, weder freundlich noch feindselig, eher so, als sei es ihr gleichgültig, wer ihre neuen Klassenkameraden waren.

      „Das ist Lizandra Svedenmark“, sagte der Olle und schob das Mädchen nach vorn. „Sie ist jetzt in eurer Klasse.“

      Die Klassenlehrerin, Beata Larsson, lächelte verführerisch. Das tat sie meistens, wenn der Direktor oder ein anderer Mann in der Nähe waren.

      „Willkommen, Lizandra“, sagte sie und kriegte glänzende Augen. „Hoffentlich wird es dir bei uns gefallen.”

      Lizandra machte eine Bewegung, die man als Nicken deuten konnte. Sie trug Jeans und eine etwas dunklere Jeansjacke, und als sie den Kopf nach hinten warf, sahen sie ihre schweren, klappernden Ohrringe.

      „Da hinten ist noch ein Platz frei“, sagte Beata Larsson. „Neben Heli. Heli Hämäläinen. Es mag jetzt schwierig für dich sein, die Namen aller Schüler zu lernen, aber keine Sorge. Das kommt noch. Das hab ja sogar ich geschafft. Und ich hab diese Klasse noch nicht sehr lange. Du wirst das auch schaffen.“

      Sie lächelte den Direktor an, und er lächelte zurück; beide sahen das neue Mädchen erwartungsvoll an. Lizandra ging mit langen, hörbaren Schritten. Als sie auf ihren Platz sank, nahm Heli den Geruch von kaltem Tabakrauch wahr. Aber auch etwas süßliches Parfum.

      „Wo hast du vorher gewohnt, Lizandra?“, fragte Beata Larsson und begann nach ihrem grünen Notizbuch zu suchen. In das schrieb sie die Adressen der Schüler, was für Zensuren sie bei den Arbeiten hatten, ob sie ihre Aufgaben gemacht hatten und andere Geheimnisse.

      „Djursholm.“

      „Ach, Djursholm. Und jetzt seid ihr hierher gezogen?“

      „Ja.“

      „Und wie ist das?“

      Das Mädchen zuckte mit den Schultern.

      „Na ja. Du musst dich erst mit deinen neuen Klassenkameraden bekannt machen. Es ist eine nette Klasse, sag ich dir. Im Augenblick haben wir Mathematik. Ich nehme an, du bist auf dem selben Wissensstand wie wir, oder? Schau solange mit in Helis Buch, wir besorgen dir später eins. Ich muss zugeben, dass unsere Bücher ein bisschen zerlesen sind, so viele Schüler haben sie schon gehabt. Vor euch, vor dieser Klasse. Ich kann mir vorstellen, dass es in Djursholm besser war in dieser Hinsicht. Aber, na ja, wir müssen es nehmen, wie es kommt.“

      Heli befürchtete schon, das neue Mädchen

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