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eines Manuskripts garantierte, kam es dazu, daß die Bände der Edice Petlice bei Hausdurchsuchungen zwar häufig beschlagnahmt, aber dann auch oft zurückgegeben wurden.

      Das Regime durfte keine weiteren Berge von Porzellan zertrampeln, wenn es sich gleichzeitig um einen neuen Eintritt in den europäischen Salon bemühte, was der Große Bruder gerade zu brauchen schien. Noch immer war die Kulturwelt bereit, eher Solschenizyn und Böll zu glauben als Hermlin und Engelmann. Das beeinflußte weiterhin sowohl das Denken der Entspannungspolitiker wie auch die öffentliche Meinung Europas.

      Die Straflosigkeit der Edition war höchstwahrscheinlich von der gleichen Zauberküche garantiert, die für Zet und mich frische Reisepässe gebacken hatte. Die Zeit sollte bald verraten, daß sich die slowakotschechischen Falken, ob sie wollten oder nicht, an der allöstlichen Brautwerbung beteiligen mußten, mit der man den Westen soeben an den Verhandlungstisch der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa lockte. Von ihr versprach sich die Breschnew-Gruppe, daß sie die militärisch-politische Teilung des gefährlichen Kontinents zumindest für jene sprichwörtlich ewigen Zeiten gesetzlich verankern würde.

      Von den vorhergehenden Tauwetterperioden sollte sich diese sicherheitshalber darin konsequent unterscheiden, daß sie keine riskante Erwärmung bewirken, sondern nur ein weiteres Fallen des Quecksilbers verhindern wollte. Die Edition Schloß und Riegel war deshalb nicht im geringsten ein Sproß gesellschaftlicher Bewegung, eine Frühlingsschwalbe, wie es etwa die Filme der tschechischen neuen Welle Anfang der sechziger Jahre waren. Sie war und bleibt ausschließlich Kind ihrer Väter, der tschechischen Schriftsteller der siebziger Jahre, die sich weder als Bürger noch als Künstler entmündigen ließen. Und vor allem Kind ihres Pflegevaters Ludvík Vaculík.

      Als Mitte des vorigen Jahrhunderts die tschechische Sprache und Literatur dank der nie totgeschwiegenen Kralitzer Bibel der böhmischen Protestanten nach zweihundert Jahren Germanisierung von den Toten auferstand, verlegte der legendäre Kramerius sechs Dutzend Bücher, die er allerdings auf Gutenbergs praktischer Maschine druckte. Aus der tschechischen Geschichte ragt er bis heute wie ein Denkmal heraus.

      Vaculík mit seinen maschinenschriftlichen Auflagen von sechzehn bis zweiunddreißig Exemplaren – ein- oder zweimal von Hand getippt – verbrannte unvergleichlich viel mehr Energie unter unvergleichbar schlechteren Bedingungen: Im Unterschied zum geschätzten Unternehmer Kramerius war er ein Geächteter. Weit über zweihundert Neuerscheinungen von Prosa und Poesie, die er so herausgegeben hat, werden ihm einen Platz in der tschechischen Kulturgeschichte auch dann noch sichern, wenn das Wort «husák», das «Gänserich» bedeutet, wieder nur ein Begriff aus der Naturkunde sein wird.

      In der ungleichen Konkurrenz ließ der Ein-Mann-Verlag Vaculík, was die Qualität der veröffentlichten Arbeiten anlangt, alle Verlage des Regimes weit hinter sich. Eigenhändig holte er die tschechische Literatur aus dem Grab, indem er ihre Kontinuität wiederherstellte und den verbotenen Autoren das Gefühl des Publiziertseins wiedergab. Er war es, der als erster das Leben auf den Kulturfriedhof zurückbrachte und den schwierigen und langwierigen Prozeß seiner Auflösung in Gang gesetzt hat.

      In jenem Herbst pflegten wir uns beide mit der uns angeborenen Pünktlichkeit mindestens einmal in der Woche an der öffentlichen Sauna vor dem Nationaltheater zu treffen, um dann drinnen eine Stunde lang miteinander, jeder über etwas anderes zu schweigen, oder zuzuhören, wie sich die Mitschwitzer über Versammlungen unterhielten, über Auslandsreisen und andere Erlebnisse aus einer für uns fremden Welt. Nackt und schnurrbärtig blieben wir unerkannt.

      Im Schwimmbecken, klein wie ein Spucknapf, in die träge dahinfließende Moldau eingetaucht, teilten wir uns dann knapp und leise mit, was das weitreichende Ohr des Regimes nicht hören sollte. Dort antwortete Vaculík mir einmal auf die Frage, wie es ihm gehe, mit dem Satz, den ich selbst weiterhin dankbar anwenden werde, weil er die ganze Einsamkeit von Verfemten ausdrückt:

      «Ich kann mich nicht beschweren. Ich wüßte nicht, bei wem.»

      Im Jahre 1980 wurde er von führenden deutschen Schriftstellern für den angesehenen Preis des deutschen Buchhandels vorgeschlagen, der ihm, neben anderem, eine wichtige Immunität hätte verleihen können. Statt seiner bekam ihn der Geiger Yehudi Menuhin, dessen Schreibbemühungen sich niemals mit Vaculiks Geigenspiel vergleichen lassen. Vaculík spielt auch ziemlich gut Geige.

      Vielleicht wird es mal in der Zukunft für einen schönen deutschen Musikpreis reichen?

      22

      Böhmen, noch Herbst 1974

      Der Geist von Helsinki steckte noch in der Flasche, er sah ärmlich wie ein Embryo aus, doch war er schon ganz lebenslustig.

      Die Schnepfen verließen Böhmen, Zet kam zurück. Die Paß- und Zollbeamten auf dem Flughafen Ruzyně überschlugen sich in Nichtbeachtung. Seit dem Frühlingstag, an dem mich Dr. Černý aus dem Kompost herausziehen ließ, hatte ich keinen Polizisten mehr gesehen, und meine Freunde allesamt ebensowenig. Es schien, daß der mit Wundermacht ausgestattete Mann uns wie eine besorgte Hausfrau jedes Steinchen, über das Zet und ich hätten stolpern und wodurch wir uns dann alles noch einmal hätten überlegen können, aus dem Weg räumte.

      Er war sich, glaube ich, sehr wohl klar darüber, daß ich in dieser Zeit auch das geringste Symptom mit einer starken kollektiven Lupe untersuchte, um rechtzeitig herausfinden zu können, ob die Möglichkeit einer befristeten Reise wirklich Kennzeichen einer Wende zum Besseren oder nur eine List war. Und bestimmt war er sich meiner Solidarität mit den Freunden bewußt, die, wenn ich sie jetzt bezeugen müßte, das zarte Gewebe seiner Mühen unwiederbringlich zerreißen würde.

      In der Unberechenbarkeit byzantinischer Regime, die am stärksten die Bürger bedrückt, welche in ihr Räderwerk geraten sind, liegt paradoxerweise auch die größte Hoffnung auf Befreiung. Zum Tauwetter, wie es seit dem Krieg fast alle, allgemein «östlich» genannten Gesellschaften erlebt haben – Polen sogar einige Male! –, genügt eine unerwartete tektonische Störung in der herrschenden Gruppe.

      Um das System zu erhalten, sind dann die Regime oft zu weitreichenden Konzessionen bereit. Bei glücklicher Konstellation von Personen und Sternen, wie sie hier zuletzt Anfang der sechziger Jahre bestand, kann sich für längere Zeit eine atembare Atmosphäre herausbilden. Bedingung ist, eine solche Chance rechtzeitig zu erkennen, keine wesentlichen Fehler in der Einschätzung von Möglichkeiten und Unmöglichkeiten zu machen, sich nicht auf den Fliegenfänger der listigen Macht zu setzen, aber auch den Schwan der Hoffnung nicht zu verpassen, der so schnell nicht wiederkommt. So verstand ich auch meine Reise nach Hamburg.

      Doch ob es nun eine List war oder der Versuch des vorausschauenderen Teils der Machtgruppe in der sowjetischen Metropole wie auch der Unsrigen, das Odium politischen Ganoventums loszuwerden, das ihnen die Schlägertrupps unter ihnen angeklebt hatten: In diesem Sommer liefen die Interessen der zum Schweigen Gebrachten und der zum Schweigen Bringenden anscheinend parallel. Uns tat die Pause gut.

      Das intensive Spiel auf den Tasten der Schreibmaschine konnte ich durch inständiges Üben auf den Saiten der Gitarre ergänzen. Ich erfüllte mir damit einen Kindertraum und konnte Zet bald ein Lied zum Beginn ihrer Christi-Jahre, womit in Böhmen das dreiunddreißigste Lebensjahr bezeichnet wird, komponieren. Eine fehlerhafte Sicherung in meiner Psyche, die oft Körperkraft mit Willensstärke verwechselt, brachte mir eine neue Sehnenentzündung im Handgelenk ein und verhinderte meine Konzertkarriere. Schade, ich wäre vielleicht – wie der Geiger Menuhin – dem Preis des deutschen Buchhandels nähergekommen.

      Der einzige, der seine Chance restlos nutzte, warst du, mein begabter Dackel. Am Morgen des 6. Oktober schlug deine ruhmreiche Stunde. Die Ehefrau des Ing. Čech, dessen altes Herz so erregt war, daß sie ihn lieber zu Hause ließ, übernahm dich von uns, das letzte Mal, um dich offiziell zu dem entscheidenden Akt, der gefürchteten Musterung auf der Nationalen Zuchtschau, zu begleiten.

      Sie fand unweit des Krankenhauses in Krč statt, wo wir nach den ersten drei Operationen mit sinkender Hoffnung den sterbenden Freund Jan Procházka besucht hatten, unter dem Wald bei Lhotka, der bald zum Teil einer neuen Prager Siedlung weichen sollte. Wir ahnten nicht, daß gerade dieser abgelegene Hügel dreißig Monate nach unserer Vertreibung

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