ТОП просматриваемых книг сайта:
Geschichten vom Pferdehof. Lise Gast
Читать онлайн.Название Geschichten vom Pferdehof
Год выпуска 0
isbn 9788711509425
Автор произведения Lise Gast
Издательство Bookwire
Volker befand sich gerade im Karl-May-Alter und las, gutmütiger Bruder, der er war, oft stundenlang dem Kleinen vor. So beherrschte er alle gängigen Ausdrücke, die sich in seinem Mund altklug und putzig ausnahmen.
„Warum habt ihr Svea nicht mitgebracht?“ fragte Pölze schließlich, als der Redestrom der beiden nachzulassen begann. „Vater hat gesagt, sie wollten endlich mal ungestört sein“, berichtete Volker. Und Thomas setzte hinzu: ‚„Zum Hagelwetter noch eins!‘ hat er geschrien. Aber wir dürfen nie so was sagen. Kinder werden immer unterdrückt!“
16
Dieser erste Abend auf dem Rosenhof verlief um einiges anders als erwartet. Pölze hatte insgeheim gehofft, daß Bertram schon da sei. Und als das nicht der Fall war, rief sie an. „Sinnlos verliebt, wie junge Eheleute das sind“, nannte es Onkel Hipp. In Niederwerth sagte man ihr, er müßte eigentlich schon angekommen sein. So wartete sie und dachte immerzu an ihren Traum. Sie fand sich selbst blöd, aber war nicht auch Kornelias Traum wahr geworden? Obwohl ein Märchenprinz kein Froschkönig ist, aber im Märchen war er doch tatsächlich einer, und im Märchen, das heißt sehr oft: in Wahrheit. Daß Märchen verbrämte Wahrheiten sind, hatte sie längst begriffen.
Gleich darauf schrillte das Telefon, aber es war nicht für sie, sondern für Kornelia. Onkel Hipp rief sie heran, und nun stand die Ärmste hier im Herrenzimmer vor aller andern Augen und mußte „Ja, danke“ und „Ich glaube schon“ und „Genau wie Sie meinen“ sagen, während alle taktvoll schwiegen, daß es schon entsetzlich taktlos war. Sie kam sich vor wie in der dritten Stufe des Fegefeuers mindestens. Gott sei Dank gab es gleich darauf einen entsetzlichen Spektakel im Flur, und als Tante Ulle, die der Tür am nächsten saß, noch immer flink wie in ihren besten Zeiten, diese öffnete, um nachzusehen, schoß Tina herein, merkwürdig anzusehen. Sie trug einen grünen Jägerhut auf dem Kopf und schleppte einiges hinter sich her – eine Lederweste, aus der sie schon wieder halb herausgeschlüpft war, und einen Gürtel mit einigem klirrenden Krimskrams dran. So raste sie quer durchs Zimmer und kroch unter Kornelias Stuhl.
„Wer hat ...“
Na, wer wohl? Natürlich die beiden Jungen, Volker und Thomas. Kornelia hatte die Bekanntschaft zwischen Hündin und Jungen gleich beim Treffen ordnungsgemäß angebahnt, sie an die zwei herangeführt, sie beschnuppern lassen und sie gelobt, als sie von selbst die Pfote hob, um sie ihnen zu geben. Der Erfolg war, daß sie nun meinten, sie würde sich alles von ihnen gefallen lassen. Natürlich wären sie, seit Jahren auf einem Gutshof lebend, nie auf den Gedanken gekommen, ein Tier zu necken oder gar zu quälen. Thomas wollte sie nur „mal schön anziehen“, und so hatten sie einiges von den Garderobenhaken heruntergeholt und sie damit geschmückt. Erst ließ sie es sich gutmütig gefallen, aber dann wurde es ihr doch zu arg ...
„So was! Zur Strafe geht ihr aber jetzt sofort ...“
„... ins Bett“, hatte Vater Conrad sagen wollen, da aber hatte Volker, der sehr wach und ein guter Beobachter war, durchs Fenster die Scheinwerfer erspäht, die in den Hof einbogen.
„Onkel Bertram kommt bestimmt. Das ist er!“ schrie er und sauste ab, dem Kommenden entgegen. Thomas folgte, die Tür im Rennen mit einem ungeheuren Krach hinter sich zuschmetternd. Dieser Krach fuhr Pölze durch Mark und Bein. Kornelia, die die Freundin zufällig in diesem Moment ansah, faßte nach ihrer Hand.
„Was hast du?“
„Ach, ich weiß nicht –“ Sie fühlte wieder diesen wilden, schneidenden Schmerz. Und nun jagten sich die Ereignisse derart, daß keiner richtig zur Besinnung kam, am wenigsten Pölze. Sie konnte erst wieder denken, als sie in Tante Ulles Bett, in das man sie schleunigst geschafft hatte, ihren neugeborenen Sohn in den Arm gelegt bekam. Himmel, war das ein ereignisreicher Tag. Sechs Wochen zu früh – und wieder ein Sohn. Diesmal hätte es ja eine Tochter sein sollen. Und auf dem Rosenhof geboren, kein Mensch bekam sonst noch Kinder zu Hause, und einen Namen hatte man auch nicht zur Hand. Dies alles wirbelte durch ihren Kopf, während sie das winzige Geschöpf betrachtete, voller Rührung und Dankbarkeit, dankbar auch dafür, daß es so schnell gegangen war. Nach Bertis Start ins Leben, der eine ganze Weile gedauert hatte, war ihr vor diesen Stunden ein wenig bange gewesen, je näher sie heranrückten, obwohl sie nie etwas gesagt hatte. Nun waren sie in eine knappe Dreiviertelstunde zusammengedrängt worden. Wenn man da auch nicht zu Verstand kam, jetzt waren sie vorbei. Sie sagte so etwas zu Bertram, der sich über sie beugte.
„Ja, mein Herz, Gott sei Dank, wunderschön. Großartig hast du das gemacht, und ich finde den zweiten Sohn mindestens so schön wie eine erste Tochter. Und ein Name wird sich schon finden.“
„Ich weiß: Kornelius!“ sagte Pölze in einer plötzlichen Erleuchtung. „Kornelius, nach Kornelia. Dort guckt sie nämlich durch den Türspalt. Herein mit dir, Kornelia Kayser. Hiermit übertrage ich dir feierlich das Amt einer Patin, denn nach dir soll unser Sohn heißen. Da du den ganzen Tag heute, an seinem Geburtstag, keinen anderen Gedanken hattest als an ihn, oder mich, seine Mutter – rührend, wie du bist ...“
Kornelia wurde wieder einmal feuerrot. Sie lachte und kam heran, betrachtete das Miniaturmenschlein mit schiefgehaltenem Kopf, so wie sie etwa ein neugeborenes Fohlen taxierte – „schräge Schulter, guter Hals, hm, kann was werden“ –, und setzte sich dann auf den Stuhl neben Tante Ulles Bett.
„Wenn ich wüßte, wie der Froschkönig heißt“, sagte sie versonnen, „ich meine, mit Vornamen ...“
„Dann, meinst du, sollten wir ihn nach ihm nennen?“ fragte Pölze hinterlistig und so ernsthaft, wie es nur ging. Kornelia merkte nichts.
„Ja, das meine ich“, sagte sie und nickte nachdrücklich, „ist doch weiter nicht verwunderlich, oder? Unsere Begegnung hatte etwas Schicksalhaftes, finde ich. Freilich, wenn er Nebukadnezar oder Fridolin heißt, aber das glaube ich nicht. Nein, das glaube ich wirklich nicht. Du etwa?“ fragte sie, als Pölze nicht antwortete.
„Nein, ich auch nicht“, sagte Pölze. Und dann platzte sie heraus, und Tante Ulle, die gerade zur Tür hereinsah, wurde ganz ärgerlich.
„Kurz nach der Entbindung so zu lachen; also zu unserer Zeit ...“
„Da haben sicher auch welche gelacht, wenn ihre Söhne Nebukadnezar oder Fridolin heißen sollten“, brachte Pölze mühsam hervor. Tante Ulle aber schüttelte den Kopf.
„Dann schon Fridolin“, entschied sie, „nein, Neb ... – ach, ich weiß einfach nicht, wie der hieß, so jedenfalls nicht. Das klingt ja geradezu kriminell.“
„Es war ein König, Tante Ulle, ein babylonischer“, röchelte Pölze, „aber wir wollten ja gar nicht. Auch nicht Fridolin ...“ Sie konnte nicht weitersprechen. Ganz schnell waren ihre Augen, die noch in Lachtränen schwammen, zugefallen. Das Kinn an das Köpfchen ihres neugeborenen Kindes gelehnt, war sie eingeschlafen, so plötzlich und übergangslos, daß sogar Tante Ulle leise wurde.
„Komm raus, Kornelia, sie braucht Ruhe!“ flüsterte sie und wollte das Mädchen mit sich ziehen. Kornelia aber machte ihre flehenden Augen.
„Frau Elgers, bitte, bitte, darf ich noch bleiben?“ bettelte Kornelia. „Bei Stuten, die gefohlt haben, bleib’ ich auch immer noch, bis es hell ist. Ich sitze auch ganz still und störe bestimmt nicht! Aber ich möchte so gern. Und es ist sicher gut, es ist jemand bei ihr.“ Sie dachte an Pölzes plötzliche Fieberattacke in der vorigen Nacht.
Sie sagte nichts davon, aber Tante Ulle schien etwas davon zu spüren, denn sie wurde mit einem Male nachgiebig, was bei ihr bemerkenswert selten war.
„Meinst du? Die Hebamme“ – sie hatten noch eine geholt, die allerdings zu spät gekommen war – „sagt doch, es wäre alles tadellos in Ordnung?“
„Ist es sicher auch. Trotzdem.“
„Dann krieche in Onkels Bett. Warte ...“ Tante Ulle öffnete leise den alten Eichenschrank und hantierte mit Bettlaken und Bezügen.„Vielleicht hast du recht, wenn ich auch finde, es sollte ein Erwachsener dasein.“