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karenzieren zu lassen. Meine Lust war groß und das Risiko überschaubar. Jetzt galt es, die Sache kommunikativ anzupacken. Die erste Station war natürlich meine Familie. Meine Frau hatte Bedenken, schließlich hatten wir im Frühjahr 2006 unseren zweiten Sohn Jannik bekommen, und sie wollte natürlich keine alleinerziehende Mutter sein, auch Jonas war noch keine vier Jahre alt. Doch schon als Nachwuchstrainer war ich ja viele Wochenenden unterwegs gewesen, und so konnte ich sie zum Glück überzeugen, vor allem auch mit dem Argument, dass es ohnehin nur drei Jahre sein würden.

      Im Nachhinein betrachtet habe ich meiner Familie viel zugemutet, vielleicht sogar zu viel. Aus drei Jahren wurden schließlich zwölf, und wenn man bedenkt, dass beide Großeltern, die fantastisch mitgearbeitet haben, nicht einmal in einem Umkreis von zwei Stunden wohnen, dann kann man sich vorstellen, wie oft meine Frau alleine war und die Gesamtsituation mit zwei kleinen Kindern geschultert hat.

      In der Schweiz wurde ich sehr nett aufgenommen und hatte schnell das Gefühl, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Die mediale Einführung meiner Person mit über 20 Journalisten übertraf meine Erwartungen, und daran konnte man auch ablesen, welchen Stellenwert sich Küttel und Ammann unter der Leitung meines Vorgängers Berni Schödler in den Vorsaisonen erarbeitet hatten.

      Mit Andreas Küttel war ich schon auf der einen oder anderen Schanze dieser Welt ins Gespräch gekommen, aber Simon Ammann war für mich bisher nicht greifbar gewesen. Medial hatte ich seine Erfolge und sein Auftreten verfolgt, seine Medaillengewinne bewundert, aber in letzter Konsequenz keine weiteren Informationen über ihn. Umso neugieriger war ich auf unser erstes Treffen. Unkompliziert und offen trat er mir entgegen und erzählte viel Persönliches. Bei der Frage nach seinen Zielen und Träumen traute ich meinen Ohren kaum: »Ich würde so gerne mal eine ganze Saison konstant durchspringen, um eine Chance auf den Gesamtweltcup zu haben, aber das fällt mir unheimlich schwer. Weißt du, bei einem Großereignis die Leistung auf den Punkt zu bringen ist für mich nicht so schwer, aber von November bis März die Leistung abrufen bereitet mir Mühe.«

      Ich kippte fast aus den Schuhen. Träumte doch die ganze Welt davon, einmal eine Medaille bei einem Großereignis zu machen, saß hier ein Doppelolympiasieger und Weltmeister vor mir, der dies als weniger schwierige Übung beschrieb, den aber andere Limits bei der Leistungsentfaltung beschäftigten.

      Ich fühlte mich auf dem Prüfstand als Trainer, erwartete er sich doch eine Perspektive, um dieses Problem zu lösen. Schließlich wollte er sich mit dem neuen Trainer weiterentwickeln. Ich atmete einmal tief durch und erläuterte ihm in ruhigem und sachlichem Ton einen technischen Lösungsansatz. Aus der Ferne habe ich das Gefühl, dass seine Sprungtechnik mental und physisch sehr anspruchsvoll sei und kein Mensch der Welt in der Lage wäre, über vier Monate den erforderlichen Frischelevel aufrechtzuerhalten, sodass Einbrüche vorprogrammiert seien. Die Antwort stellte ihn zufrieden, und die Arbeit konnte beginnen.

      Das Jahr in der Schweiz war in Summe für mich ein Lernjahr im Weltcup. Meine Vision war es, ein Team rund um die beiden Topstars aufzubauen. Ich musste jedoch sehr bald erkennen, dass man zwar in Österreich in puncto Nachwuchsrekrutierung aus dem Vollen schöpfen konnte, es hier aber ungleich schwieriger war, den Anschluss an die Elite herzustellen. Weiters war ich damit konfrontiert, dass im Weltcup ein rauer Umgangston herrschte und das Materialthema ein viel dominanteres ist als in der Jugendausbildung, wo doch der Mensch im Mittelpunkt der Entwicklung steht. Leistungsmäßig konnte ich Ammann und Küttel im etablierten Kreis der Top Ten halten, aber die erhoffte Weiterentwicklung der beiden blieb aus. Die Anschlussleistungen, insbesondere von Guido Landert, hatten sich verbessert, aber das interessierte die Medien wenig, und ich sehnte das Saisonende herbei.

      Nahezu zeitgleich spürte man eine enorme Unruhe im deutschen Team. Nach erfolgsverwöhnten Jahren unter Trainer Reinhard Hess und den Vorzeigeadlern Martin Schmitt und Sven Hannawald klaffte zwischen Anspruch und Wirklichkeit schon seit geraumer Zeit eine Lücke, die im Laufe der Jahre größer statt kleiner wurde. Bei der Skiflug-Heim-WM in Oberstdorf war man von den Medaillen sehr weit weg, was die Verantwortlichen für eine Zäsur nutzten. Alle im Skisprungzirkus, insbesondere die breit gefächerte mediale Seite, warteten gespannt, was der Deutsche Skiverband für Maßnahmen ergreifen würde, um in Zukunft wieder zu den Sieganwärtern zu gehören. Schließlich war der deutsche Markt enorm wichtig, und von einer funktionierenden deutschen Skisprungmannschaft würden wiederum alle profitieren. Startrainer wie Toni Innauer, Mika Kojonkoski oder Tommi Nikunen standen auf der Spekulationsliste ganz oben.

      Da aber just in diesem Jahr wegen des kurzfristig gescheiterten Fernsehvertrags mit dem Privatsender RTL Millionen in der Kassa fehlten, beauftragte man Horst Hüttel mit der sportlichen Leitung der Skisprungmannschaft. Hüttel hatte sich in der Nordischen Kombination einen Namen gemacht und überzeugte die Verantwortlichen mit einem hohen Sachverstand und außergewöhnlichem Engagement.

      Hüttel würde ich als einen langjährigen, grenzüberschreitenden Freund und Kollegen bezeichnen. Wir waren in den 80er-Jahren als Schüler schon gegeneinander gesprungen, hatten uns später als Trainer wiedergetroffen und uns gut verstanden.

      Irgendwann im März 2008 klingelte das Telefon, und am anderen Ende der Leitung war Horst Hüttel. Er schilderte mir die Situation in Deutschland, erläuterte mir seine Idee, mich als neuen Bundestrainer gewinnen zu wollen und bat mich um ein Treffen. Gestresst und ausgelaugt vom Saisonverlauf versuchte ich, ihn abzuwimmeln, argumentierte mit meiner Unerfahrenheit und einer mündlichen Zusage den Schweizern gegenüber, bis Olympia in Vancouver 2010 zur Verfügung zu stehen. Er reagierte verständnisvoll, pochte aber auf ein persönliches Treffen und meinte, er käme sofort zu mir nach Mieming. Es war 21.30 Uhr.

      Am nächsten Tag stand er vor meiner Tür, mit mehreren Aktenordnern bewaffnet. Begeistert offerierte er mir seine Pläne und die Möglichkeiten, die Skisprungdeutschland seiner Meinung nach bieten würde. Ich wäre das Puzzleteil, das ihm dazu fehlte. Er schmierte mir Honig um den Mund, dass er meine Trainerqualitäten schon sehr lange beobachte, von meinen Erfolgen beeindruckt sei und mir vollen Rückhalt geben würde. Kurz: Er überrollte mich wie eine Dampfwalze.

      Die Situation raubte mir den Schlaf. Ein junger, bisher nur in Insiderkreisen bekannter österreichischer Trainer hatte die Wahl, Cheftrainer in der Schweiz oder in Deutschland zu sein. Nach außen versuchte ich, mir nichts anmerken zu lassen, und spulte mein Programm wie gewohnt ab. Im Skisprungzirkus lag eine gewisse Spannung in der Luft, wurde doch heftig spekuliert, wer denn dieses Amt in Zukunft bekleiden könnte. Wurde ich in eine Diskussion zu dem Thema hineingezogen, hielt ich mich bedeckt. Alles kam mir ein wenig unwirklich vor.

      Hüttel ließ nicht nach und arrangierte ein Treffen mit dem deutschen Generalsekretär und übergeordneten Sportdirektor Thomas Pfüller. Wir trafen uns an der Autobahnraststätte Pettnau bei Telfs zum thematischen Austausch. Pfüller, dem ich offensichtlich kein Begriff war, testete mich und wollte von mir ein Konzept und Ansatzpunkte hören. Dabei schilderte ich ihm unverblümt meine Eindrücke und die Arbeitsweise, die ich an den Tag legen würde, um den deutschen Skisprung nachhaltig voranzubringen. Ich nahm kein Blatt vor den Mund und scheute mich auch nicht, kritische Themen anzusprechen. Ich hatte aus der Ferne beobachtet, dass unter den deutschen Trainerkollegen mehr gegeneinander als miteinander gearbeitet wurde. Die Tatsache, dass ich den Job nicht unbedingt brauchte, machte mich frei, und meine Ansätze schienen Eindruck hinterlassen zu haben.

      Meine Gedankenwelt war durcheinander, hatte sich doch in meinem bisherigen Leben alles so schön gefügt: Schule, Stams, Studium, Karriereende mit Übergang in das Multiplikatorenprojekt, Trainer in Stams, ÖSV, Schlierenzauer, Schweiz. Nun schien erstmals das Timing schlecht zu sein. Würde ich mir selber treu bleiben, dann müsste ich noch die nächsten zwei Jahre in der Schweiz bleiben und dann auf den nächsten Schritt hoffen. Doch mir war klar, dass dann in Deutschland ein anderer am Steuer sitzen und ich möglicherweise nicht mehr gebraucht werden würde. Ich war innerlich zerrissen.

      Das Weltcupfinale in Planica stand an. Noch war nichts entschieden, aber die Anzeichen in meinem Kopf verdichteten sich. Die sportlich geprügelte deutsche Mannschaft mit den Athleten Schmitt, Uhrmann, Neumayer und Späth reagierte auf die harsche Kritik der Medien an den Routiniers mit einem eigens bedruckten T-Shirt, das auf die prekäre Nachwuchssituation hinwies. Spekulationen über die Zukunft des einstigen Big Players im

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