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aber in erster Linie ist die Überzeugung und richtige Einschätzung entscheidend. Wer sich öfter in Grenzsituationen begibt, kann diese besser einschätzen, schärft seine Sinne und verbessert die Wahrnehmung. Die Treffsicherheit bei Entscheidungen erhöht sich, und die Erfolgswahrscheinlichkeit steigt. Manches, was Außenstehenden als verrückt erscheint, ist in Wahrheit wohlüberlegt und gut kalkuliert. Der Spielraum für Situationen, die risikobehaftet sind und an denen man wachsen kann, ist heutzutage massiv eingeschränkt.

      1987 eröffnete uns Liss, dass er ein Angebot als Cheftrainer in Frankreich annehmen werde. Unsere Erfolge hatten sich herumgesprochen, und die Franzosen wollten in einem Fünf-Jahres-Projekt eine erfolgreiche Mannschaft für die soeben zugesprochenen Olympischen Spiele in Albertville stellen. Im Nachhinein erfuhr ich, dass er eigentlich gar nicht von uns wegwollte. Er hatte sich gescheut, das Angebot der Franzosen abzulehnen, und so viel Geld verlangt, dass er sich sicher gewesen war, sie würden ihm absagen. Zu seinem Erstaunen nahmen sie an und statteten ihn mit einem langfristigen Vertrag aus. Er war im Herzen nie von geschäftlichen Gedanken geleitet. 1990 beendeten die Franzosen den Kontrakt einseitig, weil ihnen die Fortschritte nicht sichtbar genug waren.

      Wer weiß, was passiert wäre, hätte ich nicht Liss als Trainer bekommen. Hätte ich es trotzdem geschafft, ein passabler Skispringer zu werden? Vielleicht. Aber ganz sicher wäre ich ein anderer Mensch und definitiv nicht ein so erfolgreicher Trainer geworden. Grundsätze seiner Arbeit haben mich geprägt und begleiten mich bis heute. Die Wärme, die ich als Mensch gespürt habe. Die Kompetenz, mit der er uns geführt hat. Den Mut, mit dem er oft vorangegangen ist. Das Vertrauen, das er jedem Einzelnen mitgegeben hat. Die Ruhe, die er speziell in kniffligen Situationen ausgestrahlt hat. Jugendliche lechzen in diesem Lebensabschnitt nach Orientierung. Was für ein Glück, wenn man als Heranwachsender solchen Menschen begegnet. Danke dafür!

      Als er 2001 auf der Heimfahrt vom Weltcupspringen in Willingen verunglückte, war die Bestürzung im Umkreis groß. Beeindruckend, welche Spuren er hinterlassen hat, nicht nur im Sport. Obwohl sich unsere Kontakte reduziert hatten, war ich tief betroffen. Mit ihm hatte ich die – neben meinen Eltern – prägendste Person meines bisherigen Lebens verloren.

      Nach dem Weggang von Liss nach Frankreich ging es für mich aber erst einmal auf die Matura zu, und ich war sportlich weiterhin auf Erfolgskurs. In der Saison 1987/88 kam ich das erste (und einzige) Mal aufs Podium eines Weltcupspringens und erreichte in Oberstdorf mit dem siebten Platz den gefühlt größten Erfolg in meiner Skisprung-Karriere. Das führte dazu, dass ich von September bis Ostern nur zehn Schultage absolviert hatte und die Matura splitten musste. 1989 schloss ich dann mit Matura am Schigymnasium ab und ging direkt in den Staatsdienst beim Bundesheer über.

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      1987: Heinz Kuttin (links) und ich (Mitte) mögen weiter gesprungen sein, Markus Steiner (rechts) hat eindeutig die Frisuren-Wertung gewonnen

      Es war ein regnerischer Julitag, und die Gischt spritzte mir ins Gesicht auf der Ladefläche des Bundesheerfahrzeugs. Unglücklicherweise hatte ich den Platz direkt an der Ladeklappe gewählt, um mehr Frischluft zu erhaschen. Die Feuchtigkeit wurde durch die Sogwirkung ins Fahrzeug getrieben und durchnässte mich. Ich blickte nachdenklich nach hinten, sah ein Zivilfahrzeug und fühlte mich in eine andere Welt versetzt.

      Bis vor Kurzem noch frei und unabhängig und mit großem Gestaltungsfreiraum meines Sportlerlebens, war ich jetzt uniformiert einer unter vielen und gleichzeitig durch hierarchische Strukturen total entmündigt. Der Umgangston beim Militär, die Einschüchterungen und das gezielte »Gefügigmachen« irritierten mich sehr. Es waren nur sieben Wochen, bis ich wieder in meine geschützte Werkstätte, den Spitzensport, zurückkehren durfte, aber diese Wochen haben nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Als Kadersportler hatte man die Möglichkeit, an ein Sportleistungszentrum zu wechseln. Eigentlich eine fantastische Einrichtung mit vielen Möglichkeiten und Freiheiten, aber mir war der Sprung aus Stams in diese andere Welt zu heftig. Hier war der Umgangston rau, und es ging nicht darum, die Dinge einfühlsam, wertschätzend und logisch zu bearbeiten, sondern nach Vorschrift korrekt. Ein solcher Zugang bereitet mir bis zum heutigen Tag Schwierigkeiten.

      Diese Wintersaison verlief überhaupt nicht nach Wunsch. Ab Februar herrschte akuter Schneemangel, und die Möglichkeiten, Kaderergebnisse zu erzielen, waren eingeschränkt. Erstmalig in meiner Karriere verlor ich den Status, permanentes Mitglied des österreichischen Skiverbandes zu sein. Zum ersten Mal machte sich in meinem Leben so etwas wie Orientierungslosigkeit breit.

      Als Sportler müsste man, pragmatisch gesehen, danach lechzen, einen Platz beim Bundesheer zur Ausübung des Spitzensportes zu ergattern. Sozial abgesichert, mit optimalen Trainingsbedingungen. Den rauen Umgangston musste man dafür einfach wegstecken. Ich hatte das nicht geschafft, und somit war die beste Alternative, ein Studium zu beginnen. Alles andere lässt sich mit der notwendigen Reisetätigkeit eines Spitzensportlers nicht vereinbaren. Eigentlich hatte ich nie studieren wollen. Das ewige Hineinpauken von mehr oder weniger sinnvollen Inhalten ohne das Gefühl, etwas Produktives geleistet zu haben, ermüdete mich, aber ich wollte meine Freiheit zurück.

      Kleinlaut fragte ich meine Eltern, ob sie ein Studium wirtschaftlich unterstützen würden, da ich auch noch weiter Ski springen wollte. Selbstverständlichkeit schlug mir entgegen, und obwohl ich keinen konkreten Plan vorweisen konnte, umfing mich wieder dieses Urvertrauen, das ich so zu schätzen wusste.

      Gemeinsam mit einem Kollegen vom Militärdienst startete ich das Sportstudium an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck. Durch meine gute und vielseitige Grundausbildung im athletischen Bereich kam es auch vor, dass mich Studentinnen fragten, ob ich ihnen beim Hochsprung helfen könne, das erforderliche Limit zu überspringen. Einmal endete eine Trainingssession mit einer netten Südtirolerin nach einem Nasenbeinbruch im Krankenhaus. Vielleicht fehlte mir als Spitzensportler doch ein wenig das Einfühlungsvermögen für Otto Normalverbraucher.

      Sportlich schaffte ich 1991 wieder den Sprung in den B-Kader und trainierte zusammen mit den Nachwuchshoffnungen Werner Rathmayr, Andreas Goldberger und Martin Höllwarth. Skisprungtechnisch war es eine unglaublich interessante Zeit, weil eine neue Stilrichtung, der V-Stil, aufkam. Der Schwede Boklöv wurde zunächst massiv von den Wertungsrichtern benachteiligt, obwohl er schon den Gesamtweltcup gewonnen hatte. Die Stilrichtung fand Nachahmer mit Kiesewetter, Zünd etc., und die FIS musste das Bewertungssystem nachjustieren. Daraufhin ordnete der österreichische Nationaltrainer und Visionär Toni Innauer eine Stilumstellung für alle österreichischen Skispringer an. Er war felsenfest davon überzeugt, dass dieser Stil aerodynamisch Vorteile brächte und Toptalente sich einen Vorsprung erarbeiten könnten, wenn sie sich mit dieser Technik anfreunden würden.

      Auch ich versuchte mich in der neuen Technik, aber mit bescheidenem Erfolg. Im Herbst entschied ich, zur alten Technik zurückzukehren, weil ich mir davon mehr Stabilität versprach. Dies sollte sich als fatale Fehlentscheidung entpuppen.

      Die Saison 1991/92 brachte den Durchbruch für den V-Stil, wesentlich mitgeprägt von Österreich und dem Visionär Innauer, aber auch andere Nationen waren nicht untätig, und der 16-jährige Finne Toni Nieminen gewann so die Vierschanzentournee und Olympiagold in Albertville auf der Großschanze. Umso bemerkenswerter, dass das zweite Olympiagold auf der Normalschanze an den Routinier Ernst Vettori ging, der es als erster etablierter Springer geschafft hat, einen Titel in der alten und neuen Stilrichtung zu gewinnen. Weißflog folgte zwei Jahre später in Lillehammer.

      Ich versuchte, nachdem ich bei der Olympiaqualifikation für Albertville gescheitert war, die Umstellung doch noch zu schaffen und begab mich mit meinem Vater nach der Skiflugveranstaltung in Oberstdorf auf selbige Anlage mit einem spektakulären Plan: Am Scheitelpunkt des Aufsprunghügels des Monsterbakkens baute ich eine zehn Zentimeter hohe Schneeschanze. Mit der entsprechenden Geschwindigkeit sollte es mir gelingen, vom Boden abzuheben, direkt in den steilen Teil des Aufsprungs einzutauchen und den Hang hinunterzugleiten. Zu dieser Zeit war das ein probates methodisches Mittel, die Flugphase zu simulieren. Man spürte unmittelbar nach dem Absprung den Staudruck unter den Skiern und konnte dadurch schnell versuchen, die erforderliche V-Gleitposition einzunehmen. Das alles war schon auf kleineren Schanzen, wo Sprünge auf 20 oder 30

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