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Jedem das Seine - Band I. Nataly von Eschstruth
Читать онлайн.Название Jedem das Seine - Band I
Год выпуска 0
isbn 9788711472958
Автор произведения Nataly von Eschstruth
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Schlüchtern trat hastig neben Mortimer und legte ihm scherzend die Hand über die Augen.
„Halt, mein lieber Junge! Jetzt spielen wir Blindekuh, bis ich dich freigebe! Wir sind gerade im rechten Augenblick gekommen, und du wirst deinen Glauben an die Wunder des Südens, welchen du in den kleinen Gassen drunten zu verlieren schienst, schnell wiedergewinnen!“
Während des Sprechens hatte er Marken langsam vorwärts an eines der Bogenfenster geführt; ein köstlich frischer Lufthauch wehte ihnen entgegen und der junge Kaufmann zog lächelnd die Hand von den Augen des deutschen Offiziers und rief mit heiterem Pathos: „Sieh Byzanz und stirb nicht, sondern lebe weiter!“ — Und Mortimer schaute einen Augenblick sprachlos, wie geblendet, auf den schönsten aller Rundblicke, welcher jemals einem Menschenauge geboten werden kann.
Ja, sie waren just im rechten Moment gekommen!
Wie ein glühender Feuerball sank die Sonne.
Ströme wallenden Purpurs fluteten durch die kristallklare Luft, welche in tiefblauer Unendlichkeit Meer und Welt umrahmte.
Das war ein Funkeln und Blenden, ein Glühen und Blitzen, als ob Riesenhände alle Edelsteine der Welt um die Gestade des Bosporus aufgehäuft hätten, — eine Farbenpracht, so satt, so üppig, so verschwenderisch ausgegossen wie die Phantasie eines Fiebertraumes, lag über Stadt und Flut, über der demantzitternden, spiegelnden Flut des goldenen Horns, welche dort im Süden von der neuen Brücke überspannt wird!
Hinter ihr grüsst Stambul, das sagenreiche, verzauberte, mit seiner Agia Sophia, neben ihr steigt wie ein Luftgebilde die Irenenkirche, die Achmediek und die hohe Pforte und näher hin gegen das wogende, azurblaue Wasser die Valide Dschami empor.
Und dort im Westen!
Da brennen lodernde Fackeln auf einer Kuppel — da steigen blitzende Sonnen auf, da glühen Riesenaugen wie Rubine! ... Es ist die Moschee Osmans ... die Bajazids ... und fernhin, gleich einer Fata Morgana aus blaugrünen Schatten steigend, das Schloss mit den sieben Türmen!
Und dort ... wieder ein Funkenregen und Geflimmer wie daheim bei einem Feuerwerk, — die Moschee Mohammeds des Zweiten und die Selims neben dem Balat!
Mortimer hört kaum die Namen, welche der Freund ihm nennt, — sprachlos, wie trunken vor Entzücken, starrt er auf das Panorama nieder, welches, in alle Märchenpracht voll Licht und Glanz getaucht, zu ihm emporfunkelt.
Er unterscheidet nicht die Einzelheiten, er sieht nur das Ganze, er sieht nur das bunte Gewoge von Galata, Ohmeidan und Hasskiöi, er sieht weithin über die zauberische Flut des Marmarameeres, er sieht die geheimnisvollen Parks und Lustgärten am Gestade des Bosporus .. er sieht Fyndykly, Dolmabagtsche und das malerische Skutari ... sein Blick schweift hinüber zu der asiatischen Küste, wo der weisse Marmorpalast Bejlerbej aus dunklen Lorbeeren, Zypressen und Myrtenhainen herüberglänzt, wie jenes zauberhafte Schloss aus seinem Märchenbuch, in welchem die stolze, spottende, allerschönste Prinzessin neben den plätschernden Springbrunnen ruht und ihm mit grausamen, erbarmungslosen Augen zuflüstert: „Ich bin nicht Lakmeh, die liebeskranke Taube! und ich werde leben, weil ich dich nicht liebe!“ —
Ja, dies ist Konstantinopel!
Dies ist das Land seiner Träume und seiner Sehnsucht! —
Mortimer atmet so schwer und verharrt so schweigend, dass Schlüchtern endlich lachend seinen Arm schüttelt!
„Mensch, schläfst du?!“ —
Da streicht Marken langsam über die engen. „Nein, ich schlafe nicht — ich träume dennoch die schönsten Träume!“
„Das ist für mich etwas langweilig, und darum sei nicht böse, wenn ich deine Nerven wachrüttle! Sieh mal hier, die Feuerwächter sind liebe Kerls! sie sehen es dir blauäugigem und blondlockigem Schwärmer schon an, dass du sicher den Mondschein noch hier droben abwarten willst, und da bieten sie uns Kaffee und Tabak an! Gestatte, dass ich dir serviere! Du kannst ohne Bedenken zulangen! Beides ist gut und echt! — Und nun wollen wir es uns behaglich machen und warten, bis dieses Bild so schön und magisch wird, dass du zum Dichter ausartest!! — Der Sonnenglanz ist mir, ehrlich gestanden, zu grell!“
„Zu grell?!“
„Ja, wenn man den ganzen Tag über die Augen müde geschrieben hat, sind sie gegen diese allzu bunte und blendende Schönheit empfindlich geworden. Das Tageslicht hat fraglos auch seine Vorteile und man muss den Orient auch darin kennen lernen! Aber es ist für viele Dinge zu indiskret! Es zeigt nicht nur Gold und Herrlichkeit, sondern auch viel Schmutz, Schminke und Verkommenheit! Der silberne Mond ist vorteilhafter und verschwiegener. Am Tag ist jede orientalische Stadt schön von aussen und hässlich von innen, — nachts ist sie überall schön. Es gibt nichts Feenhafteres als Konstantinopel unter klarem Sternenhimmel; wenn du nicht die dunklen, betenden Gestalten der Muezzins gegen den klaren Nachthimmel gesehen hast, wenn du nicht im Mondschein auf dem Bosporus Kahnpartien gemacht, kannst du noch nicht von dem seelenbestrickenden Zauber des Südens reden! — So; und nun Prost! ich heisse dich noch einmal mit dem Trank der Levante willkommen und erlaube mir die ebenso bescheidene wie gerechtfertigte Anfrage: „Wie kommst du hierher und was ist in der Heimat, während unserer Trennung, aus dir geworden?“ —
Mortimers sonst so übermütige Augen hingen wie in schwärmerischer Träumerei an der fremdartigen Welt zu seinen Füssen.
„Muss ich jetzt sprechen?“ —
„Selbstredend! und zwar nicht zu knapp.“
„Gut. Du warst seit jeher ein Tyrann.“
„Danke!“
„Von meinem Leben ist so gut wie nichts zu berichten —“
„Ach!!“
„Ich ging den engbegrenzten, vorschriftsmässigen Pfad, lernte, machte mein Examen, trat als Leutnant bei dem dritten Garderegiment zu Fuss in der Residenz ein und lebte dort, trotz meiner ganz anständigen Zulage, so enorm einfach und sparsam, dass meine Kameraden behaupteten, ich hätte sogar schon die Butter von meinem Speisezettel gestrichen und nährte mich von Margarine!“
„Pfui Deiwel! Und warum? Aus Geiz oder Absonderlichkeit?“ —
„Aus Idealismus!“ —
„Hört! hört!!“ —
„Ich wollte und musste sparen, Hans, um mir den glühendsten Wunsch meines Lebens erfüllen zu können ...“
„Donnerwetter! — Liebesheirat?!“ —
Marken lachte hell auf: „Vielleicht die Ouvertüre dazu! Nein, fürerst, um hierher nach Konstantinopel reisen zu können.“
„Ach! nun verstehe ich. Warum musste es aber gerade das alte Byzanz sein?“
„Weil dies zauberhafte Stückchen Erde es mir seit Kindesbeinen angetan hat, mein lieber Hans! Seinem Schicksal entgeht kein Mensch, und damit sich das meine an mir erfülle, kam ich her!“
„Dunkel ist deiner Rede Sinn, und das Rätselraten war seit jeher meine schwache Seite!“
Mortimer lächelte seltsam, halb humoristisch, halb geheimnisvoll. Er blies die blauen Wölkchen seiner duftenden Zigarette vor sich hin und schaute den Frager nicht an.
„Ich bin überzeugt, dass du mich auslachst, wenn ich die Wahrheit sage; also lass mir Zeit, mir eine Lüge auszudenken!“
„Wehe dem, der lügt! — Ich schwöre dir, dein Geständnis so tief ernst aufzufassen, als ob es sich um einen Selbstmord handle!“
„Einen solchen Abschluss setze ich nicht voraus, obwohl es auch leicht möglich ist, dass ich unter diejenige Sorte der Freiherren von der Marken rechne, welchen Konstantinopel die schwarze Kugel zurollt! Siehst du, alter Freund, diese zauberschöne Heimstätte der Romantik ist allen Trägern meines Namens seit Jahrhunderten verhängnisvoll gewesen. Da aber die Gefahr die schnelle Jugend reizt und die Abenteuerlust noch ebenso mächtig in meinem Busen lebt, wie ehemals, als ich in der Tertia die Märchen