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Reni. Lise Gast
Читать онлайн.Название Reni
Год выпуска 0
isbn 9788711509975
Автор произведения Lise Gast
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Tante Mumme nickte. Er hatte recht. Von nun an ließ sie Reni an jedem Regentag, an dem alle Kinder nach Hause schrieben, auch einen Brief an die Mutter verfassen. Reni tat es mit der Sorgfalt, mit der sie ihre Schularbeiten erledigte — und vergaß, sobald sie fertig war, die Mutter wieder, so wie sie die Schule vergaß, wenn sie ihre Aufgaben gemacht hatte.
Tante Mumme sah das und machte sich ihre Gedanken darüber. Aber nicht lange — sie war nicht so geartet, sich viele Gedanken zu machen außer denen, die jeden Augenblick von allen Seiten auf sie einstürmten. Außerdem denkt man nicht allzugerne an Sachen, die man am liebsten vergessen möchte — sie hatte Reni herzlich lieb und wünschte nichts sehnlicher, als sie noch lange, lange behalten zu dürfen. So blieb es bei den Briefen, die Renis Mutter immer treulich beantwortete. Manchmal kam sie auch auf Besuch, aber immer nur kurz; sie hatte mit den ersten Dienststellen wohl etwas Pech, wechselte öfters und wagte nicht, um längeren Urlaub einzukommen.
In letzter Zeit schien sie sich auf dem Gut, auf dem sie war, besser eingerichtet zu haben, aber sie war wohl dort ganz unentbehrlich geworden, da der Gutsherr kränklich war und vieles nur mit ihr allein besprach. So konnte sie auch jetzt kaum fort. Außerdem gab es auf diesem Gut etwas, was der Mutter wichtig und schließlich ganz unentbehrlich geworden war: es gab Pferde — nicht nur die nötigsten Acker- oder Kutschpferde wie überall auf dem Lande, sondern auch eine Pferdezucht. Die war der Mutter fast ganz überlassen, und ihr warmes und liebevolles Herz hatte sich dieser Aufgabe weit geöffnet, weil es zwischen all den fremden Menschen etwas zum Pflegen suchte.
Reni konnte sich kaum mehr vorstellen, daß Mutter beispielsweise einen Brief schreiben könnte, in dem nicht drei von vier Seiten von Pferden handelten. Auf allen Fotos von Mutter waren Pferde mit darauf, zottige Fohlen, sanfte, schöngewachsene Stuten oder wilde Zweijährige. Mutter konnte auch großartig reiten. Reni freute sich immer, wenn die Mutter einmal kam, aber sie trennte sich nicht schwer nach den Besuchen. Ihr Zu-Hause war eben das Heim am Berge. Aber was war das geliebte Heim ohne Onkel Doktor, und nun sollte er so schrecklich lange wegbleiben!
Reni konnte sich das gar nicht vorstellen und lauerte unten am Hoftor, daß er endlich zum Essen käme. Ihr Gesicht war ganz unglücklich, als er endlich kam und ihr seine Fahrhandschuhe mit einem munteren: „Hunger, Kindel, Hunger, Hunger!“ zuwarf. „Nun, bewölkt? Regenfälle zu erwarten?“
„Du fährst weg, Onkel Doktor?“ fragte Reni kläglich. Er kam um den Wagen herum, nahm ihr Gesicht in seine beiden Hände und sah ihr in die Augen.
„Ja, Kind, ich muß. Und weißt du, worauf ich mich bei dieser Reise am meisten freu?“
„Na?“ fragte Reni, mehr aus Höflichkeit als aus Interesse. Er freute sich auch noch!
„Aufs Wiedersehen, Dummerle“, lachte er und gab ihr einen Klaps auf die Backe. „Nun aber kein Murrgesicht! Sonst freu’ ich mich nämlich nicht mehr!“
Frau Jahnecke bekommt einen Brief, und Erika schmiedet einen Plan
„Liebe Mutter! Ich schreibe Dir, weil es jetzt so traurig bei uns ist. Der Onkel Doktor ist fort und kommt so bald nicht wieder. Er ist nämlich krank. Wenn er nicht da ist, ist hier gar nichts los. Außerdem haben wir gerade Pause, da ist es nie schön. Tante Mumme hat aber Hobelspäne gebacken. Ich esse sie sehr gern. Tante Mumme ist auch lieb, aber der Onkel Doktor noch viel mehr. Ich hab einen neuen Luftanzug bekommen, blau mit weißen Sternchen, er ist sehr hübsch. Ich bin schon sehr braun gebrannt. Tante Mumme wird nie braun, nur rot. Wie geht es Dir? Mir geht es gut, ich meine mit der Gesundheit. Sonst bin ich immer noch traurig.
Viele Grüße Deine Reni.“
Seufzend steckte Frau Jahnecke den Brief in die Tasche ihrer Reithose. Sie hatte ihn schon mehrmals gelesen, aber immer wieder fand sie ihn betrüblich. Obwohl sie sich einzureden versuchte, daß Kinder oft in einer augenblicklichen trüben Stimmung schreiben, dann den Brief in den Kasten werfen und fröhlich pfeifend zum nächsten Spiel springen ... Es brauchte wirklich nichts Ernstes zu sein.
Aber es bedrückte sie. Sollte sie denn nie aus den Bedrückungen herauskommen? — fast schien es ihr heute so. Nun hatte sie doch endlich eine Stellung gefunden, in der es ihr gefiel, die ihr durch die nette Behandlung der Gutsleute und vor allem durch die geliebten Pferde innerlich etwas gab — die nicht nur einzig und allein ihr und Reni den Lebensunterhalt sicherte.
Und nun kam dies, daß Reni so traurig schrieb.
Es war ja wohl kein Wunder. Die Mutter ersetzt niemand, sagt man immer, und Reni wuchs eben ohne Mutter auf. Immer hatte sie gedacht, Kinder müßten mit Kindern aufwachsen, deshalb hatte sie Reni im Heim gelassen, wo immer Kinder waren — sie hatte sich selbst früher mehr Kinder als nur ein einziges gewünscht. Nun aber dachte sie, daß es doch vielleicht falsch war — daß auch gleichaltrige Kameraden und Gespielen nicht so wichtig sind wie die Mutter. Sie liebte ihr kleines Mädel, liebte es umsomehr, da es ja ihr einziger Besitz war — nur um Renis willen hatte sie auf ein Zusammenleben verzichtet.
Draußen schien die Sonne, es war ein wolkenloser, herrlicher Tag, aber ihr Herz war schwer. Schließlich schob sie ihre Rechnungen zusammen, schloß den Rollschreibtisch ab und stand auf. Sie hatte noch draußen im Vorwerk zu tun, vielleicht kam sie auf andere Gedanken, wenn sie das jetzt sofort erledigte.
Wirklich fühlte sie sich gleich ein bißchen besser, als sie den Pallasch auf den Hof hinausführte — er hob den Kopf und schnoberte in den wunderbaren Morgen hinaus. Sie saß auf; ach, nichts kam dem gleich, wenn der Sattel knarrte, wenn man das Pferd lebendig und geschmeidig unter sich fühlte. Reni müßte reiten lernen ... Sie trabte an. ‚Das höchste Glück der Erde liegt auf dem Rücken der Pferde‘, hieß es — ja, das war wohl nicht übertrieben. Es war, als streifte der Frühwind alle trüben Gedanken von ihr ab.
An der Parkecke machte der Pallasch einen erschrockenen Sprung, es kläffte um seine Beine. Max und Moritz, die beiden kleinen Schnauzer, waren auf ihn losgefahren — Frau Jahnecke sah sich um und entdeckte Erika drüben am Zaun. Sie parierte und wartete, bis das kleine Mädel herübergekommen war.
„Sind sie dir wieder mal ausgerissen?“ fragte sie freundlich.
„Ja, sie hören nicht“, sagte Erika ärgerlich, „ich kann pfeifen und rufen, soviel ich will ...“
„Sie werden es schon lernen, sie sind ja noch jung“, tröstete Frau Jahnecke, saß ab und versuchte, Erika zu helfen. Sie haschten nach den Hunden, die sich überkugelten, nach ihren Händen schnappten und sich um nichts in der Welt anleinen lassen wollten. „Jugend hat keine Tugend, Erika!“
„Ach, das sagt Fräulein Sonneson auch immer“, sagte Erika und lachte trübe, „als ob man was dafür könnte, daß man noch nicht älter ist!“
Frau Jahnecke sah in das hübsche, helle Mädchengesicht unter dem dunklen Haar, das jetzt mürrisch und verdrossen aussah — — nein, eigentlich mehr traurig. Sie mußte sofort wieder an ihr kleines Mädel denken. Zwölf Jahre alt war Erika Niethammer, ein Jahr älter als Reni ...
„Nein, dafür kann man nichts“, sagte sie lustig, mit dem Willen, ein bißchen zu trösten und aufzumuntern. „Aber es ist doch manchmal auch gut, wenn man noch klein ist ...“
„Wieso?“ fragte Erika mißtrauisch.
„Zum Beispiel, weil einen die Frau Jahnecke da mitnehmen kann auf dem Pallasch, was sonst nicht ginge — wenn man nämlich schon größer wäre“, lachte sie und nahm Erika mit einem Schwung vor sich auf den Sattel. „So, nun wollen wir uns mal tüchtig tummeln, du sollst mal sehen, wie einem da die schwarzen Gedanken vergehen.“
Sie trabte an. Erika strahlte — sie war nicht verwöhnt mit solchen Freuden. Und die Hunde kugelten hinter ihnen her, überpurzelten sich vor Eifer und jappten und kläfften — es war wirklich