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Sie’s mir!«

      Ich nehme mein Handy und zeige ihm mehrere Artikel auf Spiegel Online.

      »Da und da und da. Sehen Sie? Mehrere Artikel am Tag, die sich kritisch mit der Bundesregierung auseinandersetzen.«

      Er guckt auf mein Telefon, dann schaut er mich kritisch an.

      »Das ist ein Zufall! Sonst schreiben Sie nichts Kritisches über Merkel!«

      Ich klicke ins Archiv und suche mehrere Artikel raus.

      »Sehen Sie? Da, da, da, da, da, da und da. Ich könnte stundenlang weitermachen.«

      Er guckt mich mit zugekniffenen Augen an, verschränkt seine Arme vor sich und sagt: »Ich glaube Ihnen trotzdem nicht!«

      Was soll man mit solchen Leuten weiter reden? Wenn solche Leute die Zukunft Deutschlands sind, dann ist dieses Land wirklich bald im Eimer.

       Anekdote des Journalisten Hasnain Kazim 11

      Angriff unter falscher Flagge

      Im Zusammenhang mit dem »Das ist in Wahrheit alles nicht so passiert, wie uns die Medien glauben machen«-Vorwurf fällt oft ein weiteres Schlagwort: False Flag Operation. Eine False Flag Operation bzw. ein Einsatz unter falscher Flagge ist ein militärischer Ausdruck, der ursprünglich aus der Seefahrt stammt. Schiffsflaggen waren bekanntlich dafür da, Schiffe zu identifizieren. Wer unter falscher Flagge segelte, führte demnach nichts Gutes im Schilde. Das Segeln unter falscher Flagge ist ein Täuschungsmanöver. Ein Schiff konnte so seine wahre Identität verschleiern – und den Feind glauben lassen, dass man jemand sei, der man gar nicht ist: ein klassisches Echtheitsproblem bzw. Schein-Sein-Problem, ähnlich wie der Terrorist Breivik in seiner Polizeiuniform. Statt über die eigene Flagge, die im Konfliktfall als feindlich erkannt werden würde, identifiziert man sich unter falscher Flagge als Verbündeter oder als Neutraler. Man nutzt die Annäherung und den Überraschungseffekt und überrumpelt den getäuschten Gegner. So viel zu Begriffshintergrund und Metaphorik.

      Nennt man einen Amoklauf oder einen Terroranschlag eine False Flag, bedeutet das: Da läuft etwas nicht so ab, wie es abzulaufen scheint. Da sitzt jemand anders am Ruder. Wieder einmal geht es um den fundamentalen Unterschied zwischen Schein und Sein. Echt und unecht.

      Verschwörungstheoretiker nutzen mindestens zwei Varianten des Falsche-Flagge-Arguments:

      Ich unterscheide ein moderates Falsche-Flagge-Argument von einem radikalen Falsche-Flagge-Argument.

      Die moderate Variante lautet:

      »Ereignis X ist passiert, aber nicht so, wie die ›offizielle Story‹ bzw. die Medien es darstellen

      Ein klassisches Beispiel ist die »9/11-Truther-Bewegung«. Der Name ist Programm: Die Leute nennen sich »Truther« bzw. »9/11 Truth Movement«, weil sie, na klar, aus ihrer Sicht auf Seite der Wahrheit stehen. Sie behaupten nämlich, die Anschläge am 11. September seien in Wahrheit von der Regierung selbst geplant und von ihren Handlangern ausgeführt worden, u. a. um Gründe für den Irakkrieg zu haben (ein historischer Vorgänger einer Theorie mit dieser Schlagrichtung besagt, die USA hätten vorab um den Angriff der Japaner auf Pearl Harbor gewusst und ihn absichtlich geschehen lassen, um so ihre schwache Flotte loszuwerden und gestärkt mit Neubauten in den Zweiten Weltkrieg eintreten zu können). Die 9/11-Truther sagen, der 11. September sei ein »inside job« gewesen – also von innerhalb der eigenen Regierung geplant und von Schattenmännern ausgeführt. Massenmord an der eigenen Bevölkerung aus politischen Motiven.

      Die radikale Variante des False-Flag-Arguments besagt:

      »Ereignis X ist niemals passiert. Alles, was wir über Ereignis X in den Medien sehen, ist eine Täuschung. Unecht.«

      Das Sandy-Hook-Shooting ist tragischerweise so ein Fall. Also ein Fall, wo diese Behauptung fällt. Im Jahr 2012 ermordete ein Attentäter im US-Bundesstaat Connecticut in der Kleinstadt Newtown 20 Kinder und sechs Angestellte der örtlichen Grundschule. Quasi in Echtzeit fingen Verschwörungstheoretiker an, die Wahrheit der entsprechenden Berichterstattung in Zweifel zu ziehen.12 Sandy-Hook-Verschwörungstheoretiker sagen: »Der Amoklauf hat nicht stattgefunden. Überhaupt nicht. Die Menschen, die uns in den Medien als Betroffene präsentiert werden, sind lediglich Schauspieler.«

      Im Gegensatz zu einem »paranoiden Truman«, der wahnhaft anfängt, die Glaubwürdigkeit seiner ganzen Umgebung anzuzweifeln, handelt es sich hier um eine gezielte Verschwörungsüberzeugung in Bezug auf bestimmte Ereignisse (inzwischen hat sich diese Reaktion weitgehend ritualisiert: Auf einen Anschlag folgen sofort und quasi automatisch Anschuldigungen über Unechtheit). Der Verschwörungstheoretiker abstrahiert von dem, was er in den Medien sieht, und sagt: Alles diesbezüglich ist Lug und Trug – »sie« wollen uns glauben machen, dass dies soundso abgelaufen ist, aber in Wahrheit ist es das nicht (»abstrahieren« ist hier dabei im Wortsinne zu verstehen: weg von den Gegenständen gehen, verallgemeinern).

      Alles unecht.

      Falsch.

      Fake.

      Verschwörungstheoretiker gehen so weit, zu behaupten, im Rahmen einer False-Flag-Operation (also eines großen Täuschungsmanövers) kämen ausgebildete Krisenschauspieler zum Einsatz, um die Öffentlichkeit zu belügen. Unter Beihilfe der Medien.

      Warum?

      Gute Frage.

      Wie so oft bei Verschwörungstheorien lautet die Antwort: Hintermänner. Hintermänner und ihre bösen Absichten kontrollieren das Geschehen.

      Im Fall von Anschlägen wie dem Sandy-Hook-Shooting oder auch dem Las-Vegas-Attentat geht die Erzählung der Verschwörungstheoretiker wie folgt:

      »Die Medien wollen die Öffentlichkeit fälschlicherweise glauben lassen, viele Menschen seien (unschuldig) durch gefährliche halbautomatische Waffen gestorben, in der Absicht, ein schlechtes Licht auf diese Waffen und ihre Besitzer zu werfen. Es ist eine Verschwörung gegen uns Waffenliebhaber zugange. Sie wollen uns die Waffen wegnehmen.«

      Tatsächlich ist ein schärferes Waffengesetz in dem Bundesstaat des Newtown-Massakers in Kraft getreten, als Reaktion auf den Amoklauf. Das werten Verschwörungstheoretiker als Indiz für eine Verschwörung, anstatt es wie jeder normale Mensch als logische Folge eines Verbrechens und entsprechende Maßnahme zur Prävention zukünftiger Verbrechen zu sehen. Die unliebsamen Konsequenzen werden zum eigentlichen Ziel erklärt. Und jeder Zweifel daran ist nur ein neuer Beweis für die Schlagkraft und den Einfluss der Verschwörung.

      Wie sich eine False-Flag-Unterstellung anhören kann, lesen wir hier:

      »Sandy Hook ist gekünstelt, komplett gefälscht, mit Schauspielern; aus meiner Sicht: erfunden. Zunächst konnte ich es nicht glauben. Mir war klar, dass Schauspieler vor Ort waren, natürlich, aber ich dachte, sie hätten wirklich ein paar Kids getötet – dass sie Schauspieler eingesetzt haben, zeigt einfach, wie sicher sie sich ihrer Sache sind.«13

      Dieses Zitat stammt von Alex Jones. Mit seiner Plattform Infowars erreicht Jones monatlich Millionen von Menschen weltweit (ist allerdings auf bestimmten sozialen Medien gesperrt worden) und verdient mit solchen Gedanken gleichzeitig Millionen von Dollar. Im Jones-Zitat lesen wir zwei verschiedene Varianten des Falsche-Flagge-Arguments. Zunächst war Jones bezüglich des Amoklaufs an der Sandy-Hook-Grundschule Anhänger des moderaten Falsche-Flagge-Arguments – es sei wirklich etwas Schreckliches vorgefallen (»sie hätten wirklich ein paar Kids getötet«), wenn auch vermutlich anders als medial dargestellt. Dann ging er zum radikalen Falsche-Flagge-Vorwurf über, der die Echtheit von Sandy Hook als Ganzes anzweifelt (»Sandy Hook ist gekünstelt, komplett gefälscht, mit Schauspielern«).

      An dieser Stelle möchte ich kurz eine Anekdote zu Alex Jones selbst erzählen.

      Als Jones 2017 wegen eines Sorgerechtsstreits mit seiner Ex-Frau vor Gericht stand, sagte sie aus, ihr Ex-Mann sei nicht psychisch stabil und sein öffentliches Verhalten unpassend für den Umgang

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