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Falling Skye (Bd. 1). Lina Frisch
Читать онлайн.Название Falling Skye (Bd. 1)
Год выпуска 0
isbn 9783649636410
Автор произведения Lina Frisch
Издательство Bookwire
Ich schnaube. »Meine Mutter hat mich und meinen Vater am Tag nach meinem zwölften Geburtstag verlassen.«
Luce wirft mir einen überraschten Blick zu und bemerkt nicht, dass der Mülleimer die Pappe schreddert und sich automatisch wieder leert. Nach vier Jahren kommen mir diese Worte so leicht über die Lippen, als würde ich erzählen, dass ich mir als Kind den Arm gebrochen habe. Sie können mich nicht mehr ersticken, das habe ich mir abtrainiert. Trotzdem schleicht sich jedes Mal dieselbe Frage hartnäckig zurück in meinen Kopf: Was hast du getan, um sie zu vertreiben? Meine Mutter hatte keinen Grund, einfach abzuhauen. Irgendjemand muss ihr also einen gegeben haben.
»Und damit rückst du einfach so heraus?« Luce schüttelt den Kopf. »Aber wer der mysteriöse Gentleman auf dem Bahnsteig ist, willst du mir verschweigen!«
Der Zug biegt um eine Kurve und ich erkenne Spuren von Regentropfen hinter dem Landschaftsfilm auf der Fensterscheibe.
»Elias ist kein Gentleman.«
»Na, immerhin haben wir einen Namen.« Luce stupst mich an. »Hey, du musst nicht drüber reden. Ich wollte bloß ein Thema finden, das nichts mit dem zu tun hat, was heute Abend anfängt. Ich bin echt ein bisschen aufgeregt.«
»Glaub mir, ich auch«, gebe ich zu. Auf einmal kommt mir eine Idee. »Vielleicht können wir ja sehen, ob der Zug den Süden oder Norden von F ansteuert.« Ich hole mein Handy aus meiner Hosentasche und öffne die Navigation. »Seltsam«, murmele ich. »Ich bekomme hier kein Netz. Willst du es mal probieren?«
Luce schüttelt den Kopf und seufzt, als ich sie fragend ansehe. »Ich habe kein Handy, okay?«
Erst jetzt erinnere ich mich, dass sie der Testleiterin beim Einsteigen einen Ausweis aus Papier hingehalten hat anstatt der ID, die wie meine auf dem Smartphone gespeichert ist.
»Es ist eben nicht so einfach, wenn deine Mutter wegen des E’s auf ihrem Handgelenk ihren Job verliert.«
Für einen Moment verstummen die Gespräche der anderen Mädchen um uns herum, bevor sie umso lauter weitergehen. Ich runzle die Stirn. Emotionale können nicht die gleiche Verantwortung tragen wie Rationale, das ist klar. Aber wenn sie aus diesem Grund ihre Stelle verlieren, wird ihnen geholfen. Die Traits wurden doch gerade aus dem Grund geschaffen, um soziale Ungerechtigkeiten auszugleichen! Nicht, um neue herbeizuführen.
»Ich dachte immer, E-Care reicht auch für so was wie Handys«, sage ich, ehrlich erstaunt. Immerhin hat Dad die Unterstützung für arbeitslose Emotionale dem Parlament selbst vorgeschlagen.
»E-Care?« Luce verzieht den Mund. »Glaub mir, E-Care verschwindet ganz schön schnell, wenn man nicht den nächstbesten Job annimmt, den die Administration einem vorschlägt. Und von der Chirurgin zur Tagesmutter – das ist nicht gerade die Karriere, für die man zehn Jahre lang in Yale studiert hat.«
»Ich wollte nicht unsensibel sein«, entschuldige ich mich, obwohl ich Luces Ärger nicht wirklich verstehe. Als Emotionale muss ihre Mutter eben einen Beruf annehmen, der besser zu ihrer Persönlichkeit passt. Ihre Ausbildung war unglücklicherweise verschwendete Zeit. Aber damit genau so etwas nicht mehr vorkommt, nehmen Universitäten für Fächer wie Medizin, Wirtschaft und Politik ja auch nur noch Rationale auf.
»Was meinst du«, lenke ich ab. »Wollen wir mal zu einer kleinen Erkundungstour aufbrechen?«
Luce nickt und keine von uns spricht mehr über Traits, während wir über den weißen Teppich auf die Glastür zugehen. Wir gelangen in den zugigen Einstiegsbereich, in dem sich die Außentüren befinden. Dahinter erwartet uns kein neues Abteil, sondern ein lang gezogener Tresen aus dunklem Holz. Ein Mann füllt Kaffee aus einer lautlosen Maschine in zwei Becher und reicht sie den vor uns wartenden Mädchen.
»Was für ein Luxus!«, raunt Luce mir zu.
Die Mädchen drehen sich zu uns um. »Schön, dass ich mich nicht als Einzige fehl am Platz fühle«, erwidert eins von ihnen und nickt Luce zu. »Beauvoir High?«
»Schuldig im Sinne der Anklage«, antwortet Luce.
Das Mädchen lächelt, wobei ihre Augenbrauen nach oben wandern und der silberne Ring, der durch eine von ihnen gestochen ist, unter ihren Ponyfransen verschwindet.
»Komisch, du bist mir da nie aufgefallen«, sagt die Nachbarin des Piercingmädchens, die mit ihrem mausbraunen Haar und der etwas rundlichen Figur neben ihrer Freundin ziemlich unscheinbar wirkt. Mein Blick bleibt an dem tätowierten Schriftzug hängen, der unter ihrem Pulloverärmel hervorlugt. »Komm, Tonya«, sagt sie und greift nach der Hand des Piercingmädchens. »Die anderen warten bestimmt schon.«
Tonya wirft uns ein entschuldigendes Lächeln zu und folgt der Brünetten durch die Glastür.
»Wir sehen uns!«, ruft sie noch, bevor die beiden endgültig verschwinden.
Ich lehne mich an einen der festgeschraubten Barhocker vor dem Tresen. Mein Vater würde den Kopf schütteln, wenn er wüsste, dass meine neuen Freundinnen ausgerechnet auf die Beauvoir gehen! Die Highschool in Chelsea ist bekannt dafür, emotionales Denken geradezu zu fördern.
Luce dreht sich mit zwei Muffins in der Hand zu mir um. »Willst du Schokolade oder Blaubeere? Es gibt auch Sandwiches, aber keine ohne Tomaten. Und Gemüse ist nicht so mein Ding.«
Ein kühler Luftzug streift meinen Nacken. Als ich aufblicke, tritt ein Typ durch die Glastür, der ein paar Jahre älter sein muss als ich. Seine aschblonden Haare sind ein wenig zu lang und locken sich in seine Stirn, aber sein ernster Gesichtsausdruck passt nicht zu meiner spontanen Vorstellung von ihm als Surfer auf den Wellen der Goldküste. Er wirkt wie ein … Nein, mir fällt partout keine Kategorie ein, in die er sich einordnen ließe. Sein düsterer Blick trifft mich und ich zucke unmerklich zusammen. Es ist, als wäre irgendwo tief verborgen in meinem Inneren eine Alarmglocke losgegangen.
»Einen Kaffee, schwarz.«
Während er wartet, sieht er aus dem Fenster, als könnte er hinter den Bildschirm schauen. Verwundert folge ich seinem Blick und bemerke, dass die künstliche Landschaft auf der Scheibe verschwunden ist. Der Zug steht, und wir schauen auf das Gleis eines Bahnhofs, der beinahe identisch ist mit dem, den wir vor Stunden verlassen haben. Während die neuen Expektanten geordnet einsteigen, nimmt der Junge – oder sollte ich besser sagen, Mann? – seinen Kaffee und geht geradewegs an uns vorbei, ohne uns auch nur eines einzigen weiteren Blicks zu würdigen.
Die Lichter haben sich innerhalb der letzten Stunde eingeschaltet. Luce lehnt sich im Schlaf an die Kopfstütze ihres Sitzes und das Muffinpapier fällt von ihrem Schoß. Mittlerweile sind alle Gespräche in unserem Waggon verstummt und auch mich lässt das gleichmäßige Geräusch des Zuges auf den Schienen gähnen. Ich beobachte, wie die Expektanten des Bezirks E an einem der südlicheren Bahnhöfe zusteigen. Ein warmer Windzug kommt mit ihnen an Bord. Meine Stirn sinkt gegen das kühle Fensterglas.
Ich liege in einem Kofferraum. Wenn ich versuche, meine Augen zu öffnen, sehe ich nichts als bunte Sternchen. Sie tanzen wie ein Feuerwerk durch den Nebel vor mir. Kalte Panik macht sich in mir breit, als ich begreife, dass ich nicht wach sein soll. Das Auto kommt ruckartig zum Stehen. Irritierend grüne Augen fixieren meine, beruhigen mich. Doch nur eine Sekunde später ertönt ein Knall und das Blut in meinen Adern gefriert zu Eis. Die Kofferraumklappe öffnet sich und Dämmerlicht dringt in mein Gefängnis.
»Ich komme zurück!«
Schweißnass schrecke ich auf und bemerke, dass Luce meine Schultern schüttelt. Mein Herz schlägt so schnell, als hätte ich gerade einen Sprint hinter mir.
»Skye, da draußen!« Luce deutet aus dem Fenster.
Die falschen grünen Hügel sind noch nicht zurück auf der Scheibe und ich erkenne eine menschenleere Bahnhofsplattform in der Abendsonne. Menschenleer, bis auf …
»Jasmine?« Mit einem Schlag bin ich hellwach. Ich springe auf und versuche, das Fenster zu öffnen,