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Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann
Читать онлайн.Название Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann
Год выпуска 0
isbn 9788027208593
Автор произведения Jakob Wassermann
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Aber alles das ist nur der Anfang der beispiellosen Leiden, die man in ihrem ganzen Umfang kennen muß, wenn man die stählerne Seele dieses Mannes richtig einschätzen will. Das ist seine Größe und seine Glorie: das Aufsichnehmen, die Geduld, die Bereitschaft, freilich ganz tiefe, ganz unbewußte, ganz astrale Bereitschaft zu seinem Schicksal. Ende April erlaubt günstiger Wind, die verhängnisvolle Bucht zu verlassen. Man kann sich den Schiffen nur mit beständiger Todesangst anvertrauen, die im Wasser befindlichen Holzteile sehen wie Bienenwaben aus. Es ist also unerläßlich, auf schnellstem Weg nach Española zu fahren, und um den zahlreichen Korallenriffen zu entgehen, muß die äußerste Sorgfalt aufgewendet werden. Neue Stürme; drei Anker gehen verloren, die Segel reißen in Fetzen, die Lecks werden immer größer, die Pumpen arbeiten unaufhörlich, und außerdem muß das Wasser mit Eimern und Kesseln ausgeschöpft werden. Eins der Schiffe sinkt, die Mannschaft wird von den beiden übrigen aufgenommen, auch die können die See nicht länger halten. Gott sei Dank, es ist Land in Sicht, der Admiral gibt Befehl, sie zweihundert Fuß von der Küste entfernt auflaufen zu lassen, und sie werden eins neben dem andern befestigt. Sie füllen sich bis zum Verdeck mit Wasser; da die Eingeborenen auch hier sich feindselig verhalten, werden auf den Vorder-und Hinterteilen der Wracks gedeckte Kajüten errichtet und alles so gut es geht in Verteidigungszustand gebracht. Niemand darf ohne besondere Erlaubnis die Notfestung verlassen, und um die gewöhnlichen Ausschreitungen zu verhüten, wird der Verkehr mit den Indios durch genaue Vorschriften geregelt. Es ist die Insel Jamaika, an der sie gestrandet sind, eine der bevölkertsten und fruchtbarsten der Antillen, bald wimmelt auch der Hafen von indianischen Booten, die mit Lebensmitteln beladen sind, und der Admiral leitet Verhandlungen ein, die zu den üblichen Tauschgeschäften führen. Aber alles ist zu wenig, von Kassavefrüchten und Mais kann man nicht leben, finden die Matrosen, die schlauen Indios haben sicher ihre besten Vorräte versteckt, und verstünde es nicht Diego Mendez, die Gegensätze durch sein geschmeidiges Wesen immer wieder zu versöhnen, so wäre der Hader gleich am Anfang ausgebrochen, der unter solchen Verhältnissen gar keinen bestimmten Anlaß braucht, um in hellen Flammen aufzulodern, denn es ist eine merkwürdige Erfahrungstatsache, die auch durch den Verlauf der meisten Polarexpeditionen bestätigt wird, daß die dauernde Vergesellschaftung von Männern, sobald sie den Charakter äußeren Zwangs annimmt, unweigerlich erst zu heimlichen Wucherungen und zuletzt zu verheerenden Ausbrüchen eines geheimnisvollen Hasses führt.
Diego Mendez scheint schlechthin ein Glücksfall für Columbus gewesen zu sein. Immer in unverwüstlicher Laune, unternehmungslustig, ein bißchen aufschneiderisch, mit einem gewissen derben Wirklichkeitssinn begabt, erinnert seine Figur in manchen Zügen an Sancho Pansa, nur in dem einen Punkt nicht, daß er außerordentlich mutig ist. Durch seine Freundlichkeit und Offenheit machte er sich auch bei den Indios beliebt, und diese Sympathie ging so weit, daß ihm einer der Kaziken ein großes, aus einem riesigen ausgehöhlten Baumstamm verfertigtes Kanu schenkte. Danach eben hatte er getrachtet; er teerte das Boot, versah es mit Mast und Segel und verabredete sich mit dem Kapitän Fiesco, Landsmann des Admirals, und sieben Indios, mit denen er Freundschaft geschlossen hatte, zu dem Plan, nach Española zu segeln und den Gouverneur im Namen seines Herrn um Hilfe anzurufen. Die Entfernung beträgt siebenhundert Kilometer. Columbus erkannte wohl, daß es die einzige Möglichkeit zur Rettung war und willigte schweren Herzens ein, denn Mendez war ihm nachgerade unentbehrlich geworden.
In der Tat, kaum hat er Jamaika verlassen, so ist der Teufel los. Die Indios, warum, ist eigentlich nicht recht ersichtlich, liefern den Proviant nur noch sehr widerwillig. (In irgendeiner entlegenen Chronik findet sich eine Andeutung, als hätten sie es nicht verziehen, daß Mendez eine Anzahl der Ihren entführt hatte, was auf ein erstaunlich entwickeltes Kollektivgefühl schließen ließe; ob es sich so verhielt, mag dahingestellt bleiben.) Jetzt wird die Lage der Schiffbrüchigen unerträglich. Jeder an Bord ist untätig in den engsten Raum eingesperrt, das tropisch-feuchte Klima revoltiert die Nerven, viele fluchen und rasen im Fieber, viele stieren stumpfsinnig vor sich hin, sogar der Adelantado verfällt in dumpfe Apathie. Die ersten, die sich aufraffen, sind Porras und