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DIE VERSCHWÖRUNG DER SCHATTEN. Sören Prescher
Читать онлайн.Название DIE VERSCHWÖRUNG DER SCHATTEN
Год выпуска 0
isbn 9783958352896
Автор произведения Sören Prescher
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Ach, du heilige Scheiße«, rief Lennie auf einmal und flackerte mit den Augen. Das Ganze sah gespenstisch aus und wüsste ich es nicht selbst besser, hätte ich wohl befürchtet, er hätte einen epileptischen Anfall. Aber dies war ein Teil der Show, die er abzog, um glaubhafter zu wirken. Mir persönlich war es zu theatralisch.
In dem Moment schrie Lennie lauthals »Nein«, riss die Augen auf und machte einen Satz nach hinten. Irritiert schaute Norman auf seine Hand, zum Hellseher und zum Schluss wieder auf seine Hand.
»Wer oder was bist du?«, fragte Lennie dermaßen aufgebracht, dass mein Herz schneller schlug. »Bist du meinetwegen gekommen?«
»Ich verstehe nicht.« Als Norman in Lennies Richtung ging, wich dieser zurück und streckte die Arme aus, als wollte er ihn damit von sich fernhalten.
»Lennie, jetzt gehst du aber zu weit«, mischte ich ein. Meine Freundschaft zu ihm in allen Ehren, doch es gab Grenzen, die auch er nicht überschreiten durfte. Eine davon hieß, meine Begleiter nicht zu Tode zu ängstigen.
»Nat, wen zum Teufel hast du da angeschleppt?«
»Was meinst du damit? Drück dich gefälligst so aus, dass der Rest der Menschheit dich versteht!«
»Na ihn, deinen Freund aus Philadelphia. Ihn umgibt die Aura des Todes. Ich habe Dunkelheit gesehen, grässliche Gestalten ohne Gesichter. Sie tauchen wie aus dem Nichts auf und bringen den Tod. Das alles hatte irgendwie mit ihm zu tun!«
Das war der Moment, indem ich einen Knoten im Magen und auf den Armen eine Gänsehaut bekam. Hatte Lennie tatsächlich gerade die dunklen Männer beschrieben?
»Wovon zum Teufel redest du?«, fragte ich. Ein Blick zu Norman verriet mir, dass er kurz vor der Ohnmacht stehen musste. Sein Gesicht war so weiß, dass selbst Lennie neben ihm wie ein Strandurlauber aussah. Irgendetwas lief hier gewaltig schief.
»Begreifst du denn nicht? Dieser Typ zieht das Böse förmlich an. Hat er dir erzählt, dass er auf der Flucht ist? Die gesichtslosen Kreaturen verfolgen ihn.«
»Woher willst du das wissen?«
»Verdammt, Nat, ich habe es gesehen!«
»Das alles war also nicht bloß eine linke Nummer, die du abgezogen hast?«
»Natürlich nicht! Sehe ich aus, als mache ich Spaß?«
Nein, das tat er nicht. So aufgebracht wie heute hatte ich ihn das letzte Mal gesehen, als sein Buchmacher gestorben war und er annahm, es hätte etwas mit schlechtem Karma zu tun.
»Was meintest du damit, ob ich deinetwegen hier bin?«, fragte Norman. Er wagte einen weiteren Schritt in Lennies Richtung, blieb aber sofort stehen, als er sah, dass dieser abermals zurückwich.
»Komm mir nicht zu nahe. Ich habe keine Ahnung, was für ein krankes Spiel du spielst, aber es gefällt mir nicht.«
»Du hast seine Frage nicht beantwortet«, erinnerte ich.
Lennie seufzte schwer. »Die Vision von eben war nicht die erste. Mittlerweile sehe ich ständig solche Dinge. Das ist der Grund, wieso ich nachts nicht schlafen kann und kaum die Augen zu schließen wage. Ich habe Angst vor den Träumen. Die Bilder verfolgen mich.«
Ich spürte, wie etwas Eiskaltes mein Herz umschloss. Meine Beine zitterten. Inzwischen bereute ich es, heute auch nur eine Meile in Lennies Richtung gefahren zu sein.
»Wie kann das sein?«, fragte Norman.
»Was weiß denn ich? Verrate mir lieber, was genau du mit diesen Albtraumfiguren zu schaffen hast!«
»Nichts. Sie verfolgen mich. Keine Ahnung, warum.«
Ich wusste, dass dies nicht der Wahrheit entsprach, sagte jedoch nichts. Wem er was erzählte, war allein Normans Entscheidung. Hätte er vom König und dem Gleichgewicht der Mächte erzählt, wäre Lennie bestimmt völlig durchgedreht. Schon jetzt schien dazu nicht mehr viel zu fehlen.
»Was hast du noch in deinen Visionen gesehen?«, versuchte ich das Thema in eine andere Richtung zu lenken.
»Vollkommen wirres Zeug. Männer, die aus der Finsternis auftauchen und wieder darin verschwinden. Häuserschluchten. Gebäude, die in Flammen stehen und explodieren. Schreiende Menschen! Panik. Es war grauenvoll!«
Ich schluckte hart, wagte aber nicht, ihn zu unterbrechen.
»Alles war wild durcheinander. Es fällt mir schwer, die Bilder auch nur halbwegs zu ordnen. Die Träume zeigen auch nur Bruchstücke des großen Ganzen. Ständig gibt es kleine Abweichungen, sodass ich keine Ahnung habe, worauf es überhaupt hinausläuft. Gleichzeitig ist alles sehr intensiv. Die Visionen schießen mir wie Pistolenkugeln durch den Kopf und ich wache schweißgebadet und mit Herzrasen auf. Danach bin ich vollkommen aufgewühlt und komme stundenlang nicht zur Ruhe. Das kannst du dir gar nicht vorstellen. Ich habe keine Ahnung, was die Träume bedeuten, ich bete nur, dass sie endlich aufhören. Stattdessen habe ich das Gefühl, dass immer schlimmer wird.«
»Hast du noch was von den dunklen Männern gesehen?«, fragte Norman. »Woher sie kommen, zum Beispiel.«
»Leider nein. Sie tauchen wie aus dem Nichts auf. Aber sobald sie da sind, ist jeder in Gefahr. Tod und Verderben sind ihre ständigen Begleiter. Das mit der kurzen Lebenslinie war kein Witz. In was für eine Scheiße du auch geraten bist, sieh zu, dass du da raus kommst. Dein Leben hängt an einem seidenen Faden, wie man so schön sagt. Auch das ist nicht bloß ein Spruch!«
Norman nickte bedächtig.
»Weißt du, woher diese seltsamen Träume kommen?«, wollte ich von Lennie wissen.
Er schüttelte den Kopf. »Es fing vor einer knappen Woche an. Bumm, urplötzlich waren sie da und lassen mich seither nicht in Ruhe.«
»Wenn ich irgendwas für dich tun kann …«
»Ich wünschte, du könntest. Aber ich weiß selbst keinen Rat mehr. Inzwischen bin ich mit den Nerven vollkommen am Ende. Den ganzen Tag zucken unkontrolliert irgendwelche Muskeln, vor allem um die Augen herum. Das ist nicht witzig. Selbst Konzentrieren kann ich nur noch schwer. Das ist alles so mühsam.«
Ich nickte, denn ich kannte die Anzeichen von Schlafmangel aus dem Lehrbuch. Kurz überlegte ich, was er abgesehen von Schlaf dagegen tun konnte. Nervenberuhigende Kräutertees kamen mir in den Sinn, aber die hätte er zweifellos abgelehnt, aus Angst, dass sie ihn nur noch müder machen würden. Ansonsten blieben fast nur noch Medikamente. Aber davon hielt er noch weniger. Gelinde ausgedrückt.
»Am besten geht ihr einfach wieder. Mit deinem Kollegen in der Nähe fühle ich mich gleich noch nervöser. Siehst du?« Er zeigte auf sein linkes Augenlid. »Es zuckt schon wieder. Als würde ich euch ständig zuzwinkern wollen.«
Obwohl der Anblick einer gewissen Komik nicht entbehrte, befand ich mich vom Lachen so weit entfernt wie ein Hektiker von südamerikanischer Panflötenmusik. Meinen Freund so leiden zu sehen, setzte mir zu. Ebenso die stickige Luft in seiner Wohnung. Nach all dem Gerede über Tod und Dunkelheit sehnte ich mich nach der Welt da draußen. Ähnlich fühlte ich mich nach langen Obduktionen und harten Arbeitstagen.
»Warte einen Moment!«, rief Lennie, als wir an der Tür standen.
»Warum?«
»Na wegen des Geldes.«
»Das ich das noch erleben darf …«
Geduldig wartete ich ab, bis er einige Scheine aus seiner Brieftasche entnommen hatte. Norman überprüfte derweil mit nervösen Blicken das Treppenhaus.
»Ich habe leider noch nicht alles, aber dreihundert sollten als Anzahlung genügen.«
»Manche Dinge ändern sich eben nie.«
»Aber manche Dinge schon«, sagte er zwinkernd. »Das ist einer der Gründe, weshalb wir uns so gut verstehen.«
Nachdem ich das Geld verstaut hatte, klopfte ich Lennie anerkennend auf die