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mir weh, aber ich setze meinen Balanceakt auf dem Bordstein fort. Die Stille und die Dunkelheit schmelzen um mich herum zusammen. Mit jedem Schritt verschwindet die Hoffnung, seine Stimme hinter mir zu hören. Das Geräusch seiner laufenden Schritte und meines Namens zwischen seinen Lippen.

      Ich beeile mich jetzt, halte die Tränen zurück, während ich immer noch mit ausgestreckten Armen und geradem Rücken laufe. Auf dem Bordstein wechseln sich meine Füße ab, immer ein Fuß nach dem anderen.

      Man hört Stimmen und Gelächter. An der Bushaltestelle auf der anderen Straßenseite steht eine Gruppe junge Männer. Einer schwingt sich um die Eisenstange der Haltestelle. Er reibt sich daran und stöhnt. Die anderen lachen und klatschen.

      Ich nehme das Handy aus der Tasche und suche die Nummer meiner Eltern hervor. Ich habe sie als einzige unter der Telefonnummer statt unter ihrem Namen bei den Kontakten gespeichert. Ich bleibe kurz stehen und betrachte die acht Ziffern. Dann klappe ich das Handy zusammen und lege es in die Tasche zurück.

      Als ich weiter geradeaus laufe, klicken meine Absätze gegen den Bordstein. Jedes Mal, wenn ich mit dem Fuß umknicke, beiße ich die Zähne zusammen und konzentriere mich auf den nächsten Schritt.

      Es wird still, als ich mich der Bushaltestelle nähere. Ich spüre Blicke auf meinem Körper.

      Der Typ an der Eisenstange pfeift. „Hallo Hübsche, und jetzt?“

      Ich bleibe stehen.

      „Kommst du nicht rüber und trinkst ein Bier mit uns?“

      „Halt die Klappe.“ Einer der anderen trifft ihn am Hinterkopf.

      Er lacht laut und schwingt sich um die Eisenstange, während er sich auf die Brust schlägt. Das Gelächter hallt durch die einsamen Villenstraßen.

      „Doch, gerne“, sage ich. „Ein Bier klingt gut.“

      Es wird vollkommen still, als ich die Straße überquere und zu ihnen gehe.

      Der Typ lässt die Eisenstange los. Er wirft erst den anderen einen schiefen Blick zu, dann mir.

      Ich gehe an ihm vorbei und setze mich auf die Bank unter dem Schutzdach. Der Vogel in der Baumkrone fliegt raschelnd davon und verschwindet.

      Die Typen bleiben stehen, unbeweglich. Dann eilen sie zu mir und setzen sich neben mich. Sie haben eine Plastiktüte mit Bierdosen, die sie verteilen. Ich öffne eine Dose und nehme einen ersten Schluck. Das Bier ist lauwarm. Dann nehme ich einen großen Schluck.

      Die Typen sind in Jannicks Alter, vielleicht älter. Sie sind zu viert. Der mit der Eisenstange sitzt rechts von mir, so dicht, dass sich unsere Schenkel berühren. Er trägt eine Brille mit dunklem Gestell und hat ein markantes Kinn. In beiden Ohren Diamantenpiercings.

      „Und wohin will eine so schöne Jungfrau?“, fragt er.

      „Nirgendwohin“, sage ich.

      „Cool, von dort komme ich gerade.“

      Die anderen lachen.

      Der Stangentänzer leert sein Bier und nimmt sich ein anderes. Ein wenig Schaum läuft über den Rand. Er saugt es mit den Lippen auf.

      Einer der anderen nimmt sein Handy hervor und schaltet Musik ein. Der Ton ist schlecht. Es klingt wie Rihanna.

      Auf der Straße fährt ein Auto vorbei. Die Scheinwerfer zeigen auf den schwarzen Asphalt. Ich höre den Motorenlärm, der schwächer und schwächer wird, bis er ganz verschwindet.

      „Wann kommt der Bus?“ frage ich.

      „Das weiß man nie“, sagt der Stangentänzer. „Das weiß man nie.“

      Er sieht mich mit einem merkwürdigen Blick an, und lehnt sich dichter an mich. So dicht, dass ich seinen Atem riechen und die kleinen Blutäderchen in seinen Augen sehen kann.

      „Meine Güte, ich bin erregt“, flüstert er. „Du auch?“

      Um mich herum wird die Welt verschleiert. Weiß lackierte Nägel trommeln auf die Außenseite der Dunkelheit und ein kaltes, klebriges Gefühl klettert meine Beine hoch.

      Dann nicke ich.

      Der Stangentänzer lacht. Er sieht die anderen an und nickt.

      Mit einer ungeschickten Bewegung nimmt er mich am Nacken. Die Lippen sind leicht geöffnet. Er riecht nach Bier und billigem Parfüm.

      Als er mich küssen will, drehe ich mein Gesicht weg.

      Das Herz hämmert in meiner Brust.

      „So, so.“ Er nuschelt. „Vielleicht mag man kein Vorspiel?“

      Die anderen lachen.

      „Ich habe einen Freund“, sage ich.

      „Du hast ihn aber verdammt gut versteckt.“ Er schaut unter die Bank und breitet die Arme aus.

      Ich versuche zu lachen, aber mein Lachen ist eine Spieldose.

      Alles dreht sich, und Jannick geht es ohne mich bestens. Er hat sicher nicht einmal bemerkt, dass ich gegangen bin.

      „Kommst du mit?“ fragt der mit dem Handy. „Zur Party!“

      Er spricht das Wort Party nicht richtig aus. „Gratis Alkohol“, fügt er hinzu und wippt mit den Augenbrauen.

      „Tja“, murmele ich und blicke in die dunkle Straße.

      „Oder hast du vielleicht andere Pläne?“, fragt der Stangentänzer.

      Ich zucke mit den Schultern. Der Klumpen im Hals sperrt den Weg für meine Worte. Wenn überhaupt noch Worte da sind.

      Eine Hand legt sich auf meinen Schenkel. Ich drehe den Kopf und blicke in das dunkle Brillengestell. Hinter den Gläsern schwimmen ein paar suchenden Augen.

      „Du bist schön“, sagt er.

      Mein Gesicht fühlt sich steif an. Ich drücke auf einen Knopf, und meine Mundwinkel heben sich automatisch in ein mechanisches Lächeln.

      Ihm geht es ohne mich bestens. Also gut. Super für mich.

      Die Hand fährt meinen Oberschenkel weiter hoch. Ich blicke an das Schutzdach, während ich an Jannicks Lächeln denke. Seinen nackten Oberkörper. Die Hand, die den Kopf des Mädchens dichter dran schob. Das kleine Stückchen Banane auf dem rot gefärbten Mund.

      Der Stangentänzer atmet schneller. Seine Hand ändert die Richtung gegen meinen Innenschenkel. Ich bekomme eine Gänsehaut, obwohl der Abend warm ist.

      „Immer noch erregt?“ flüstert seine Bierstimme in mein Ohr.

      Ich lasse die Lippen hochfahren. Ich lächle.

      Super für mich. Super.

      Die Hand ist zwischen meinen Oberschenkeln. Die Finger drücken auf mich. Das Lied spielt schneller, und ich höre immer noch nicht, ob es Rihanna ist oder nicht.

      Der Stangentänzer leckt mich am Hals. Die Zunge ist viel zu warm.

      „Ich habe einen Freund“, murmle ich wieder, während die Worte fest sitzen und keinen Inhalt haben.

      „Sehr, sehr schön“, nuschelt er und steckt seine Zunge in mein Ohr.

      Die Tüte mit Bier raschelt. Das Geräusch, als eine neue Dose aufgemacht wird, bringt meinen Atem zum Stillstand.

      Der Vogel ist weit weg, und nur das leise Rascheln der Baumkronen hallt ins Vakuum der Nacht.

      Die Hand in meinem Schritt arbeitet schneller, als würde sie etwas suchen, das nicht da ist. Es fühlt sich ungeschickt und ekelhaft an. Aber ich bleibe sitzen. Ich bleibe sitzen, und er hat sicher nicht einmal bemerkt, dass ich gegangen bin.

      Ein schwerer, gelber Nachtbus dreht um die Ecke und kommt näher.

      Party, nicht richtig ausgesprochen, stellt sein Handy ab und

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