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ja gar nicht dein wirklicher Bruder, da brauchst du ihn gar nicht liebzuhaben, und zu sterben brauchst du schon gar nicht deshalb. Gehe lieber morgen in den Wald und hole Blumen, daß ich sie wieder in der Stadt verkaufen kann, denn sonst müssen wir hungern, und die Ziege muß auch Futter haben.“

      Fretta aber weinte die ganze Nacht. Andern Tags ging sie in den Wald. Wie öde und still war es da ohne Ola! Sie fürchtete sich, riß schnell so viel Blumen als möglich ab und lief nach Hause. Und so weinte sie viele Tage und Nächte und wurde blaß und aß und trank nicht.

      Sie hatte nur noch den einen Gedanken: Wie kann ich Ola retten? Ach, ich muß einmal hingehen, ob ich ihn wenigstens einmal wiedersehe.

      Und den andern Tag ging sie durch den stillen Wald, lange, lange – bis auch sie die schönen Blumen wieder sah – und sie ging leise ganz nahe heran; aber die Blumen wollte sie gar nicht, sie wollte nur Ola sehen.

      Und richtig, da lag er an der Erde und grub mit den Händen Löcher hinein, und dann legte er etwas in die Löcher hinein und deckte die Erde wieder drüber.

      „Ola, Ola, was machst du da?“ schrie sie.

      Er aber kannte seinen Namen nicht mehr und hörte sie nicht.

      Da fing sie bitterlich zu weinen an.

      Erst als Ola mit seiner Arbeit fertig war, stand er auf, und da sah er sie und kam an das Gitter.

      Und sie streckte die Arme nach ihm aus.

      Aber er sah sie mit einem bösen stechenden Blick an und hielt ihr eine Blume hin und sagte: „Willst du sie, so komm doch herein, ich gebe dir alle Blumen, die du willst.“

      „Aber Ola, lieber guter Ola, kennst du mich denn nicht mehr, ich bin ja deine Fretta, die du immer so liebhattest? Ach, sieh mich doch wieder freundlich an!“

      Aber der Zauberer hatte Olas Herz ganz böse gemacht, daß er nicht mehr wußte, wie lieb er Fretta hatte.

      „Ich kenne dich nicht,“ sagte er, „du mit dem häßlichen schwarzen Fleck am Ohr und den gelben Haaren, aber du hast schöne Augen, und die können wir brauchen.“ Und er streckte die Hand nach ihr aus, um sie hereinzuholen.

      Doch fein wilder, böser Blick erschreckte die arme kleine Fretta so sehr, daß sie voll Todesangst davonlief und heiß und mit Fieber in den Adern nach Hause kam. Aber ihre Muttter war nicht zu Hause; sie war von der Stadt noch nicht zurückgekommen. Sie war schon früher manchmal erst am andern Tage heimgekehrt, und die beiden Kinder hatten sich nicht gefürchtet.

      Doch heute zitterte Fretta vor Angst. Sie konnte Olas fürchterliche Augen nicht vergessen. Der arme Ola, das hatte ihm der böse Zauberer angetan.

      Sie mußte ihn retten, sie hatte ihn ja so lieb.

      Aber was sollte sie tun?

      Das Auge war’s – hatte die Mutter gesagt –, das Zauberauge, damit hatte der Alte Olas Herz vergiftet, und nun war er krank und mußte bald sterben.

      Bald sterben! – Fretta fuhr von ihrem Lager auf. Ola sterben, nein, nein, das darf nicht geschehen. Ich muß ihn retten.

      Es war eine schöne stille Sommernacht. Dort im Norden sind die Nächte so hell wie der Tag.

      Fretta stand auf, sie wusste mit einem Male, was sie wollte. Sie holte sich aus der Küche ein scharfes, spitzes Messer, und dann ging sie hinaus in den schlafenden Wald. Ihre nackten Füße machten kein Geräusch, und so war es totenstill um sie her. Die Vögel und die Bäume und die Blumen schliefen, und nur der Atem des Waldes strich wie ein leichter weicher Wind über Frettas Wangen.

      Fretta fürchtete sich in dieser großen Stille so ganz allein. Wenn doch nur ein einziger Vogel gesungen hätte!

      Das Herz wollte ihr springen vor Angst, aber da dachte sie an Ola und rief seinen Namen leise, ganz leise – aber immer: Ola – Ola – Ola – –

      Und so kam sie endlich an das Haus des Zauberers.

      Da war es auch totenstill. Die Blumen lagen müde im Grase und hatten allen Glanz verloren. Fretta kletterte über das Gitter, dann auf die Bank, die am Fenster stand, und sah hinein. Sie zitterte am ganzen Körper, aber sie nahm den letzten Mut zusammen und sah den großen häßlichen Mann im Bette liegen. Das eine große schreckliche Auge war geschlossen. Und neben ihm lag Ola und schlief auch.

      Leise stieg sie durchs offene Fenster in die Stube – es war so hell darin wie am Tage.

      Sie schlich ans Bett – er schlief ganz fest, der böse Mann, und hörte nichts; da stieg sie auf einen Stuhl, von da in sein Bett ihm zu Häupten, und mit beiden kleinen schwachen zitternden Händen bohrte sie das Messer gerade in sein böses Auge hinein.

      Er stieß einen so gräßlichen Schrei aus, daß Ola erwachte und sie greifen wollte, aber sie sprang schnell von ihm weg zum Fenster hin.

      „Komm, Ola – mein Ola, deine Fretta ist’s – komm mit mir!“

      „Ach, bist du’s, meine kleine süße Fretta?“ sagte Ola und rieb sich die Augen und sah sie wieder so gut und lieb an wie früher. „Ja wir wollen laufen, nach Hause – ich habe dich so lange nicht gesehen – ich habe wohl • geträumt –“

      Aber der Zauberer schrie in seinem Schmerz so laut, daß Ola bald wieder wußte, wo er war. Da drängte er Fretta hinaus durchs Fenster in den Garten und dem Walde zu.

      „Nun können wir aber ein paar Blumen mitnehmen, der tut uns nichts mehr. Siehst du diese rote und diese blauen – ach, die weißen und gelben noch?“

      „Nein, nein,“ schrie Fretta, „dort steht er am Fenster, er kommt uns noch nach.“ Und sie liefen schnell hinaus in den sommerschlafenden stillen Wald.

      Aber sie fürchteten sich nicht mehr, denn sie waren zu zweien, und sie hatten sich sehr lieb.

      „Und aus den roten und blauen Steinen lass’ ich dir ein schönes Geschmeide machen, wenn du einmal meine kleine frau bist,“ sagte Ola.

      Und sie küßten sich und liefen froh und glücklich im Walde umher und dachten nichts andres, als daß sie sich nun wieder bei den Händen halten und zusammen spielen und träumen konnten.

      Von dem bösen Zauberauge sprachen sie nie wieder.

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