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irgendwie gepflegt, was bei Männern ja viel wichtiger als Schönheit ist.

      „Nehmen Sie mein Haus für das Ihre“, sagte er und verbeugte sich parodistisch.

      „Danke. Ich tu es nicht, das weißt du“, sagte sie, „es grenzt mir zu sehr an die Sterne. Für mich ist die Erde wichtig, die Berührung der Erde, der Kontakt mit ihr und mit dem, was darauf wimmelt. Auf deutsch: Wenn ich nicht heute oder morgen, spätestens aber in zwei Minuten Frau Marthe Schwerdtlein oder eine andere Nachbarin von ihrem Kochtopf scheuchen und ihr mitteilen kann, was mir soeben durch den Kopf blitzte ...“

      „Bei dir blitzt es eben immerzu“, sagte er milde bedauernd, „immerhin habe ich jetzt Telefon. Du könntest ...“

      „Ich kann nicht, Ich bin nicht die Prinzessin, die Rübezahl sich aus einer Runkelrübe schnitzte und bei sich behalten wollte ...“

      „Er schnitzte nicht die Prinzessin, sondern ...“

      „Ja, ja, ja. Geschenkt! Jetzt wollen wir Bilder ansehen.“

      Wir sahen Bilder an. Der Hagestolz malt Landschaften, das heißt eine. Das Riesengebirge. Die Koppe, die Schneegruben, den Kamm, die Wiesenbaude. Und Kinderporträts.

      Diese malte er völlig konservativ in den richtigen Farben und Formen, so daß zärtliche Eltern seufzten: „Genau wie Daniel – Uwe – Bärbel oder Martin.“ Der Hintergrund dieser Bilder aber war kein starkes, einheitliches Blau oder Gelb, sondern ein Durcheinander von lauter Kindergesichtern und -gestalten, die dasselbe Modell, das Kind also, das gemalt wurde, in unendlichen Variationen zeigte, klein, den Kopf etwa wie ein Daumennagel. Lachend, schreiend, weinend, verschmitzt und verbockt, nachdenklich oder übermütig – man konnte sich hineinverlieren. Ich tat es, stand und guckte und vermochte nicht, mich loszureißen, und der Hagestolz hatte sich hinter mir aufgebaut und sah sozusagen mit meinen Augen mit, ebenso verzückt und ohne müde zu werden. Tante Abelchen war an der Wiesenbaude hängengeblieben.

      „Dort kehrten wir immer ein, wenn wir von Krummhübel kamen.“

      Später gab es Kaffee, in Schlesien, also auch hier, wurde dies Wort auf der ersten Silbe betont und die beiden e am Ende fallen gelassen. Kaffä – so etwa müßte man es schreiben, wenn man Dialekt überhaupt schreiben könnte – und Streuselkuchen.

      „Das wundert mich ja nun“, sagte Tante Abelchen und setzte sich zu allem entschlossen an den gedeckten Tisch, „den hast du doch unmöglich noch schnell vor unserem Besuch backen können.“

      „Hab ich auch nicht. Aber seit einigen Wochen besitze ich eine Kühltruhe. Da hab ich ihn eingefroren – in Hinblick auf schlesischen Besuch. Unter solchem verstehe ich natürlich einzig und allein dich!“

      Es saß sich wunderbar behaglich in diesem hölzernen Raum. Ich blies weiche Rauchwölkchen in die Luft, und Tante Abelchen hatte die Flasche mit Kroazbeerenschnaps vor sich stehen. Richard Hagemann ging ein wenig hin und her, hantierte mit dem Plattenspieler, und gleich darauf erklang, sanft ansetzend, das Fünfte Brandenburgische durch den Raum, mit dem zarten Holzbläsermotiv, hinter dem das Cembalo klingelt. Wir lauschten alle drei, sahen einander an manchen Stellen an, lächelten bestätigend und fühlten alle gleichermaßen deutlich, wie anders es hier klang in der reinen Luft der Höhe. So, wie es wahrscheinlich gemeint war.

      „Aber komponiert hat er es, soviel ich weiß, in Leipzig. Damals trugen zwar die Städte noch nicht die Dunsthauben unseres mit Recht so gepriesenen Jahrhunderts, aber allzu gute Luft wird in Leipzig nicht gewesen sein. Damals gab es ja noch die ungeschriebene, aber eisern befolgte Sitte aller Hausfrauen, Schmutzwasser einfach auf die Straße zu schwappen. Und dazu die ungemütliche, ärmliche, wenn auch hoffentlich reinliche Kantorswohnung, um den Kantor herum Kinder jeden Alters, schreiend, plärrend, in die Hose machend, sich zankend, musizierend – und alle miteinander Sächsisch redend“, sagte Tante Abelchen verträumt, als der erste, freundlich getragene Satz in das muntere Scherzo übergegangen war. „Ein unwahrscheinlicher Mensch, dieser Johann Sebastian, nein, kein Mensch im üblichen Sinne mehr. Ein Wunder. Dieser geschundene, immerzu verwundete, in Armut lebende, sorgenbeladene, von verständnislosen Vorgesetzten abhängige – dieser Besessene, dieser Schöpfer. Wie wunderbar, ihn hier hören zu können.“

      Sie lächelten einander an, Richard und sie, und beider Gesichter wurden durch dieses Lächeln plötzlich jung, klar, strahlend. Ich mußte mich wiederum und diesmal noch gründlicher wundern.

      „Und nun erzähl vom Storch“, bat Tante Abelchen, als der letzte Ton verklungen war, und das befremdete mich, wenn ich ehrlich sein soll. Liebende, die sich über den Storch unterhalten – ich hatte vor kurzem einen gezeichneten Witz gesehen, an den mußte ich denken. Da geht ein junges Paar durch den Zoo, und sie stellt neckisch ein Bein in den Storchenzwinger. „Laß das, Karoline“, sagte er stirnrunzelnd ...

      Dieses Bild mit Unterschrift kam mir in den Sinn, und da platzte ich heraus, obwohl die Gefahr für dieses Paar hier vielleicht nicht allzu aktuell war. Immerhin, wenn man vom Storch spricht, hört man ihn klappern.

      „Ja, denk dir!“ sagte der Hagestolz. „Was alles passiert! Sein Nest ist heruntergefallen, wieso, weiß ich nicht, jedenfalls war kein besonderer Sturm. Wehen tut es hier oben immer, aber, wie gesagt, nicht außergewöhnlich. Das Nest aber lag am Boden zerstört, wie man so schön sagt, und ich dachte, nun kann ich meinem Storchenpaar nachweinen. Aber was denkst du? Kaum sind die beiden aus Afrika zurück, fangen sie wieder an zu bauen – auf der Erde. Habt ihr je so etwas erlebt? Der Rest des alten Nestes lag da zwar noch, ich hatte es zum großen Glück nicht abtransportiert, und da sehe ich, wie die Störchin anfängt, Äste und Ästchen hinzutragen und es schön auszustatten, so wie ehemals in luftiger Höhe. Sogar Papier trug sie hin, wie ich beobachten konnte, und dann setzte sie sich und legte Eier – es ist doch nicht zu fassen. In der Schule lernt man, daß der Storch auf Kirchtürmen, Hausdächern und ähnlichen hochgelegenen Punkten brütet. Neulich kam eine Schulklasse hier bei einem Ausflug vorbei, die staunte, kann ich euch sagen. ‚Stimmt ja gar nicht, was in unserem Bio-Buch steht‘, sagte einer, und ich fürchte, diese Klasse wird nun auch daran zu zweifeln beginnen, daß er die Kinder bringt.“

      „Erzähl Gusti doch, wie du zu ihm kamst!“ verlangte Tante Abelchen.

      „Ja, das ist auch eine mehr als seltsame Geschichte. Er kam wie sonst die Babys, für die er zuständig ist oder doch jahrhundertelang war, durch den Schornstein gefallen. Durch meinen. Schwarz und ruhig stand er in meinem Kamingitter, und ich wußte nicht recht, wie ich ihn begrüßen sollte. Einen Frosch hatte ich nicht zur Hand, um ihm Zappelsalat anzubieten, so verbeugte ich mich nur tief und sagte ‚Herzlich willkommen!‘, da verbeugte er sich auch und hackte mir in die Fußspitze. Ich hopste vor Schmerzen umher, das getroffene hochgezogen und mit beiden Händen haltend.“

      „Mach’s vor!“ rief Tante Abelchen, und er stand auf und mimte gehorsam seine damalige Schmerzensreaktion. Wir lachten, daß uns die Tränen kamen.

      „Er hat dann lange bei mir gewohnt, wir sind gute Freunde geworden“, erzählte der Hagestolz weiter. „Ich fuhr damals täglich nach frischem Fisch und bot ihm welchen an. Manchmal nahm er ihn, manchmal verweigerte er ihn drei Tage hintereinander, und ich mußte mir ein paar Katzen anschaffen, um den Fisch nicht wegwerfen zu müssen. Mein Haus stank nach Fisch und nach Storch. Störche haben nämlich einen ziemlichen Eigengeruch.“

      „Blieb er hier im Wohnraum?“ fragte ich neugierig.

      „Ja. Und er wurde so zahm, daß ich ihn schließlich streicheln konnte. Und das war gut, er hatte nämlich ...“, der Hagestolz stockte. Tante Abelchen gab ihm einen aufmunternden Schubs. Los, weiter! hieß das.

      „Er hatte – und daran erkannte ich, daß er eine Störchin war – eine typische Frauenkrankheit. Krampfadern, ja. Und die machten ihm – machten ihr – Beschwerden. Da habe ich sie mit einer entsprechenden Salbe massiert, und es hat auch geholfen. Nachdem sie erst tagelang auf einer Stelle stand, begann sie jetzt umherzuspazieren, durch die Durchreiche zu gucken“ – er zeigte dabei auf ein kleines Fenster, das vom Wohnraum aus in die Küche führte und durch das man Tassen, Teller und Schüsseln durchgeben kann –, „und ich konnte ihr von der Küche aus

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