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alte Dame ja gar nicht leisten, ohne allzuviel zuzufüttern. Diesmal fuhr ich wie der Teufel unter das Bett, haschte mit nun schon geübtem Griff nach dem Tier, fluchte wenig weiblich und warf die dritte Katze, diesmal ohne sie groß anzusehen, vor die Tür. Kaum war ich wieder im Bett gelandet, noch vor dem Einschlafen diesmal, ging das Gekratze schon wieder los.

      Ja, gab es denn das? Eine vierte Katze fuhrwerkte da unter meiner Lagerstatt herum, und damit war noch immer nicht Schluß. Bis neun zählte ich, dann gab ich es auf. Zuletzt schlief ich trotz Schmatzerei, erschöpft und verzweifelt und mit Gott und aller Welt zerfallen, ein und träumte merkwürdigerweise von England, wo es auf die Dauer doch etwas ermüdend war, aber niemals Katzen unter Betten kratzten.

      „Hast du schlecht geschlafen, mein Herzchen?“ fragte Tante am nächsten Morgen am Frühstückstisch. Ich sah wahrscheinlich nicht ganz so frisch und munter aus wie am Abend nach der langen Reise.

      „Ach, Tante, miserabel. Wozu hast du auch neun – nein, noch mehr Katzen? Eine nach der anderen habe ich aus dem Zimmer geworfen, sie krabbsten unter meinem Bett herum.“

      Tante Abelchen wunderte sich höflichst. Dabei wurden ihre Augen ganz rund und glänzten wie belutschte Malzbonbons.

      „Neun Katzen! Aber ich habe doch nur eine einzige, mein schwarzweißes Linchen!“

      Sie lief in die Küche und kam mit einer Katze auf dem Arm zurück, einer schwarzweiß gefleckten. Ich erkannte sie wieder.

      „Ja, die war auch dabei. Aber außerdem ...“, und ich erzählte. Tante Abelchen konnte es nicht fassen. Schließlich meinte sie nachdenklich: „Freilich haben bei mir alle Türen ein Katzenloch mit Hängetürchen, verstehst du, damit Linchen überall heraus und herein kann. Warum aber sollte sie zu dir gekommen sein?“

      Wir gingen miteinander ins Gästezimmer. Und da fanden wir die Lösung. Unter dem Gastbett lag eine Flasche, ausgelaufen. Tante nahm sie und roch daran. Baldrian! Ihr letzter Gast vor mir, richtiger: ihre letzte Gästin, hatte über unruhigen Schlaf geklagt und deshalb wahrscheinlich Baldrian mit sich geführt. Und die Flasche, die unter das Bett gerollt sein mußte, hatte sie vergessen. Katzen sind bekanntlich wild auf Baldrian, sie riechen auch die verschwindend kleinsten Mengen.

      Ich hatte also, so ging mir jetzt auf, neunmal dieselbe Katze, dasselbe schwarzweiße Linchen, vor die Tür gesetzt.

      Wir lachten sehr. Tante Abelchen guckte ein wenig betreten drein. In ihrer Weltanschauung wird die Gastlichkeit wie bei allen Menschen aus östlichen Gefilden nicht nur groß, sondern sozusagen mit goldenen Lettern geschrieben, und jetzt plagte sie das Gefühl, ich müßte mindestens drei weitere und diesmal katzenungestörte Nächte bei ihr schlafen, um diese Scharte auf ihrem Ehrenschild auszuwetzen. Nur der Hinweis auf die nun baldigst über die Bühne gehende Hochzeit konnte sie überzeugen, daß dies im Augenblick nicht zu machen sei.

      „Komm mit! Feiere mit, Tante Abelchen!“ bat ich, und in Tantes Malzbonbonaugen glänzte es auf. Eine Hochzeit mitfeiern, endlich einmal wieder, vorher schuften und backen und Kleider abstecken, bei der Trauung gerührt das Taschentuch an die Augen drücken ...

      „Ich komme mit!“ erklärte sie wie immer rasch von Entschluß und fing sogleich an zu packen. Mir war es ein Fest. Nun brauchte ich nicht allein weiterzufahren und brachte daheim eine schöne Überraschung (und eine Ablenkung von meiner eigenen Person) mit ins Haus. Tante Abelchen würde mit Freudengeschrei empfangen werden, dessen war ich sicher.

      „Hast du einen Fahrplan?“ fragte ich. Tante nickte eifrig. Sie hat immer alles, was man braucht.

      „Es ist allerdings einer vom vor-vorigen Jahr. Aber die Hauptzüge ändern sich ja höchstens um Minuten.“

      „Wenn man wüßte, ob diese Minuten vor- oder nachher gelten“, bekundete ich etwas nachdenklich.

      Gleich darauf aber fragte Tante Abelchen: „Weißt du was? Wir fahren mit dem Auto. Hast du einen Führerschein?“

      „Ja, nur kein Auto.“

      „Ich auch nicht. Aber der Hagestolz.“ Tante lächelte verschmitzt, drückte ihre Tasche zu – ihre Taschen sind immer bis zum Platzen vollgestopft – und warf sie auf die Couch.

      Ans Telefon! Sie wählte eine Nummer, die ihr flott von den Fingern ging, wie ich verstehend lächelnd feststellte. Gleich darauf wurde mir jenes amüsante Halbgespräch geboten, das soviel Vergnügen bereitet, weil man die zweite Hälfte dazukombinieren muß, also sozusagen schöpferisch beteiligt ist.

      „Ja, jetzt gleich. Natürlich. Eine Nichte von mir. Wir haben schon gepackt. Also.“

      „Er kommt“, sagte sie, als sie aufgelegt hatte. „Wir können aber noch einmal frühstücken.“

      „Wo wohnt er denn?“ fragte ich und dachte an den morgendlichen Rush-hour-Andrang auf den Straßen. Da konnte es natürlich sein, daß die Entfernung von einigen Kilometern ziemlich viel Zeit in Anspruch nahm. Zu meiner Verblüffung aber sagte die Tante: „In der Röhn. Ist doch deine Richtung, oder?“

      „Na, Tantchen, nicht ganz. Wir müssen ungefähr nach Göttingen zu, und die Röhn ist ...“

      „Macht nichts. Er fährt uns, wohin wir wollen. Ist ja im Ruhestand, warum sollte er nicht?“

      Der Hagestolz hieß eigentlich Richard Hagemann und war ein pensionierter Oberst, dazu Maler, und liebte Tante Abelchen seit ein paar Jahrzehnten vergeblich, wie sie mir mit einem stolzen Lächeln mitteilte.

      „Daß du ihn nicht erhört hast“, staunte ich.

      Sie erwiderte fröhlich: „Dann liebte er mich vermutlich nicht mehr. Und es ist so angenehm, geliebt zu werden. Man sollte das nicht leichtsinnig aufs Spiel setzen. Ich jedenfalls hab es gern.“

      Ich schwieg. Eine gewisse Logik lag in dieser Antwort, aber nur eine gewisse.

      Der Hagestolz kam. Er kam so prompt, als habe er im Tiefstart auf Tante Abelchens Anruf gewartet und sich danach sofort ins Auto geworfen. Ich mußte einräumen, daß diese Art, geliebt zu werden, ihre Vorteile hat. Wir stiegen ein, und er wendete vergnügt den Wagen.

      „Jetzt fahren wir erst zu mir. Es liegt ja am Weg“, sagte er. „Ich muß dir doch meine neuen Bilder zeigen.“

      Tante fand, daß eine Liebe die andere wert sei, und stimmte zu. Ich saß auf dem hinteren Polster und nahm den dort liegenden Straßenatlas vor. Schließlich hatte ich mich einige Jahre fern von Deutschland aufgehalten und mußte mich neu orientieren. Meiner Erinnerung nach ...

      Meine Erinnerung hatte recht. Freilich, allzu groß war der Umweg auch wieder nicht, und die Hochzeit fand ja auch noch nicht morgen statt. So lehnte ich mich zurück und sah hinaus, während ich mich bemühte, nicht auf das Gespräch zu hören, das die beiden andern führten. Es ist schon so eine Sache, mit einem Liebespaar unterwegs zu sein, auch wenn es nicht mehr ganz in Knospe steht.

      Das Ziel aber, das vorläufige, das wir ansteuerten, das lohnte. Richard Hagemann bewohnte ein Haus, das sehr einsam lag, einsam und hoch.

      „Wie im Riesengebirge“, betonte Tante Abelchen, als wir ausstiegen und ein kalter, reiner Wind uns empfing. „So war es im Riesengebirge, so oder ganz ähnlich. Die Kuppen kahl oberhalb der Baumgrenze – hier liegt es nur daran, daß keiner auf den Gedanken kam, Bäume anzupflanzen – und Wind, immer Wind. Herrlich!“

      Der Eingang des Hauses war mit Holz verkleidet, auch das „wie im ...“ Kam man schneeüberkrustet von draußen herein, so mußte man sich erst mit einem groben Schneebesen reinigen in diesem kleinen, windgeschützten Verschlag. „Schnee runter!“ riefen die Drinsitzenden, wenn jemand herein wollte, der diesen Ritus nicht befolgt hatte, durch Tabaksqualm und Wärme, durch Gelächter und Zitherspiel zur Tür. „Und die Schier steckte man in den Schnee.“

      Jetzt war kein Winter und kein Schnee. Trotzdem trat man wohlig schaudernd ins Warme, in die große, niedrige holzgetäfelte Stube, die Wohn-, Schlaf- und Eßzimmer sowie Atelier war und die, wie man sogleich spürte, geheizt war. Ich sah mich neugierig um. So was gefällt mir.

      „Ja,

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