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am anderen Tag an. Wir beneideten sie nun doch. Was sollte aus uns werden? Wir waren schon sooo alt und mußten endlich auch in den Sattel.

      Es wurde Herbst, wir mußten ins Internat zurück. Von Hardehausen aus gab es keine Möglichkeit, eine höhere Schule zu besuchen. Darum hatte Mutter nur noch die Kleinen zu Hause, die in die Volksschule gingen.

      „Bis Weihnachten!“ Blacky fuhr uns zur Bahn, und Schnute trottete mit. Wir winkten den Ponys, die über den Bahnhofszaun guckten, und die wir nun drei Monate nicht sehen würden. Lange und umständlich putzten wir uns die Nase, als das letzte Stückchen von zu Hause verschwunden war.

      Erste, teils schmerzliche Erfahrungen

      Der Umgang mit Pferden ähnelt dem Opiumrauchen. Hat man damit angefangen, so kann man es nicht mehr lassen. Es wird immer schlimmer. Schließlich hat man nichts anderes im Sinne als die Pferde.

      Wir großen Geschwister begannen Nachhilfestunden zu geben und heimlich Blut zu spenden. Auf diese Weise erhöhten wir das Taschengeld und konnten uns, wenn die Sehnsucht uns übermannte, im nahe bei Bad Harzburg gelegenen Bündheim eine Reitstunde gönnen. Wir vermuten, daß unsere Direktorin dies wohl merkte, aber ein Auge zudrückte. Wer in den Sattel strebt, ist nicht aufzuhalten.

      Außerdem heißt es, daß nichts den Menschen so veredelt wie der Umgang mit Pferden. Um sie nicht zu erschrecken oder zu ängstigen, muß man immer beherrscht, sanft und geduldig sein. So überstanden wir dieses längste Vierteljahr im Internat mit einigem Anstand, ärgerten uns nur, daß die Kleinen nicht genug von den Ponys berichteten. Einmal kam ein Brief von Ben, den Mutter anscheinend dazu angetrieben hatte. Er lautete: „Ich bin noch gesund, eure Borste.“ Das war nicht sehr ergiebig, bis auf den Spitznamen.

      Von Mutter kamen allerdings auch keine regelmäßigen Berichte. Mitunter erhielten wir Postkarten oder Zettel, gelegentlich telefonierte sie auch nach 19 Uhr. Manchmal teilte sie uns per Brieftelegramm komische Sachen mit. Darin war auch Arndt groß. Wir hatten es uns daher abgewöhnt, vor Telegrammen zu erschrecken. Meist hatten sie etwa diesen Inhalt:

      „Schaunummer geritten. Blacky zweites Hindernis gerissen. Arndt anscheinend auf Liebespfaden, da betäubend rasiert. Kanarienvogel wohlauf (wir haben nie einen besessen). Bleibt gute Menschen, tüchtig essen. Mützchen.“ Da die Telegramme in der Schule im Büro angenommen werden, haben wir mitunter Blut geschwitzt.

      In der Adventswoche bekamen wir das übliche Päckchen mit Pfefferkuchen, Kerzen und Tannengrün aus Hardehausen und einen langen Brief. Darin schrieb Mutter, die – ähnlich wie Onkel Bubi – kein Geheimnis behalten kann, sie hätte für uns zu Weihnachten eine ganz große Überraschung. Eine – ob wir es uns denn nicht denken könnten? Sie finge mit S an ...

      Wir konnten und mochten auch nicht. Wir wollten diesmal richtig überrascht werden und vorher nichts wissen. Das schrieben wir auch nach Hause. Mutter drehte und wand sich in den wenigen Briefen, die sie bis Weihnachten noch schickte, immer wie ein Aal um die große Überraschung herum. Aber schriftlich kann man sich ja nicht so leicht „aus Versehn“ versprechen.

      Am Abend vor der Heimfahrt waren wir, wie meist vor den Ferien, bei der Direktorin eingeladen. Es gab Tee und Gebäck. Die Großen von uns durften rauchen, wenn sie wollten. Die Koffer waren schon gepackt, uns erfüllten Vorfreude und Reiselust. Jeder erzählte, welche Weihnachtsarbeiten er fertig oder noch nicht fertig habe. Manche strickten noch mit roten Wangen am letzten Pulloverärmel. Kurzum, es war richtig gemütlich.

      „Nur ihr seht mir so bedrückt aus!“ sagte die Göttliche zu den vier Gasts. „Habt ihr nicht alles fertig? Oder wo drückt der Schuh?“

      Wir rückten zögernd mit unsern Sorgen heraus.

      „Unsere Mutter hat geschrieben, sie hätte dieses Jahr eine ganz große Überraschung“, murmelte Lotte.

      „Na und? Das ist doch schön“, wunderte sich Frau Direktor.

      „Ach, schön ... Mutter hat manchmal so merkwürdige Einfälle.“

      „Womit hat sie euch denn früher schon überrascht?“ fragten die anderen.

      „Ach, einmal hat sie gesagt, es wäre auch so was Herrliches da, wenn wir heimkämen. Und da hatte sie unsere Betten knallrot angestrichen. Wir haben Etagenbetten, weil wir so viele sind. Und die auch noch rot, mit blaukarierten Überzügen drin!“

      „Habt ihr euch da nicht gefreut?“

      „Wir haben so getan. Man gewöhnt sich mit der Zeit ja auch daran.“

      „Und sonst?“

      „Einmal hat sie die Klo-Brille grün gestrichen, weil Farbe vom Ponywagen übriggeblieben war. Die trocknete aber sehr langsam, und sie hatte die Brille nicht abgeschraubt, sondern ...“

      Lotte gab Katrin, die damals erst dreizehn war, einen Rippenstoß, aber es war schon zu spät. Alle lachten. Immer lachten sie über uns.

      Unsere Frau Rexin lächelte übrigens auch, aber nett und gar nicht schadenfroh. Sie tröstete uns, diesmal wäre es sicher eine sehr schöne Überraschung.

      Wir fuhren ab. Käpten war, wie meistens vor Weihnachten, überarbeitet, schleppte eine Grippe mit sich herum und hatte das Thermometer immer heruntergeschüttelt, wenn die Hausmutter nachsehen kam. Sie wollte doch Weihnachten nicht allein im Krankenzimmer des Heims vertrauern. Wir zerrten sie in Goslar beim Umsteigen, rechts und links untergehakt, mit uns und waren froh, als wir auf Arndt stießen, der aus Wolfenbüttel kam. Nun ging es gemeinsam der Heimat zu.

      Nacht war es, als wir ankamen, und Weihnachtswetter mit Schnee und Sturm. Demnach nahmen wir als sicher an, daß wir abgeholt werden würden, und hatten deshalb auch nichts von Käptens Krankheit verlauten lassen. Daheim würde sie bis zum Heiligen Abend schon auskuriert werden.

      Richtig, Mutter stand auf dem Bahnsteig. Arndt beförderte Koffer, Kartons, Schier, Geigenkästen, Seesäcke, Pakete und zusätzliche Mäntel aus dem Abteil. Wir wollten das Zeug wie üblich über den Zaun werfen. Mutter aber hielt uns zurück.

      „Ihr müßt alle auf einmal durch die Sperre gehen. Dann kommt die große Überraschung!“

      Nanu, heute schon? Wir gehorchten. In der Bahnhofshalle – wenn man bei einem so winzigen Bahnhof von Halle sprechen kann – stand etwas Großes, Lebendiges, Schwarzweißes ...

      Käpten, durch das Fieber wohl etwas im Blick getrübt und auch leicht enthemmt, man spricht ja auch in der Narkose bekanntlich Dinge aus, die man sonst verschweigt, verhüllte das Antlitz und stöhnte: „Mutter hat eine Kuh gekauft!“

      Wir haben sie später oft mit diesem Verzweiflungsschrei geneckt. Damals aber dachten wir alle dasselbe wie Käpten. Mutter krümmte sich vor Lachen. Selbst wenn sie eine Kuh gekauft hätte, würde sie die doch nie auf den Bahnhof schleppen, fünf Kilometer weit, mit schlenkerndem Euter.

      „Und warum bringst du das neue Pferd mit?“ fragten wir.

      Mutter erklärte wortreich. Steffi war auf der Schecke hergeritten, denn ein Geheimnis wäre es ja doch nicht geblieben, siehe Blackys Kauf. Beim Start war es übrigens nicht ohne Schwierigkeiten zugegangen. Die Kleinen wollten stilvoll mit Glöckchen durch den Schnee reiten. Blacky und Schnute ließen sich das Bimmelim am Hals auch ruhig gefallen, die Schecke aber, das neue Pony, ging kerzengerade in die Luft. Steffi, die nicht losließ, wurde am Zügel mitgeschleift und landete in einer Schlammpfütze.

      „Schecki“ war also die große Überraschung mit S. Sehr hübsch, wenn auch nicht reinrassig. Widerristhöhe etwa einsdreißig, also durchaus auch als Reitpferd für uns Große zu verwenden. Ihr Vater war ein Shetlandpony wie unsere kleinen Stuten, die Mutter ein mittelschweres Arbeitspferd. Schecki war sanft und klug, aber etwas weich im Rücken, so daß wir zwar gerade noch, Mutter aber kaum auf ihr reiten konnte. Lieb hatten wir sie sofort. Sie vertrug sich auch ganz gut mit Blacky und Schnute. Arndt führte sie heimwärts, während Steffi draufsaß, es war besser so. Die Straße war mordsglatt, und immerfort kamen von vorn und hinten Autos mit Scheinwerfern. Wir fingen langsam an, uns zu freuen. Drei Pferde, wunderbar!

      Dieses

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