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einer genauen ethno-kulturellen Bestimmung der Ausgangsvölker Preußens ergeben, muss hier nicht hingewiesen werden. Man tut sich bis zum heutigen Tage schwer, auf Grundlage von sprachlichen Relikten und deren Querverbindungen exakte ethnische Unterscheidungen in der Historie vorzunehmen, gerade weil Sprache ein organisches und daher höchst dynamisches Phänomen ist, das dem Gelehrten Haken zu schlagen weiß. Da der Verfasser kein Vertreter einer wie auch immer konzipierten materialistischen Schule ist, orientiert er sich ebenso wenig an einem materialistischen Verständnis von Völkern oder Rassen: Wesen, Geist, Zucht und Kunst verraten weit mehr über ein Volk, als es etwa die Genetik vermag. Es ist in jedem Falle kennzeichnend für den preußischen Charakter, dass er wesentlich im Deutschtum wurzelt, aber nicht ohne die weiteren (wahrscheinlich) wendischen und baltischen (nach Treitschke: finnischen) Zugaben erscheinen konnte. Es hat schließlich eine fulminante kulturelle Verschmelzung und Überschichtung stattgefunden: Die germanischen Siedler brachten die Disziplin, den Ordnungs- und Ordensgeist, die Prußen als Fischer und Jäger die Geschicklichkeit und Zähigkeit aus den Urzeiten, zuletzt die Slawen Genügsamkeit und Leichtsinn bis hin zum Fatalismus.

      Das seelische Preußentum blieb nicht bei den Masuren, entlang der Ostsee oder der Mark Brandenburg stehen, es breitete sich als wesentlich im übrigen deutschen Norden, in Mitteldeutschland und anderen protestantisch geprägten Landesteilen aus. Alle vier hier zu behandelnden preußischen Persönlichkeiten sind keine gebürtigen preußischen Staatsbürger: Fichte ist im Kurfürstentum Sachsen geboren, Blücher und Moltke im Herzogtum Mecklenburg­Schwerin, Hegel schließlich im Herzogtum Württemberg. Unabhängig von ihrer Herkunft wurden sie Preußen; als Preußen wurden sie schließlich Deutsche aus Verantwortung. Bismarck sah bereits die Bedeutung und Aufgabe des Preußentums für Deutschland klar und deutlich:

      »Wir züchteten schon damals das Offiziermaterial bis zum Regiments-Kommandeur in einer Vollkommenheit wie kein anderer Staat, aber darüber hinaus war das eingeborne preußische Blut nicht mehr fruchtbar an Begabungen wie zur Zeit Friedrichs des Großen selbst. Unsre erfolgreichsten Feldherren, Blücher, Moltke, Gneisenau, Goeben, waren keine preußischen Urprodukte, so im Zivildienste Stein, Hardenberg, Motz und Grolman. Es ist, als ob unsre Staatsmänner wie die Bäume in den Baumschulen zu voller Wurzelbildung der Versetzung bedürften.«4

      Diese Liste ließe sich beliebig fortführen. Alle diese Persönlichkeiten gingen in Preußen auf und stehen maßgeblich für Preußen, wenn auch ihr Bekanntheitsgrad hinter dem »Soldatenkönig«, dem »Altem Fritz« oder dem »Eisernen Kanzler« zurücksteht. Gerade weil sie in der allgemeinen Wahrnehmung die »zweite Garde preußischer Prominenz« bilden mögen, ist es umso bedeutender für das Preußentum, dass es ebenfalls in den »hinteren« Abteilungen so stark ausgeprägt war. Alle großen Preußen stehen gleichzeitig für Deutschland und sind tief in seine Geschichte verwoben, sofern sie diese nicht selbst mitgeschrieben haben; sie trugen zur Entstehung eines gesamtdeutschen Verantwortungsgefühls und später Beamtentums bei, das im Verlaufe seiner Entwicklung ein Deutschland ermöglichte, das sich von einem Objekt der europäischen Politik zu einem handelnden Subjekt erhob.

      Blücher steht als »Marschall Vorwärts« für die Befreiungskriege und den kriegerischen Genius Preußens, wie für dessen Rettung und die Herstellung deutscher Souveränität; Fichte steht mit seiner Philosophie für den deutschen Geist in seiner eigenen idealistischen Gestalt, der mit seinen Reden an die deutsche Nation vom Katheder aus die sittliche Erneuerung Preußens und Deutschlands in Bewegung setzte und sich für Nationalgefühl, Volkserhebung und die Pflicht zu einer damals nicht vorhandenen Nationalerziehung einsetzte; der »Große Schweiger« Moltke steht mit seinen Siegen von Königgrätz und Sedan für den militärstrategischen Genius Preußens und für die deutsche Reichseinigung unter Preußens Führung; Hegel vollendet die deutsche Transzendentalphilosophie, wird preußischer Staatslehrer und stellt mit seinem Denken, welches auf der Dynamik der dialektischen Spannung allen Seins beruht, eine bleibende Herausforderung für die kommenden Jahrhunderte dar. Alle verkörpern so das innere Spannungsverhältnis zwischen Preußentum und Deutschtum, das sich in ihnen staute und mit ihnen Geschichte machte.

      Natürlicherweise wird man einen Akteur ausschließlich in dessen jeweiligem Metier beurteilen können und so wird und muss daher bei den Militärs der Schwerpunkt auf ihren Handlungen und Entscheidungen, bei den Philosophen hingegen auf ihren Gedanken und Worten liegen, auch wenn Preußen, das Sparta (Friedrich Wilhelm) und Athen (Friedrich) zugleich ist, stets Hybride beider Disziplinen hervorbringen musste.

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      Diese Schrift erhebt keinerlei wissenschaftliche Ansprüche; sie unternimmt vielmehr den Versuch einer morphologischen Ausdeutung eines Wesens, einer Idee in ihren Erscheinungen und Formen, ohne diese zu sezieren, ohne sie als toten Gegenstand zu behandeln. Dort, wo Vereinfachungen auftreten, seien die Ausnahmen der großen Form untergeordnet. Es ist die Überzeugung des Verfassers, dass sich die Dinge auf diese Weise besser begreifen lassen, als mit den Methoden der analytischen Wissenschaften. Goethe hat diese Ansicht vertreten und aus diesem Grunde sticht er bis heute aus der Masse von bloßen Gelehrten oder dem Riesenheer jener Wissenschaftler hervor, die das Leben dem Fetisch der Objektivität geopfert haben. Leitfaden ist für den Verfasser deshalb einzig Goethes großes Wort:

      »Und keine Zeit und keine Macht zerstückelt

      Geprägte Form, die lebend sich entwickelt.«5

      Es geht dem Verfasser ausdrücklich nicht darum, vollwertige Biographien vorzulegen; weder soll das militärische oder philosophische Wirken der Protagonisten en detail nachvollzogen werden, noch maßt sich der Verfasser an, dies vollumfänglich leisten zu können. Ziel soll der Nachweis des echt preußischen Charakters des Lebens und Werkes dieser Persönlichkeiten sein, den nicht nur die größten und bekanntesten Staatsmänner besaßen. Es soll gezeigt werden, wie sehr der Staat auf diesem Charakter beruhte und ihn weitertrug, Generation für Generation, spätestens seit Friedrich I. (1657–1713). Gleichzeitig soll die innere Logik des Preußentums in der Veräußerlichung durch seine Träger verstanden und die aufgeführten preußischen Charakterköpfe als organischer Bestandteil des Ganzen gesehen werden, denn sie stehen gleichermaßen für Preußen wie Schinkel, Menzels Flötenkonzert in Sanssouci, Michael Kohlhaas, Soldatenzopf, Schadow, Antimachiavell und Volksheer.

      Natürlicherweise steckt in dieser Schrift ein persönliches Bekenntnis des Verfassers zu Preußen, welches seinem ewigen Fortbestehen dienen möge. Man konnte den preußischen Staat mit Schmutz und Lügen überziehen, ihn zuletzt abschaffen; man übersah jedoch auf der Gegenseite dadurch, dass man für das Lebendige in seiner Entwicklung keinen Blick hat, dass sich Ideen nicht abschaffen lassen. Gerade aus diesem Grunde ist der heutige Mangel an preußischem Geist eine zutiefst verdrießliche Tatsache, denn allein auf ihn kommt es an. Das Preußentum wird fortbestehen, solange es im Geiste fortbesteht und durch die Tat gelebt wird. Ohne Deutschtum kein Preußentum – ohne Preußentum kein Deutschland. Dieser Geist ist nach Überzeugung des Verfassers verschüttet, eingesperrt, wenigstens in tiefem Schlafe begriffen und es ist das Anliegen, dass dieser geborgen und zum Dienste hoher Sittlichkeit und Kraft entfesselt werde. In tiefer Demut und Bescheidenheit möchte sich der Verfasser am großen Fichte orientieren: »Ich habe zu einem Gelehrten von Metier so wenig Geschick als möglich. Ich will nicht bloß denken, ich will handeln.«6

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