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Stark wie die Mark. Rudolf Stratz
Читать онлайн.Название Stark wie die Mark
Год выпуска 0
isbn 9788711507179
Автор произведения Rudolf Stratz
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Achim von Bornim neben ihr nickte. Da lag Schloss Sommerwerk. So wie immer. Seit Anbeginn der Dinge. Als man zur Wenden- und Sorbenzeit hier noch auf allen vieren lief und Albrecht der Bär das Kreuz hob über Luch und Bruch der Mark. Die Bornim waren immer dagewesen. Ihr Herrenhaus freilich stammte aus der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts. Das alte hatten die Russen im Siebenjährigen Krieg verbrannt, das noch frühere die Schweden im Dreissigjährigen Krieg, eine sagenhafte Wasserburg vorher hatte die ‚Faule Grete‘ des Burggrafen von Nürnberg niedergestreckt. In den Freiheitskriegen hatten noch die Franzosen böse gehaust. Einerlei: hier und rings im Lande wuchs ein zähes Volk. Das liess sich nicht kleinkriegen. Trotzig prangte unter dem steinernen Torbogen der Einfahrt der Wappenspruch:
„Glück herein! Unglück hinaus!
Das ist der Bornim ritterlich’ Haus
Seit sechshundert Jahren.
Gott wolle bewahren
Geschlecht und Haus!“
Um das niedere, langgestreckte, von zwei Türmen flankierte Barockgebäude mit der grossen Freitreppe grünte der uralte Park, dehnten sich hinten, gegen die bemoosten Schilfdächer des Dorfes hin, die weiten Scheunen und Ställe des Gutshofs. Exzellenz von Bornim, der Schlossherr, stand vor seinem Haus. Er hatte die Stimmen seiner Söhne gehört und lachte jetzt über sein verwittertes altes Gesicht beim Anblick des Jüngsten und schwenkte den Stock.
„Haste ihn vertobackt, Junge!“ schrie er vergnügt. „Haste ihn vermöbelt? Haste ihm heimgeleuchtet ... dem Lauckardt oder wie der Kerl heisst? Recht so! Sich nur nichts gefallen lassen! Immer ’raus mit der Plempe!“
Seine blauen Augen flammten über dem weissen Schnurrbart. Er straffte die hagere, kleine Gestalt. Auch in ihm, der wegen seines schwächlichen Körpers nie gedient hatte, kochte das Blut des wilden alten Junkergeschlechts vor den Toren Berlins. Sein Sprössling meldete aufgeregt: „Also ... es war in der Turnhalle, Papa ... Erst wurden wir bandagiert ... Und dann wurde gefragt: ‚Sind die Herren fertig?‘ ... Und nu los ... Sauhiebe hatte der Lauckardt gleich an sich ... Aber das Rappier ist doch viel leichter als ein Pallasch. Da ging alles bei ihm flach ... verfluchte Backpfeifen ... ich dacht’, ich müsst’ Zähne spucken! ... Nu wurd’ ich wild ... und passt’ auf wie ein Schiesshund und fuhr ihm in die Blösse ... und da sah ich auch schon gleich drüben Rot ...“
„Famos! Famos!“ sagte der alte Herr.
„Da rief der Unparteiische Halt, und der Lauckardt schweisste mächtig an der Stirn. Aber er war so wütend. Er wollte weiter. Gut. Nu war er aber schon unsicher, und ich langte ihm mit ’ner Prim übern Deetz, dass es nur so krachte ... denk nur ... da flog ihm gut ein Talerstück Kopfhaut mit dem Haar glatt weg. Sein Sekundant hat’s aufgehoben und zwischen zwei Fingern hochgehalten. Es war aber schon ganz dreckig vom Staub ... man konnt’ es nicht mehr brauchen ...“
„Pfui!“ versetzte Eva-Marie schaudernd. Die männlichen Bornims lachten alle herzlich. Achim schloss: „Noch nicht genug! Geschnauft hat er vor Zorn! Er hat sich anständig gehalten. Das muss ihm der Neid lassen. Aber nu kriegt er eins in die Backe ... klatsch ... die Backe klappte auf wie ’ne Butterstulle ... die Zähne dahinter! Da hat ihn der Stabsarzt endgültig eingeheimst! ... Zehn Märker hat jeder von uns dem Stabsarzt geben müssen, Papa ...“
„Da hast du sie!“ sagte der Alte, die zarte Anspielung verstehend, und steckte ihm ein Zwanzigmarkstück in die Hand. „Na — und was macht er denn nun?“
„Er liegt noch im Lazarett. Über seinem Bett hängt von der Decke eine lange Strippe und daran eine Eisblase. Die hat er auf dem Kopf. Sonst geht’s ihm gut!“
„Na ... und du ...“
„Gott ... ich ...,“ meinte der Fähnrich etwas verlegen.
„Kleine Reise in die Schweiz ... was?“
Nun lachte Achim von Bornim und gestand: „Ja, Papa! Acht Tage gelinden Arrest wegen unkameradschaftlichen Benehmens. Ich war ja auch dumm: Sie haben mir tüchtig den Kopf gewaschen. Was mir eigentlich einfiele? Der alte Lauckardt sei ein tadelloser, hochangesehener Herr, bei dem der Kommandierende und der Oberpräsident verkehrten ... klotzig reich ... hat als Landwehrhauptmann das Jahr siebzig mitgemacht und das Eiserne Kreuz ...“
Er zögerte und setzte freimütig hinzu: „Weisst du, Papa ... da hab’ ich mich doch eigentlich hinterher recht geschämt! Und wie ich aus dem Arrest war, hab’ ich am Sonntagnachmittag meinen Helm aufgesetzt und bin zu dem Lauckardt in das Lazarett gegangen und hab’ ihn aus freien Stücken um Verzeihung gebeten, dass ich ihn immer mit der Seife so gepiesackt hätte ... Wir haben uns die Hand gegeben! Nun ist Friede! Ausstehen kann ich ihn freilich immer noch nicht ...“
Der alte Bornim legte seinem Jüngsten die Hand auf die Achselklappe des Gardeinfanterierocks.
„Gut so! ... Man muss sein Unrecht eingestehen. Weisst du noch, was ich euch als kleine Jungens hab’ lernen lassen:
‚Der ist nicht flugs ein Edelmann,
Der geboren ist aus grossem Stamm‘ ...?“
„Ja, Papa ... ich kann das Ganze noch auswendig!“
„Nun, siehst du — das hast du wohl verstanden. Ich bin zufrieden mit dir, Junge! Aber nun kommt mal endlich ins Haus!“
Er trat mit seinen Söhnen durch das Tor von Sommerwerk. Lüdecke als der letzte. Wie immer ausserstande, ernst zu sein. Er blinzelte gerissen: „Evchen — was macht denn der bläuliche Husar?“
Das Fräulein von Bornim wurde feuerrot und schwieg. Ihr Bruder schnitt ein tieftrauriges Gesicht: „Das weisste doch, Maus: Mit dem Geld ist’s bei den Silleins man mau! Aber äusserst! Nischt haben sie ausser ihrer schlesischen Klitsche! ... Auch der blaueste Husar braucht Kommissvermögen, so gut wie andere Sterbliche ... Gott ... da kommt das Ilschen! Wo hast du denn deine Puppen, Kind? ... Was? Du spielst nicht mehr mit Puppen? Du wirst vierzehn? Respekt! ... Ihren Arm, meine Gnädigste! ... Siehst du ... so macht man das bei Hofe ... Voraus der Mann mit dem grossen Stock ...“
Das Kind lachte. Er führte es gravitätisch, sein Spazierstöckchen wie einen Hofmarschallstab aufstossend und auf den Fussspitzen wippend, in das Dunkel der Halle. Er musste schauspielern und Witze reissen. Er konnte nicht anders. Kaum dass er in der Kirche nachher, beim Gottesdienst, dem alle Bornims beiwohnten, eine dienstliche Ergebung zur Schau trug und nur durch die Nase gähnte. Als man wieder in die Sonnenhelle hinaustrat, frug Achim von Bornim seine jüngste Schwester, neben der er gesessen: „Sag mal: Warum bist du denn eigentlich so tiefsinnig, Evi? Der olle Schörlin geht einem doch nicht so an die Nieren! ... Der predigt doch seinen gewohnten Stiefel herunter ...“
Das blonde Landfräulein gab nicht gleich eine Antwort. Als sie eine Strecke hinter den übrigen zurückgeblieben waren, sagte sie merkwürdig aufgeregt, gar nicht die sorglose Arbeitsbiene wie sonst: „Du bist noch der Vernünftigste von euch dreien! Der Lüdecke ist überhaupt nichts und Hans Christoph ist nicht sehr gescheit. Merkst du denn gar nicht, Achim, dass hier bei uns nicht alles so ist, wie es sein sollte?“
„Wieso denn?“
„Ja, ich weiss selber nicht ... Es ist so ein drückendes Gefühl: Alles geht zurück ... langsam ... unaufhaltsam ... Niemand sieht’s! Niemand sorgt sich drum! ... Es ist, als müsst’ es so sein! ... Ich schufte weiss Gott strenger als ’ne Mamsell! Mir kann keiner Faulheit vorwerfen! Aber was ich unter mir hab’: Milch und Eier und das bisschen Geflügel und Gemüse, das macht den Kohl nicht fett. Es handelt sich eben um das ganze grosse Gut ... Ich werd’ den Verdacht nicht los, dass da schlecht gewirtschaftet wird ... rein in den Tag hinein!“
„Das lasse doch Papas Sorge sein!“
„Papa! Das ist ja eben das Elend! Papa merkt doch nichts!“
Ihr Bruder lächelte mitleidig. Dumm waren doch manchmal die Frauenzimmer! Nicht