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      Ich will der Frage nachgehen, warum die charismatischen Bewegungen oder auch andere Erneuerungsbewegungen so schnell an Schwung verlieren können. Es könnte an einer Einseitigkeit der Wahrnehmung liegen. Der Gedanke der „Wellen des Geistes“ symbolisiert zwar Dynamik, hat aber de facto dazu geführt, dass sich die verschiedenen Bewegungen voneinander abgrenzten und lediglich noch in einer Richtung unterwegs waren. Manche richteten ihre neuen „Tempel“ wohnlich ein und besangen die Gegenwart Gottes – ohne zu bemerken, dass diese gerade unterwegs war. Es blieben Formen, Rituale, Gewissheiten. Je mehr man es sich allerdings in den neuen Bewegungen gemütlich machte, desto mehr verloren sie an Schwung, der Strom wurde immer enger. Es ist bereits angeklungen, dass in den vielfältigen pfingstlich-charismatischen Bewegungen auch eine gewisse Engführung und Starre auszumachen ist. Ein Grund dafür mag darin liegen, dass neue Bewegungen sich nicht selten aufgrund einer Unzufriedenheit mit dem Status quo entwickeln, aber seltener, weil der Geist Gottes uns „mitfließen“ lässt und in seiner Liebeskraft zum Standortwechsel auffordert. Die Konzentration der charismatischen Erneuerungsbewegungen auf die Erneuerung des einzelnen Menschen hat nach meiner Einschätzung zu einer verhängnisvollen Verengung der Bewegung geführt. Da geht es um die Ersterfahrung des Empfangs der Gabe des Geistes, um ein vom Geist Gottes erfülltes Leben in der Heiligung und um die vielbesagten Charismen. Zuweilen stehen einzelne Geistesgaben unverhältnismäßig stark im Mittelpunkt (Sprachenrede, Heilungen, Prophetie, Leitung). Die gemeinschaftsfördernde Dimension, die ekklesiologischen und sozialpolitischen Akzente einer ganzheitlichen Lehre vom Heiligen Geist bis hin zur kosmischen und eschatologischen Pneumatologie werden nur wenig bedacht. Peter Zimmerling reflektiert diese Tatsache angesichts einer Zuordnung zu den drei Artikeln des apostolischen Glaubensbekenntnisses und resümiert: „Die Konsequenzen aus der nur mangelhaften trinitarischen Rückbindung des Geisteswirkens in charismatischer Theologie und Frömmigkeit besteht in einer häufig zu beobachtenden Vernachlässigung des ersten und zweiten Artikels. Der fehlende Bezug zum ersten Artikel lässt leicht übersehen, dass jede Geisterfahrung von soziologischen und charakterlichen Gegebenheiten des jeweiligen Menschen geprägt ist; der vernachlässigte christologische Rückbezug führt zur Gefahr des Triumphalismus. Beides lässt sich am Charismen-, Gemeinschafts-, Gottesdienst-, Seelsorge- und Gemeindeaufbauverständnis charismatischer Bewegungen verifizieren.“24 Zimmerling könnte hier auch zusätzlich eine verkürzte Wahrnehmung des dritten Artikels ausmachen, denn auch die eschatologisch-pneumatologische Dimension wird zu wenig bedacht. Die pneumatologische Gemeindelehre hat sich vielfach zu einem Reizthema auch unter den Charismatikern entwickelt. Es gibt unterschiedliche Gemeindeaufbaukonzepte. Während die innerkirchlichen Bewegungen auf die charismatische Erneuerung der bestehenden Ortsgemeinden zielen, wählen andere den Weg der Gemeindeneugründung. Hier entfaltete sich eine Vielzahl von verschiedenen ekklesiologischen Entwürfen (Hauskirchen, ökumenische Gemeinschaften, Kommunitäten, freie unabhängige Ortsgemeinden). Die Neugründungen sind oft begründet in der Ablehnung der bestehenden Kirchen und Freikirchen. Die Pfingstkirchen haben sich zur eigenen Kirchenbildung entschieden und bieten ekklesiologisch vielen charismatischen Gruppen und Gemeinschaften ein konfessionelles Zuhause. Die charismatischen Erneuerungsbewegungen in den traditionellen Kirchen und Freikirchen meiden zum Teil die Frage nach einer vom Geist Gottes geprägten Gemeindelehre. In diesem Sinne setzt die Charismatische Erneuerung in der katholischen Kirche in Deutschland den Akzent sehr eindeutig und zum Teil auch einseitig auf die geistliche Erneuerung des Einzelnen. Die Reduzierung des Geisteswirkens auf Themen wie Geistestaufe, Geisterfüllung oder auch auf die Freisetzung einzelner Charismen hat den missionarischen Schwung der charismatischen Bewegungen enorm ausgebremst.

      Der Geist Gottes ist ein Geist der Mission in dieser Welt, nicht nur ein charismatischer Geist. Er ist der Geist des Lebens, der auch an all die vertrockneten Orte dieser Welt gelangen will. Ein neues Nachdenken über diesen Geist der Mission finden wir bereits bei dem jungen Karl Barth.25 In Anlehnung an Barths Redeweise von der „Actio Dei“ prägte der Missiologe Karl Hartenstein26 den Begriff der „Missio Dei“ (Sendung Gottes), um deutlich zu machen, dass Mission eine Aktion des dreieinen Gottes selbst ist und nicht nur eine menschliche Reaktion auf den Missionsauftrag Jesu. In jüngerer Zeit nahmen die Missiologen Lesslie Newbigin27, David J. Bosch28 oder auch Paul Hiebert29 die Fragestellungen auf, wie diese Mission Gottes sich in der jeweiligen Kultur ereignen kann. Die Veränderung der Gesellschaft wurde in der Perspektive des angebrochenen Gottesreiches als Ziel dieser Mission gesehen, und nicht allein die Erfahrung der versöhnenden Erlösung des einzelnen Menschen. Alan Hirsch und Michael Frost30, Alan J. Roxburgh31, Ed Stetzer32 oder auch die deutschen Theologen Johannes Reimer33, Roland Hardmeier34 und Tobias Faix35 nahmen diesen ganzheitlichen inkarnatorischen Ansatz36 der Mission auf und verwendeten hierfür den Begriff „missional“. Im Unterschied zum langläufig verwandten Terminus „missionarisch“ bezeichnet „missional“ ein ganzheitliches Verständnis von der Sendung Gottes in alle Bereiche des Lebens.

       „Eine missionale Kirche definiert sich vor allem aus ihrer Berufung zur Mission und entwickelt ihr Wesen und alles Handeln aus dieser Sendung als Trägerin von Gottes Mission in dieser Welt. Das Ordnungsprinzip von Kirche ist Mission. Wenn Kirche ihre Mission lebt, ist sie wirklich Kirche. Kirche selbst ist nicht nur das Produkt von Mission, sondern sie muss diese Mission mit allen Mitteln weiter führen – darin liegt ihre Bestimmung. Die Mission Gottes drückt sich in jedem Glaubenden aus und in jeder Gemeinschaft, die sich auf Jesus beruft. Diese Mission zu behindern, heißt Gottes Absicht mit und durch sein Volk zu behindern.“ 37

      Ich habe mit großem Interesse und Gewinn die Literatur zu einer neuen missionalen Theologie gelesen. Bei aller Wertschätzung ist mir jedoch aufgefallen, dass die Pneumatologie auch darin leider nur eine sehr untergeordnete Darstellung findet. Ähnlich ist es in der Literatur zur Emerging Church38. Die Emerging Church ist eine dezentrale, stark heterogene Reformbewegung von verschiedenen Christen, die in ihrem Umfeld und ihrer Tradition auf die Fragestellungen der angebrochenen Postmoderne reagieren wollen. Theologisch gibt es nur eine konturenhafte Homogenität in dieser Reformbewegung. Viele Vertreter versuchen im Prinzip ihrer kirchlichen Tradition theologisch treu zu bleiben, aber sie setzen neue Akzente in der Spiritualität und in der gemeindlichen Kultur. Gemeinde Jesu wird als ein Netzwerk verstanden. Der Dialog mit der jeweiligen Kultur wird gesucht. Zur Orthodoxie (Rechtgläubigkeit) kommt die Orthopraxie (das rechte Handeln).39 Doch welche Bedeutung kommt dem Heiligen Geist zu, wenn es um eine Weiterentwicklung der Gemeinde in der Postmoderne geht? Wie korrespondiert das neue Nachdenken über die sich weiterentwickelnde Gemeinde Jesu (Emerging Church) oder über die neue missionale Ekklesiologie mit dem Wirken des Geistes Gottes?

      Ich will versuchen, in diesem Buch einige Grundlagen für eine missionale Pneumatologie zu beschreiben. Ich tue es in der Hoffnung, dass wir den „Weitwinkel“ für das umfassende Wirken des Heiligen Geistes in dieser Welt, in der Gemeinde Jesu Christi und in jedem einzelnen Menschen neu in den Blick bekommen. Jedes Nachdenken über die Gemeinde Jesu Christi hängt theologisch untrennbar mit dem Nachdenken über das Wesen und Wirken des Heiligen Geistes zusammen. Ekklesiologie und Pneumatologie sind deshalb nicht getrennt voneinander zu betrachten. Es sind nicht die emergenten, missionalen neuen Gemeindeformen, die eine neue Belebung oder eine Reanimation der vom Todeskeim geprägten Kirchen und Gemeinschaften hervorbringen, sondern es ist der Geist des Lebens, es ist dieses Wasser der Lebendigkeit, der Schönheit, der Weisheit und der Wahrheit, das auch heute schon unter den Türschwellen der Kirchen hervorquillt.

       1.Der trinitarische Geist Gottes – sein Wesen und seine Personalität

      Heute denke ich daran mit einem gewissen Schmunzeln. „Und nun singen wir das schöne Lied ‚O komm, du Geist der Wahrheit, und kehre bei uns ein!‘“ Freudestrahlend lädt der Pastor die Gemeinde dazu ein, dieses bekannte Pfingstlied anzustimmen. In der anschließenden Predigt nimmt er Bezug auf die Ausgießung des Heiligen Geistes und betont, dass wir als Gläubige diesen Geist empfangen haben. Die ungläubige Welt jedoch verstehe nichts von alledem, betont der engagierte Prediger. Er fährt fort: „Der Geist Gottes ist den Nichtchristen ja noch nicht geschenkt. Sie leben in Verblendung der Sünde. Wohl gibt

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