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Geist Gottes - Quelle des Lebens. Heinrich Christian Rust
Читать онлайн.Название Geist Gottes - Quelle des Lebens
Год выпуска 0
isbn 9783862567607
Автор произведения Heinrich Christian Rust
Жанр Религия: прочее
Серия Edition IGW
Издательство Bookwire
Sodann lesen wir von der „Kraft“ des Heiligen Geistes, die an und in dem Menschen und in der Natur wirkt, die Menschen „erfüllt“, mit der Menschen „getauft“ werden und die empfangen wird. Wenn in den neutestamentlichen Zeugnissen von dieser Kraft des Geistes gesprochen wird, finden wir vorwiegend den Begriff Dynamis (Mt 6,13; Mk 5,30; Lk 4,14; 5,17; Apg 1,8; 1Kor 2,4; 2Tim 1,7). Es handelt sich um eine Kraft, die nicht aus einem selber hervorgeht, sondern die einem zukommt und zufließt. Die griechischen Begriffe energeia oder ischys kennzeichnen vorwiegend eine Energie oder Stärke, die jemand aus sich heraus entfaltet. Sie bestimmen den Empfänger dieser Stärke vorwiegend als den Träger und Ursprung dieser Kraft.104 Dynamis hingegen betont die Notwendigkeit der lebendigen Beziehung zu der Kraftquelle. Je intensiver und deutlicher eine solche Durchflutung mit den Strömen der Kraft des Geistes geschieht, umso mehr wird sie auch als innewohnende Stärke wahrgenommen (Joh 7,38f).
Als Paulus und Barnabas in Lystra in der Dynamis des Geistes Gottes Wundertaten wirkten, wollte die Volksmenge sie als Götter verehren, weil sie meinte, dass die Energie direkt von ihnen ausging. Doch die Apostel wiesen diese Annahme mit aller Deutlichkeit zurück: „Wir sind auch nur Menschen aus Fleisch und Blut wie ihr!“ (Apg 14,15). Die Dynamis des Geistes ist nicht durch menschliches Zutun zu erwerben, sondern sie wird im Sinn einer Vollmacht von Gott gegeben und gesetzt (vgl. Apg 8,14ff). Die fließende Kraft Gottes entwickelt ihre Wirksamkeit sogar gerade in der menschlichen Schwäche und wird so als eine Ermächtigung erfahren (2Kor 12,9f).
Wir halten fest: Der Geist wird im Zeugnis des NT sowohl als Kraft (Dynamis) als auch im Sinn einer handelnden personhaften Größe, als „Herr“, gesehen. Jesus verheißt seinen Jüngern die Kraft und kennzeichnet den Geist als Parakleten (Beistand, Tröster). Die Fülle des Geistes und seiner kraftvollen, realen Wirkungen können nicht erschöpfend wahrgenommen, erfahren und vermittelt werden. Ein reduziertes Verständnis des Geistes als Kraft bzw. Kraftfeld105 einerseits oder auch als Person andererseits verzerren die Einzigartigkeit des pneumatischen Geschehens.
c.Herr und Tröster
„Diese charismatischen Gottesdienste sind mir zu weiblich! Ich fühle mich dabei etwas unwohl, wenn ich zwanzigmal hintereinander singen soll, dass ich mich am besten im ‚liebenden Arm des Vaters‘ vorfinde, der mich tröstet und dem ich mein Liebeslied singe. Kann es sein, dass der Heilige Geist eher etwas für Frauen ist?“
Vor mir steht ein junger Student, der sich nach einer tiefen neuen Erfahrung mit dem Geist Gottes sehnt, aber durch die konfessionelle spirituelle Prägung eher die mütterliche Dimension der Geisterfahrung wahrnimmt. Nun ist es heutzutage angesichts der Genderdiskussion sicher nicht mehr so einfach zu benennen, was denn als typisch männlich oder weiblich betrachtet oder empfunden wird. „Die Kirche ist was für alte Frauen und für Weichlinge, die ihr Leben nicht selber in die Hand nehmen können, sondern dabei die Hilfe eines Gottes brauchen, den sie auch noch als Herrn verehren!“ So derbe drücken es wohl eher jene aus, die nur selten oder gar nicht in den christlichen Gottesdiensten zu finden sind.
Dennoch gibt es auch einen offensichtlichen inneren Rückzug aus einer Spiritualität, die zu sehr auf Emotionen oder Beziehungen achtet, die sich in Tränen ergießt und ein Liebeslied nach dem anderen anstimmt. Darüber kann auch der geradezu in religiösen Kreisen inflationär verwandte Appell zur notwendigen „Achtsamkeit“ nicht hinwegtäuschen. Die westliche christliche Spiritualität war und ist immer noch sehr männlich dominiert, weil Gott als Vater, sprich Mann, gesehen wird und auch Jesus von Nazareth ein Mann ist. Da bliebe die weibliche Rolle eher noch für den Heiligen Geist übrig. Dieser wurde aber durch die Entwicklung der Trinitätslehre, die Einführung des „filioque“, die Redeweise von der „Dritten Person“ des Heiligen Geistes geradezu als etwas Nebensächliches, etwas Drittrangiges aufgefasst. Es gab zwar die theologischen Akzente einzelner Mystiker, welche die Mütterlichkeit Gottes herausstellten, und auch die Ansätze der feministischen Theologie. Sie werden jedoch immer noch von dem Großteil westlicher Christen wie eine blumenhafte, geradezu befremdliche Ausschmückung der ansonsten maskulin auftretenden Gottheit zugeordnet.
Eine komplementäre Wahrnehmung der Eigenschaften und des Wesens Gottes wäre zumindest schon ein Schritt in die richtige Richtung, wenngleich auch hier das Empfinden einer reduktiven Sicht bleibt.106 Es geht ja nicht nur um eine duale Komplementarität, sondern um das bewusste Erfassen einer trinitarischen Komplexität. Wenn es denn wirklich so ist, dass der Geist Gottes die mütterliche und weibliche Komponente der Trinität am klarsten herausstellt, so hat das angesichts einer eher binitarischen Gottesauffassung konsequenterweise auch nur den Charakter einer Anmerkung, aber nicht einer substantiellen Aussage über Gott. Die Metapher von der Wieder- oder Neugeburt legt nahe, von einer „gebärenden Gottheit“107 zu sprechen. Ist der Heilige Geist der Tröster, dann tröstet er auch, wie eine Mutter tröstet. Sprachlich erinnert das an die Züge der hebräischen Redeweise von der Ruach Jahwe. Bei den syrischen Wüstenvätern (Symeon von Mesopotamien) finden wir das „Mutteramt des Heiligen Geistes“108. Graf von Zinzendorf ließ das Mutteramt des Heiligen Geistes sogar 1744 in den Rang einer Gemeindedoktrin für die Brüdergemeine erheben.109. Das Mütterliche der Geistwirkung wird in ihrer Zartheit, Sanftheit und Sympathie bestimmt.
Die Erfahrung der mütterlich, tröstenden Seite des Geistes muss allerdings auch durch die Metapher und die Erfahrung des „Herr-Seins“ des Geistes ergänzt werden. „Der Herr aber ist der Geist. Wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit“ (2Kor 3,17). Paulus weist auf den Auferstehungsgeist hin, der aus der Macht des Todes befreit. Er ist der Geist, der Befreiung, der eine neue Gerechtigkeit schenkt. Das „Herr-Sein“ wird dabei akzentuiert durch den Freiheits- und Gerechtigkeitsbegriff, jedoch nicht durch ein männliches Herrschaftsdenken.
Die Metaphern Vater, Mutter, Herr oder auch Richter sind jedoch angesichts der gegenwärtigen Genderdiskussion schwammiger geworden. Die Väter sind weiblicher und die Mütter sind männlicher, wenn man etwa das Trösten als etwas typisch Weibliches betrachten will oder das Befreien und Recht schaffen als etwas typisch Männliches. Die Zuordnung von Emotionalität zur Mütterlichkeit halte ich auch für eine geradezu naive Reduktion. Der Kampf der Freiheit, die ruhende Souveränität, die leidenschaftliche Liebe ist ebenso im Wesen des Geistes auszumachen, er ist nicht ein Geist der Traurigkeit, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit bzw. Selbstbeherrschung (2Tim 1,7).
Die Zurückhaltung gegenüber einer ganzheitlichen Spiritualität, die auch der Emotion oder Ekstase Raum gibt, ist wohl eher in einer Fokussierung auf das Wort (griech. logos) begründet, das durch den Verstand ergründet und durch den Willen umgesetzt werden soll. Der Geist hat sowohl mütterliche als auch väterliche Züge. Er ist der in der Liebe sich verlierende und die Sünde und den Tod überwindende Geist. Er ist tröstender und mitleidender Geist,110 aber auch der Geist der Überwindung und Vollendung und Verherrlichung. Die Zuordnung des Geistes zu lediglich einem dieser Wesenszüge ist problematisch. Bereits Thomas von Aquin hat in seiner Appropriationslehre (lat. appropriatio = Aneignung) die Zuordnung verschiedener Wesenszüge und Eigenschaften zu einer der drei Personen der Gottheit vorgenommen. Die Einmaligkeit des Wesens des Geistes Gottes kann jedoch niemals appropriatorisch erschlossen werden, weil jeder Wesenszug, der in einer der drei