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Die Schatzsucher aus der Gustergasse. Eva Rechlin
Читать онлайн.Название Die Schatzsucher aus der Gustergasse
Год выпуска 0
isbn 9788711754429
Автор произведения Eva Rechlin
Издательство Bookwire
Er griff nach Thees' Arm und zog den Jungen mit sich fort. Seine Augen waren groß und glänzend geworden, und obwohl heute erst Dienstag war, sah er schon aus wie ein Besen, dem die Haare zu Berge stehen.
Das nächste war ein Spirituosenladen, und Schöner Ak-ak blieb davor stehen, wie der einzige Überlebende einer verdursteten Karawane nach langem Wüstenmarsch vor einer Oase. Thees sagte gar nichts. Wenn ihm an diesem Schaufenster etwas gefiel, so war es die gedämpfte Festlichkeit, die es ausstrahlte. Dafür sprach Schöner Ak-ak wie ein Buch.
»Der da kommt aus Algier, Junge. Ein süßer, schwerer Wein aus Algier. Ich kann dir schwören, daß er wie ein Abenteurerroman wirkt. So was geht ins Blut und in die Füße. Wenn du den in dir hast, gehst du per Schiff durch die Gustergasse, und allein das ist schon ein Abenteuer. Und das Fläschchen, das gelbe Babyfläschchen da links, das wäre was für dich. Eierlikör. Süß und zäh wie Honig. Oder Kakao mit Nuß? Und siehst du die Flasche da, die aussieht wie ein Backofen? — Warm, sage ich dir! Heiß! Oh, Thees —«
»Ach komm«, bat Thees, »du kannst dir doch morgen das Richtige aussuchen — für mich ist das sowieso nichts.«
Schöner Ak-ak lachte und benahm sich, als hätte er den süßen Wein aus Algier im Magen und im Blut. — Sie gingen weiter und kamen an ein Schaufenster mit Textilwaren. Thees sah sofort die roten Wollhandschuhe in der Ecke.
»Die da!« sagte er.
Schöner Ak-ak nickte. Der algerische Rausch war verflogen. Schöner Ak-ak war wieder der Mann, der in Lumpen ging und sich aus seinen Lumpen herauswünschte.
»Man müßte wohl an einen guten, dicken Mantel denken«, sagte er und musterte die Auslagen. Es schien ihm nichts zu gefallen.
»Aber der da!« rief Thees.
»Ein Trenchcoat? So ein Regenmantel? — Nein. Der wird so schnell schmutzig.«
Thees warf seinem Freund einen erstaunten Blick zu.
»Schöner Ak-ak«, sagte er, »vielleicht kaufen wir uns lieber gar keine Sachen. Du hast vorhin gesagt, daß man in anderen Sachen ein ganz anderer Mensch wird. Dann passen wir womöglich gar nicht mehr in die Gustergasse, und vielleicht ist es dann auch mit unserer Freundschaft aus …«
Schöner Ak-ak wandte sich mißmutig von dem Schaufenster ab.
»Ach was«, meinte er, »es gibt auch gar keinen Mantel, wie ich ihn haben möchte. Und vielleicht reicht das Geld dann nicht mehr für die Gans und den Wein und die Würste …«
»Ja, ja.« Thees dachte, daß es vielleicht am günstigsten sei, überhaupt keine Brieftasche mit Geld zu finden. Dann würde sich wenigstens nichts ändern. »Ja, ja«, wiederholte er und legte in seine Stimme einen tröstenden Klang. »Es kann ja auch sein, daß wir die Brieftasche überhaupt nicht finden.«
Wider Erwarten wollte Schöner Ak-ak solche Reden nicht hören.
»Junge«, rief er, und seine Stimme war abenteuerlich wild und entschlossen, »Junge, ich kann dir schwören, daß wir die Brieftasche finden werden!«
Und zum drittenmal schulterte er seinen Lumpensack und wandte sich der Richtung zur Gustergasse zu.
Viertes Kapitel
Seine Großmutter saß am Herd, als Thees zu Hause ankam. Sie war eine kleine, liebe alte Frau. Thees hatte keine Eltern — nur diese Großmutter. Wenn er seinen Freund Schöner Ak-ak noch hinzurechnete, dann besaß er in diesem Gespann zwei Menschen, die ihm Vater und Mutter vollauf ersetzten. Die Großmutter kochte ihm das Essen, flickte ihm gelegentlich die Sachen und hielt jeden Abend sein Bett bereit. Jetzt hatte er gerade Ferien, aber wenn er zur Schule ging, sorgte sie manchmal sogar dafür, daß er ein Frühstücksbrot mitbekam. Thees konnte sich sein Leben ohne die Großmutter genau so wenig vorstellen wie ohne Schöner Ak-ak. Ganz allein kann man es in der Welt eben nicht gut aushalten. Man muß etwas haben, an das man sein Herz hängen kann — entweder eine große Idee oder einen Menschen. Am besten beides.
Als Thees an diesem Abend in die Küche trat — sie war auch zugleich Schlaf- und Wohnzimmer —, saß seine Großmutter am Herd und schlief. Aber sie wurde sofort wach, als Thees die Tür hinter sich geschlossen hatte. Es schien so, als habe sie im Schlaf nur darauf gewartet. Thees ging sofort zu ihr hin und gab ihr einen Kuß. Das waren sie beide so gewohnt, und für Thees war es jedesmal ein Gefühl, als lege er sein Gesicht an den trockenen, borkigen Stamm eines guten, großen Baumes.
»Guten Abend«, sagte er.
Sie gähnte und blinzelte wie eine graue Katze.
»Du mußt doch bis auf den Hosen boden durchgefroren sein«, meinte sie und stand flink von ihrem Holzschemel auf, um sich am Herd zu schaffen zu machen. Er warf seine Pudelmütze auf den Tisch und ließ sich auf das grüne, zerfranste Sofa fallen. Es war warm in der Küche, und er hatte Hunger.
»Was gibt's?« fragte er und schnupperte.
»Kartoffeln, mein Junge. Und Hering dazu.«
»Jeden Tag dasselbe«, sagte er und dachte an die Würste im Schaufenster und versuchte, sich den Duft einer gebratenen Gans vorzustellen. Aber das gelang ihm nicht. Schließlich hatte er noch niemals eine gebratene Gans gerochen. Seine Großmutter wandte sich nach ihm um.
»Schmeckt es dir nicht mehr?« fragte sie erstaunt.
Er schämte sich sofort. Es war schwer genug für sie, wenigstens Kartoffeln und Heringe zu beschaffen. Sie ging dafür — mit ihren achtundsiebzig Jahren — jeden Tag in die besseren Häuser am Anfang der Gustergasse zum Reinemachen.
»Doch«, sagte er und gab sich alle Mühe, einen gutgelaunten Eindruck zu machen. »Es schmeckt mir sehr gut. Und ich habe auch großen Appetit darauf!«
»Warum hast du denn gesagt: Jeden Tag dasselbe?«
»Och, ich dachte nur so … Stimmt ja auch, nicht?«
»Ja — es stimmt.«
Sie stellte den Topf mit Kartoffeln auf den Tisch.
»Kannst schon anfangen zu pellen«, sagte sie.
Er griff in den dampfenden Topf, nahm eine Kartoffel heraus und drehte und kullerte das heiße Ding durch die Hände und riß hier und da ein Stück von der Pelle ab.
»Mußt dir ein paar ans Fenster legen«, sagte sie, »zum Abkühlen.«
Er stand auf und trug die Kartoffeln nacheinander an das Fenster.
Nachher saßen sie sich am Tisch gegenüber und aßen Pellkartoffeln mit Hering. Thees spürte, daß er langsam davon warm wurde. Er kam sich vor wie ein Ofen, in den oben alles mögliche hineingesteckt wurde, damit es innen verbrannte. Dabei dachte er unentwegt an eine Brieftasche mit tausend Mark, von denen ihm fünfhundert gehören würden. Und weil er so ganz in Gedanken war, sprach er kaum ein Wort. Schließlich fragte ihn seine Großmutter, weshalb er denn so stumm dasitze und ob er etwa müde sei.
»Och«, erwiderte er, »ich denke grad' was.«
»Was denn?«
»Ich denke an viel Geld.«
»Ach Thees«, meinte sie, »setz dir bloß keine Flausen in den Kopf. So wie es jetzt um dich herum aussieht, wirst