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Aufstieg der Schattendrachen. Liz Flanagan
Читать онлайн.Название Aufstieg der Schattendrachen
Год выпуска 0
isbn 9783968267012
Автор произведения Liz Flanagan
Серия Legenden der Lüfte
Издательство Bookwire
»Verteilt euch, bildet einen Kreis, keiner näher als der andere!«, erinnerte sie Isak und wies auf ihre Plätze. »Und jetzt setzt euch hin!«
Jo ließ sich mit zitternden Beinen sinken. Er spürte, wie ihm der Schweiß über den Rücken lief.
Amina saß kerzengerade da, ausnahmsweise ruhig und feierlich.
Conor schien von innen heraus zu leuchten.
Jo sah in die Runde und musterte die Gesichter seiner Konkurrenten. Sie wirkten entweder ernst, eifrig oder nervös. Alle, bis auf Noah, der ihm gegenübersaß und ihn grimmig anfunkelte.
Jo wandte den Blick ab und konzentrierte sich auf die Eier.
In der nun folgenden Stille machte es klar und deutlich Knacks.
4. Kapitel
Der erste Drache schlüpfte aus dem blaugrünen Ei. Er schob seinen schillernden dunkelgrünen Kopf durch den Riss und purzelte dann ganz heraus, als die Schale entzweibrach. Er sah aus wie eine kleine Eidechse mit einem Höcker auf dem Rücken, dort, wo sich seine gefalteten Flügel befanden. Jo saß auf den Knien, beugte sich vor und lauschte angestrengt. Komm, Drache, nimm mich! Ich bin hier!, rief er dem Schlüpfling trotz seines Traums in Gedanken zu. Es war ihm plötzlich egal, welche Farbe sein Drache hatte. Bei früheren Zeremonien hatte er gesehen, wie die Kinder singend oder pfeifend nach einem Jungen riefen. Er horchte in sich hinein, ob so etwas auch in ihm aufstieg. Doch er hörte nur ein dumpfes Rauschen in den Ohren.
Dann rief Tiago, der älteste Junge, von der anderen Seite des Kreises: »Lina! Li-na!« Sein rundes, offenes Gesicht war ganz und gar auf das Drachenjunge konzentriert. Auf Kinn und Wangen zeigten sich hier und da erste Ansätze eines Barts, und in seinen braunen Augen schimmerten Tränen.
Bluffte Tiago?, fragte Jo sich und hielt gespannt die Luft an. Aber nein. Der kleine grüne Drache wurde bei Tiagos Ruf ganz munter und versuchte, im gleichen Rhythmus zu antworten.
Isak traf seine Entscheidung: »Du kannst zu Lina gehen, Tiago. Füttere sie und halte sie warm.«
Jo hatte das Gefühl, als bekäme er nicht genügend Luft.
Noch vier Eier übrig.
Das cremefarbene war das nächste. Oben entstand ein winziges Loch. Jo konnte den Eizahn des Schlüpflings erkennen – den winzigen Knubbel auf seiner Nase –, mit dem er von innen gegen die Schale pickte.
Diesmal war es die Kleinste von ihnen, Flavia, ein winziges Mädchen aus Sartola, das nur wenige Plätze links von Jo saß und kaum alt genug wirkte, um hier zu sein. Sie hatte dünne Storchenbeine und riesige Augen, ihre schwarzen Haare waren im Nacken kurz geschnitten. Mit einer überraschend tiefen, trillernden Melodie sang sie dem kleinen Drachen laut vor. Noch bevor er ganz geschlüpft war, schob der Kleine den Kopf aus der Schale und zirpte zurück.
Es vergingen schmerzhaft lange Minuten des Wartens, bis er sich langsam herausgekämpft hatte und das kleine Mädchen ihn hochnehmen konnte. Sie musste dafür an Jo, Conor und Amina vorbeigehen, und er sah in den Gesichtern seiner Freunde, dass sie ebenso niedergeschmettert waren wie er. Zumindest durchlitten sie die Sache gemeinsam. Für einen kurzen Moment gestattete er sich, an später zu denken, sich vorzustellen, wie sie drei darüber sprachen und sich gegenseitig trösteten.
Zu Noah schaute Jo nicht.
Die beiden Auserwählten hielten ihre Schlüpflinge fest, sprachen zärtlich auf sie ein, fütterten sie mit Hühnerfleisch von einem Tablett und ließen sie aus kleinen Silberschalen Quellwasser trinken. Isak behielt alles im Blick, seine blauen Augen hinter den Gläsern waren undurchdringlich. Fast halb geschafft. Aus der Menge stieg leises Gemurmel auf: Die Erleichterung war immer noch mit Anspannung durchmischt. Dies war eine heilige Zeremonie, und niemand würde sich rühren, ehe Isak die abschließenden Worte gesprochen hatte.
Wieder sah Jo zu den Anwärtern, zu allen außer Noah. Sie kauerten auf ihrem Platz im Kreis: Einige wirkten inzwischen verzweifelt; andere entschlossen. Er konnte sich jetzt nicht mit ihnen befassen und richtete den Blick auf die verbliebenen drei Eier. Als er sich den Schweiß von der Stirn wischte, merkte er, dass seine Hände zitterten. Er schob sie unter seinen Hintern.
Dann hörte er etwas: Ein weiteres Drachenjunges war im Begriff zu schlüpfen. Mit einem kräftigen Hieb im Innern entstand ein großer, gezackter Riss in der goldgelben Schale, und das Ei zerbrach knackend in drei Teile. Ein kleiner feuchter Körper lag zappelnd zwischen den Schalen.
»Oh!«, keuchte Jo.
Langsam, ganz langsam stellte sich der kleine dunkelgelbe Drache auf die Beine und hob lauschend den Kopf. Er wandte sich in Jos Richtung.
Seine funkelnden grünen Augen richteten sich genau auf ihn.
Was sollte er tun? Was sollte er sagen? Was brauchte dieses kleine Wesen? Jo wünschte inständig, erwählt zu werden. Er hatte so viel zu geben.
Doch bevor er irgendetwas unternahm, pfiff Noah eine aus drei Tönen bestehende Melodie, und der Drache sah an Jo vorbei zu ihm hinüber. Noahs Gesicht war vor Konzentration wie verwandelt. Er beugte sich vor, das honigfarbene Haar verdeckte eines seiner Augen, seine Wangen zogen sich beim Pfeifen zusammen.
Nein, das konnte nicht sein. Nicht er. Alle, aber nicht er.
Dieser Drache würde doch sicher nicht auf Noah hören?
Noah tat nur so. Bestimmt!
Jo versuchte, sich an eine Melodie zu erinnern, an irgendetwas, irgendeine Weise aus der Schule. Doch seine Erinnerungen waren wie ausgelöscht. Oh nein, nicht jetzt, wo er sie am dringendsten brauchte.
»Bitte!«, flehte er flüsternd.
Die Welt hielt den Atem an. Die ganze Stadt sah zu und wartete.
Der gelbe Drache holte Luft.
Jo sah seine schuppenbedeckten Rippen, die vor Feuchtigkeit glänzten.
Der Kleine erwiderte zirpend Noahs Töne.
Der streckte lachend die Hände aus, als der Drache auf ihn zukrabbelte. Dann nahm er sich einen Moment Zeit, um Jo einen kurzen, triumphierenden Blick zuzuwerfen.
Jo wusste, dass er ein wenig Mitgefühl haben sollte. Noah hatte schließlich seinen Vater verloren: Verdiente er da nicht einen eigenen Drachen? Er atmete tief durch und bemühte sich, seinen Neid beiseitezuschieben und sich zumindest ein bisschen für seinen Klassenkameraden zu freuen.
Es waren immer noch zwei Eier übrig.
Jo starrte sie an. Er richtete all seine Gedanken auf sie: seine ganze Konzentration, seine ganze Liebe und Kraft.
Die beiden hellvioletten Eier ruhten auf ihren Kissen.
Kommt schon, Eier. Könnt ihr mich hören? Jo wünschte sich nichts sehnlicher. Eines dieser beiden Eier war doch sicher für ihn bestimmt? Das hatte ihm sein Traum gesagt.
In diesem Moment bewegten sich die violetten Eier.
Die verbliebenen beiden Drachen würden jeden Moment schlüpfen.
5. Kapitel
Es entstand eine Pause. Sie dauerte ewig. Jos Herz klopfte schmerzhaft in seiner Brust.
Er starrte die Eier an. Sie schaukelten ein wenig. Er war nicht der Einzige, dem das auffiel. Ein Raunen ging durch die Menge. Das Schaukeln wurde stärker. Beide Eier bewegten sich im Takt, vor und zurück, vor und zurück.
Jo blickte kurz zu Isak hinüber: Selbst er wirkte überrascht. Das war noch