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gehört haben, ebenso, die Mitstreiter der Weißen Rose zu schützen und zu entlasten.

      Und doch wird sich Sophie bei diesem Leugnen unwohl gefühlt haben, sonst hätte sie sich nicht schon bei der ersten Vernehmung dazu hinreißen lassen, von ihrer »Abneigung gegen die Bewegung« zu sprechen, weil durch sie »die geistige Freiheit des Menschen in einer Weise eingeschränkt wird, die meinem inneren Wesen widerspricht«. Sich der Gefährlichkeit ihrer Äußerung nur halb bewusst, fügt sie hinzu: »Zusammenfassend möchte ich die Erklärung abgeben, dass ich für meine Person mit dem Nationalsozialismus nichts zu tun haben will.«

      Nicht der Mut kommt Sophie Scholl während der Befragung durch Robert Mohr abhanden, sondern die Fähigkeit zur Lüge und zur Verstellung. Seit vielen Jahren, so bezeugen es Briefe und Tagebuchnotizen, hat sie sich zur Wahrhaftigkeit erzogen, die mit einer ständigen Selbstbefragung einherging. Ebenso hat sie den inneren Dialog mit Gott gesucht und, obwohl manchmal an ihrem Glauben zweifelnd, doch an ihm festgehalten. Die Aufzeichnung vom 12. Februar 1942 macht die Art ihrer Selbsterziehung deutlich und zeigt, dass solch ein Mensch kaum zur Lüge fähig ist, auch wenn sie lebensrettend sein sollte:

      »O Herr, ich habe es sehr nötig, zu beten, zu bitten. Ja, das sollte man immer bedenken, wenn man es mit anderen Menschen zu tun hat, dass Gott ihretwegen Mensch geworden ist. Und man fühlt sich selbst zu gut, zu manchen von ihnen herabzusteigen! O ein Hochmut! Woher habe ich ihn nur?«

      Während nach Goebbels’ Auftritt über die Lautsprecheranlage des Sportpalastes ein zwanzigminütiger Applaus von einer Schallplatte abgespielt wird, der den Millionen Radiohörern zu Hause und »dem Ausland« eine großartige Stimmung und den absoluten Kriegswillen des ganzen deutschen Volkes suggerieren soll, bereitet sich Sophie, nach kurzer Unterbrechung, auf das zweite Verhör an diesem Donnerstag vor. Um 19 Uhr sitzt sie wieder dem erfahrenen Kriminalbeamten gegenüber, der sie mit dem ältesten Trick der Kriminalistik unter Druck setzt: ihr Bruder Hans Scholl habe bereits alles gestanden. Jetzt ist Sophie bereit, vielleicht fast befreit, und will nun »auch nicht länger an mich halten, all das, was ich von dieser Sache weiß, zum Protokoll zu geben«.

      Sie beginnt die Aussage wahrheitsgemäß: »Es war unsere Überzeugung, dass der Krieg für Deutschland verloren ist, und dass jedes Menschenleben, das für diesen verlorenen Krieg geopfert wird, umsonst ist. Besonders die Opfer, die Stalingrad forderte, bewogen uns, etwas gegen dieses, unserer Ansicht nach, sinnlose Blutvergießen zu unternehmen.«

      Die Zerschlagung der 6. Armee in Stalingrad am 2. Februar 1943 liegt bei diesem Verhör erst sechzehn Tage zurück. Die erste große Niederlage der Wehrmacht beschäftigt das ganze Land. Die hohen Verlustzahlen sind alarmierend: die Schlacht hat fünfhunderttausend Russen und hundertfünfzigtausend Deutsche das Leben gekostet und noch einmal so viele Deutsche in die Kriegsgefangenschaft gezwungen.

      Goebbels verfolgt im Berliner Sportpalast auch persönliche Ziele: Er will seinen Machtbereich erweitern und zum zweiten Mann im NS-Staat aufsteigen. Seine Rede, die die Voraussetzungen für eine Weiterführung des Krieges bis zum bitteren Ende schaffen soll, hat zudem den Zweck, auf Hitler Druck auszuüben. Indem er die Besucher des Sportpalastes auf den ›Totalen Krieg‹ einzuschwören vorgibt, glaubt er, Hitler zwingen zu können, ihn an der Kriegswirtschaftsplanung des Deutschen Reichs zu beteiligen. Deshalb darf Goebbels nichts dem Zufall überlassen, seine Rede muss bis ins Letzte ausgefeilt sein, das Publikum darf nur aus treuesten Parteianhängern bestehen, Sprechchöre müssen einstudierte Parolen von sich geben, eine Hundertschaft muss instruiert sein, im Verlauf der Rede an bestimmten Stellen zu applaudieren, und wie auf ein unsichtbares Kommando hin müssen sich Fahnen und Standarten schwingende Männer erheben. In Goebbels’ großer Inszenierung ist die Kommunikation zwischen ihm als Redner und dem Publikum als Chor aufeinander abgestimmt wie auf einer Theaterbühne. Bei diesem Spektakel gibt es keine spontanen, individuellen und freien Äußerungen.

      Die fanatischen Nazis, die in den Rängen sitzen, müssen weder propagandistisch eingeschworen noch über die Ziele des Führers aufgeklärt werden. Es sind gerade die, die in der Diktatur ihre Individualität, ja ihre Identität verloren haben, um als Massenmenschen zu funktionieren. Sie kommen zu der Veranstaltung mit eben den Überzeugungen, die Goebbels jetzt von sich gibt. Sie sind schon längst ›Eingeschworene‹. Das schmälert die Vorstellung von einer großen propagandistischen Leistung des Ministers, der durch überragende rhetorische Fähigkeiten ein kriegsmüdes Volk zu einem kriegsbegeisterten gemacht hätte – Goebbels hat nur einen ganz kleinen Teil der Bevölkerung geschickt in eine Inszenierung eingebunden. Und dieser Teil ist auf das Spiel eingegangen, im Glauben daran, dass der totale Krieg der kürzeste werde.

      Den Geschwistern Scholl und ihren Mitstreitern geht es nicht um persönliche Vorteile, sondern um die Zukunft Deutschlands. Beide sind sich bewusst, dass ihr Handeln die schrecklichsten Folgen für sie selbst und ihre Familie haben kann. Aber das Gewissen lässt ihnen keine andere Wahl. Die kleine studentische Gruppe in München muss den Versuch wagen, die Bevölkerung durch Aufklärung zur Umkehr zu bewegen. Die sechs Flugblätter, die sie insgesamt verfasst und vom Sommer 1942 bis zum Februar 1943 an bestimmten Orten verteilt und mit der Post verschickt hat, sollen die Menschen dazu bringen, gegen das verbrecherische Naziregime passiven Widerstand zu leisten. Zwar sind die Mitglieder der Weißen Rose über die Verluste an der Front nicht so genau informiert wie der Minister, aber das, was die Medizinstudenten Hans Scholl, Christoph Probst, Alexander Schmorell und Willi Graf bei ihren Einsätzen als Sanitätsdienst-Unteroffiziere an der Ostfront gesehen haben, hat sie in tiefer Weise getroffen und desillusioniert.

      Auch Sophie Scholl, wache Beobachterin deutschen Alltags, nimmt die sich ständig ausweitende Deformierung der Gesellschaft im Überwachungsstaat sehr genau wahr. An ihren Freund Fritz Hartnagel schreibt sie am 7. November 1942: »Wann endlich wird die Zeit kommen, wo man nicht seine Kraft und all seine Aufmerksamkeit immer nur angespannt halten muss für Dinge, die es nicht wert sind, dass man den kleinen Finger ihretwegen krümmt. Jedes Wort wird, bevor es ausgesprochen wird, von allen Seiten betrachtet, ob kein Schimmer der Zweideutigkeit an ihm haftet. Das Vertrauen zu den anderen Menschen muss dem Misstrauen und der Vorsicht weichen. O es ist ermüdend und manchmal entmutigend.«

      Aber Sophie Scholl lässt sich nicht so schnell niederdrücken. Sie schreibt: »Doch nein, ich will mir meinen Mut durch nichts nehmen lassen, diese Nichtigkeiten werden doch nicht Herr über mich werden können, wo ich ganz andere unantastbare Freuden besitze.«

      Schon zu Anfang des Krieges, bald nach dem Überfall auf Polen, verrät sie Hartnagel: »Der Hoffnung, dass der Krieg bald beendet sein könnte, geben wir [Familie Scholl] uns nicht hin. Obwohl man hier der kindlichen Meinung ist, Deutschland würde England durch Blockade zum Ende zwingen.« Hellsichtig schließt sie an: »Wir werden ja alles noch sehen«.

      Jetzt, nach der Niederlage von Stalingrad, nimmt die Widerstandsgruppe an, seien die Deutschen bereit, der Wahrheit über die Tyrannei des nationalsozialistischen Regimes Glauben zu schenken. Und in dieser Hoffnung verfasst die Gruppe die Flugblätter ›Fünf‹ und ›Sechs‹ und vervielfältigt sie in höheren Auflagen. Der »Kampf um Gedankenfreiheit, freie Meinungsäußerung, Freiheit in der Lebensgestaltung, Toleranz und Wahrung der Menschenrechte« bildet die Grundlage des Widerstands gegen das NS-Regime, so Eugen Grimmiger, der die Gruppe finanziell unterstützte.

      Hauptanliegen des ersten Flugblatts ist, den Leser daran zu erinnern, dass der Staat dem Menschen dienen muss – und nicht umgekehrt. Des zweiten: den Leser aufzufordern, sich von den Nazis zu distanzieren und ihr verbrecherisches Handeln nicht mitzutragen. Des dritten: passiven Widerstand zu leisten, um das Regime zu Fall zu bringen. Des vierten: als Voraussetzung einer inneren Befreiung ein Bewusstsein für Schuld zu entwickeln. Des fünften: für eine Zusammenarbeit mit den anderen europäischen Ländern nach dem Krieg zu werben. Hier wird zum ersten Mal von Angehörigen der bevorzugten Generation der Nationalsozialisten der europäische Gedanke angesprochen. Sie fordern die Loslösung vom Nationalgefühl: »Nur in großzügiger Zusammenarbeit der europäischen Völker kann der Boden geschaffen werden, auf welchem ein neuer Aufbau möglich sein wird«. Im letzten Flugblatt werden besonders die deutschen Studenten angesprochen und in die Pflicht genommen, dass sie sich für die höchsten Werte der Nation, nämlich Freiheit und Ehre, einsetzen.

      Im Flugblatt II

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