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bemerkte er auch, daß er noch immer die Schriftrolle in der Hand hielt; er nahm sie zitternd und leise Gebete sprechend mit sich auf seine Kammer.

      Der Junker erwachte nicht, als sich die Gestalt seines Wirtes leise und vorsichtig zu der offenen Türe hereinschob. Marcantonio trug ein blankes, langes Messer in der Hand und ließ einen raschen Blick durch das ganze Gemach gleiten. Seine Züge zeigten in dem blassen Licht des Lämpchens den Ausdruck erbarmungsloser Entschlossenheit.

      Er näherte sich leise dem Kopfende des Lagers, das dem Eingang abgekehrt war, und schob vorsichtig die linke Hand unter das Kissen, indem er zugleich mit der Rechten das Messer über dem Schläfer gezückt hielt, um bei der leisesten Bewegung zuzustoßen. Doch Junker Veit lag wie ein Toter, nur die Flut und Ebbe seines halbentblößten Busens verkündete Leben in der ausgestreckten Gestalt.

      »Das Pulver tut seine Schuldigkeit«, sagte sich Marcantonio, »aber wo hat er den Kodex?«

      Er wagte es sogar, ihm die Hand unter das Wams zu schieben, nachdem er leise das Schwert entfernt hatte, aber er zog sie leer hervor.

      Der Zorn über die vergebliche Mühe verscheuchte das aufkeimende Mitleid mit dem ahnungslos Schlummernden.

      »Junger Tor«, sagte er grimmig,» Gott weiß, ich verlangte nicht nach deinem Leben, auch nicht um Lucrezias willen, hättest du nur das Buch gutwillig hergegeben! Aber du hast es selbst gewollt.«

      Er zog einen Strohwisch aus dem Busen, entzündete ihn an der Lampe, nachdem er leise die Matte am Fenster wieder herabgelassen hatte, und schob ihn unter die Lagerstatt.

      »So bin ich rein von Blut«, murmelte er zufrieden. »Fahre nun in Flammen gen Himmel, samt deinem Cicero!«

      Leises Knistern in dem von der Sommerhitze spröden Strohteppich sagte ihm, daß das Feuer schon sein Werk begann. Er zog sich rasch zurück, verschloß die Türe von außen und warf noch im Vorübereilen einen glimmenden Strohhalm auf gut Glück in den Heuschuppen.

      »Zur Sühne für den armen Donato«, murmelte er, »den das Barbarenvolk wie einen Hund erschlagen hat.«

      Als er am Fuß des Hügels stand, sah er von oben schon den Qualm zum Himmel steigen, und der Brandgeruch drang ihm in die Nase.

      »Der Olivenhain wird verloren sein«, sagte er sich und empfand es fast als eine Beruhigung seines Gewissens, daß er sein eigenes Gut zugleich dem Verderben preisgab.

      »Es ist am besten so«, dachte er noch, indem er nach Hause schlich. »Morgen wird es heißen, daß er in der Trunkenheit die Lampe umgestoßen habe.«

      Zu derselben Stunde stöhnte Lucrezia unter dem Bann eines schweren Alpdrückens auf ihrem Lager. Sie war stets ein gehorsames Kind gewesen und hatte ihre Ehre dareingesetzt, des Vaters Befehl willig nachzukommen, als er sie mit dem deutschen Junker verlobte. Daß ihr das leicht geworden, hatte sie sich zum besonderen Verdienst angerechnet und nicht geahnt, wie schwer ein väterliches Gebot fallen kann, wenn es dem eigenen Herzen widerspricht. Als sie nun vor wenigen Tagen die Wendung ihrer Zukunft erfuhr, da hatte sie wohl schüchterne Berufung auf ein früheres Versprechen gewagt, war aber von dem Vater nachdrücklichst bedeutet worden, daß sie dem Geschick und ihm für diesen Tausch zu ganz besonderem Danke verpflichtet sei.

      Bernardo hatte seine Kinder stets in strenger Zucht gehalten, und Lucrezia fürchtete seinen lächelnden Ernst und die glatte Unbeugsamkeit mehr, als wenn er ein Wüterich gewesen wäre. Also hatte sie auch diesmal ihr Köpfchen geneigt, aber nicht in willigem Gehorsam, sondern erschrocken und wehrlos wie ein Lamm, das zum Schlachthaus geführt wird. Sie fühlte wohl in ihrem Grausen vor dem gelehrten Bräutigam, der mit dem pergamentenen Schädel selber einem alten Kodex glich, etwas wie ein heiliges Naturrecht durch, aber wie sich auflehnen, sie allein, ohne Hilfe, gegen den Druck einer eisernen Welt? Ja, wenn der blonde Fremde zurückkehrte und sie wieder in seine starken Arme faßte, dann würde sie keine Furcht mehr kennen. Sie mußte sich ihn denken, wie er etwas breitspurig herankam mit dem schweren Reitertritt und dem ehrlich leuchtenden Blick seiner blauen Augen. Ach, damals hatte sie nicht gewußt, wie glücklich er sie machte. Jetzt würde sie sich selig preisen, wenn sie nur mit ihm ziehen dürfte in jene finsteren, sonnenlosen Wälder, wo die Gebeine ihres Oheims moderten, und dort in einer Höhle mit ihm leben. Doch Tag für Tag sah sie das Geschick näher heranrücken und klammerte sich der fliehenden Zeit ans Gewand, die sie erbarmungslos dem Entsetzlichen entgegentrug.

      Überwältigt von Kummer und Scirocco hatte sie sich in dem schwülen Zimmer zur Ruhe gelegt, das auch durch die weitgeöffnete Balkontüre keine Luft empfing. Aus den Stallungen stiegen schwere Dünste auf, mischten sich mit dem Geruch welkender Blumen im Garten und vermehrten ihre Betäubung. Das häusliche Getriebe war verstummt, der dunkle Himmel, der durch die Balkontüre zu ihr niedersah, hatte keinen Stern, und es deuchte ihr, als sehe sie einen finsteren Magier mit großen dunklen Fittichen, die sich im Fluge nicht bewegten, geräuschlos über dem Himmel hinziehen; es war der menschgewordene Scirocco, der wie durch bösen Blick die Natur lähmte und sie willenlos erschlafft in seine feuchten widerlichen Arme zwang. Nun streckte er diese Arme auch gegen sie aus, und jetzt erkannte sie, daß er Marcantonios Züge trug. Sie stöhnte unter seinem Druck, aber ihre kraftlosen Glieder konnten ihn nicht zurückstoßen. Da klang Veits Stimme in ihre umschläferten Ohren, so hatte sie ihn schon oft zu vernehmen geglaubt, aber heute vernahm sie ihn wirklich, nur vermochten die ersehnten Laute sie nicht aus dem Zauberschlaf des Glutwindes zu erwecken, sondern mischten sich in das Spiel, das ihre Träume trieben. Die Stimme, die einen Augenblick näher gekommen war, verlor sich wieder in der Ferne, der Retter fand nicht den Weg zu ihr, er ließ sich zur Seite locken, sie sah ihn ferner und ferner hinschwinden, aber sie konnte weder rufen noch die Arme nach ihm ausbreiten.

      Mit Anstrengung öffnete sie die schweren Lider und sah im Waldhäuschen drüben ein rötliches Licht. Aber gleich begann die Phantasie ihr Spiel von neuem und verwob auch dieses Licht in ihren Traum. Da fuhr mit einem Male eine zischende Feuerschlange nieder, die sie auch mit geschlossenen Lidern wahrnahm, und fast gleichzeitig ein übergewaltiger Donnerschlag, der das ganze Haus in seinen Grundmauern rüttelte. Das Mädchen sprang mit beiden Füßen aus dem Bette, der Donner war das große Erlösungswort gewesen, das den Bann des Scirocco sprengte. Denn jetzt kam auch Leben in die Natur, die Lüfte rangen sich los, die Welt atmete befreit auf, während neue Blitze folgten. Im Hause schlugen Türen und Fenster, mehrere Stimmen wurden zugleich laut, die Pferde wieherten in den Ställen. Die Jungfrau griff nach einem Gewand, das sie hastig umwarf, und trat ohne Furcht auf den Balkon, um dem prächtigen Gewitter zuzusehen, das in wilden Blitzen niederging, sich aber schon ein wenig entfernt hatte. Seltsam, drüben im Waldhäuschen brannte noch immer das rote Licht, aber es schien größer geworden, ja, es wuchs von Sekunde zu Sekunde. Jetzt tauchten andere Lichter daneben auf, feurige Zungen leckten empor und ließen auf Augenblicke die Umrisse des Häuschens aus der Dunkelheit hervortreten. Das Mädchen starrte lautlos auf das überraschende Schauspiel, denn nun erhellte sich das Häuschen auch von innen, und in dem roten Glutmeer, das langsam aufstieg, sah sie eine dunkle Gestalt. Wie ein Blitz trat es vor ihren Geist, daß sie soeben geträumt hatte, der Geliebte werde von dem Zauberer im Waldhäuschen gefangengehalten.

      »Guido!« schrie sie mit durchdringender Stimme, die weit in die schlafende Landschaft hinaushallte, und streckte die Arme aus, als könnte sie ihn durch den leeren Raum herziehen. Die Gestalt war plötzlich näher gerückt, sie stand wie in freier Luft, aber ganz von roten Flammen umzüngelt. Aufs neue schrie sie: »Guido! Guido!« aber jetzt wurde ein polterndes Krachen vernehmbar, das ganze Flammengerüst versank auf einmal in schwarze Nacht, und dichter Qualm verhüllte die Stätte.

      Länger ertrug es Lucrezia nicht; ohne ihrer bloßen Füße zu achten, flog sie die Treppe hinab und durch das geöffnete Haustor ins Freie. Auf sandigem Weg eilte sie den Abhang hinunter nach dem Wildbach, dessen tiefeingerissenes Ufer von einem dichten Rohrwald bedeckt war. Sie brach durch das Gezweige, obgleich ihr der Wind den Rauch entgegentrug. Aber oben leckten noch wilde Gluten, die sich jetzt mehr nach abwärts wandten, und bei dem Feuerschein erkannte Lucrezia eine dunkle Gestalt am anderen Rande des Flußbetts. Sie arbeitete sich hinüber, mehrmals strauchelnd, weil das trockene Steingeröll ihre zarten Füße verletzte und ihnen keinen festen Halt bot. Sie erkannte jetzt den Junker, der am Boden

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