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mit dem nickenden Kranz auf ihrem pechschwarzen Scheitel heute wirklich einer ländlichen Gottheit glich, beglückwünschte die beiden geräuschvoll.

      Karl Neubrunn erhob sein Glas und rief: „Ich trinke auf den Übertritt zweier edler Mitglieder der Schneidergilde in die tapfere Schusterzunft. Es lebe der künftige Schustermeister und seine Frau Schustermeisterin!“

      Die Gläser klangen, die Männer schüttelten sich die Hände, die Braut fiel der Wirtin um den Hals, die ihr in den Schwierigkeiten ihres neuen Lebens als Freundin und Beraterin zur Seite zu stehen versprach.

      Bei Neubrunn aber wurde jetzt der Rausch immer fühlbarer, denn er begann in alle Einzelheiten des künftigen Hausstands einzugehen: „Ich habe an alles gedacht. Zwei Zimmer habt ihr schon, das Atelier und das Schlafzimmer; was die Küche betrifft, so könnt ihr die meinige benützen, ich gebrauche sie ja nie, und Pomona räumt euch ihre Garderobe zum Kinderzimmer ein. Ohnehin, wenn die Kleinen zu wild werden, dann schickt ihr sie zu mir, ich werde euch bei der Erziehung behilflich sein. Der Erbonkel ist auch schon im Haus. Ich selbst habe keine Kinder, nein, lacht nicht, es ist wirklich so — ich werde die eurigen dafür ansehen — sie sind es ja auch gewissermaßen, da ich ihr geistiger Urheber bin — und wenn ich einmal aus der Welt gehe — viel hab ich ja nie besessen —“

      Hier überkam ihn die Rührung, daß er einen Augenblick inne hielt, denn er schämte sich zu weinen. Die Wirtin, die einiges verstanden haben mußte, trocknete Tränen ab und seufzte: „Oh che cuore, che cuore!“

      Als die Flaschen geleert waren, hatte Neubrunns Zustand einen so bedenklichen Grad erreicht, daß er selbst die Gefahr empfand, die in einem längeren Verweilen lag, und daß er mit einer geschickten Schwenkung den Rückzug einleitete.

      „Giorgino, leuchte dem Herrn Baron“, rief Pomona ihrem Jungen zu und fügte leise bei: „Und gib auf der Treppe Achtung, daß er nicht fällt.“

      Der Junge griff nach dem Leuchter, aber Neubrunn wehrte ihm ab: „Schöner Knabe“, sagte er, schon etwas zungenschwer, „wenn ich ein Grieche wäre, so wollte ich dich besingen wie Anakreon den Bathyllos —“

      Hier besann er sich und machte Miene, den griechischen Vers zu zitieren; da ihn jedoch sein Gedächtnis im Stiche ließ, fuhr er fort: „So aber gehören meine Huldigungen deiner Mutter. Pomona, reichen Sie mir Ihren Arm, ich brauche kein anderes Licht als Ihre Schönheit, um mir zu Bette zu leuchten.“

      Andersen wollte ihn bis an seine Tür begleiten, aber Neubrunn ließ es nicht zu, sondern bestand darauf, am Arm Pomonas die Treppe hinabzusteigen, was sie auch lachend gewährte. „Che cuore!“ sagte sie wiederholt, und beim Abschied drückten sich alle mit überwallendem Gefühl die Hände und dankten sich gegenseitig für den herrlichen Abend.

      Die lauten Tritte und Stimmen verhallten, und die Liebenden sahen sich allein in der blumigen Stille. Über die Terrasse wehten die langen, kühlen Atemzüge der Nacht wie eine Botschaft der großen freien Natur, daß das Reich menschlicher Konvention zu Ende sei.

      Lydia lachte nicht mehr, ihr Gesicht nahm einen bangen, fast erschrockenen Ausdruck an. Paul strich ihr das herabgefallene Haar aus der Stirn, und da er noch einen Rest Champagner in seinem Glase fand, nötigte er sie, ihn auszutrinken. Sie lehnten ihre Stirnen gegeneinander, und in dem tiefen, feierlichen Schweigen, das auf all den Lärm folgte, war nichts mehr zu hören als die bewegten Atemzüge der beiden.

      Ein verwegener Gedanke ging durch Pauls Hirn.

      Sie behalten, an sich reißen, gleich jetzt, mit ihr davongehen, ohne Papiere und Standesbeamten, und der Familie Esselin schreiben, daß er die Lydia nicht mehr hergebe. Mochten sie immerhin Gesichter machen, was brauchte er sich darum zu kümmern. Hatte er nicht auch wie die andern ein Recht an Glück!

      Da fiel ein Glockenschlag, und sie fuhren beide auseinander.

      „Es wird spät“, sagte Lydia zaghaft, und da er nicht widersprach, setzte sie hinzu: „Ich muß gehen.“

      Paul wußte nicht, was der eine Schlag bedeutete, denn er trug keine Uhr, aber der Ton der Glocke hatte ihn zurückgerufen in die nüchterne Wirklichkeit. Alle Rücksichten und Bedenklichkeiten, die bisher sein Leben bestimmt hatten, traten wieder in ihre Rechte. Die Lampe, die, vor Zugluft geschützt, dort in der Ecke stand, war tief heruntergebrannt, und eine Unzahl winziger brauner Mücklein bildeten mit ihren Leibern eine fingerdicke Schicht auf dem Glase. Paul sah nach dem Himmel, von dem ein breites Stück sich hoch über den Nachbardächern ausspannte: Arkturus flimmerte schon rötlich und begann zu sinken. Da seufzte er: „Ja, es ist spät, ich muß dich nach Hause bringen.“

      Auf dem Heimweg eilte Lydia, als ob eine Gefahr in ihrem Rücken bleibe, und jeder Glockenschlag, den sie hörte, beflügelte noch ihren Schritt. Es war eine der wunderbaren südlichen Sommernächte, wo die tausend Stimmen der Natur in einen einzigen, langgezogenen Ton zusammenfließen, als ob die Nacht mit leiser Musik ihren Gang begleite. Paul Andersen wollte zuweilen stehenbleiben und unter der unermeßlichen Sternenfülle einen tieferen Atemzug nehmen, aber Lydia zog ihn hastig weiter. Eine halbe Stunde später standen sie vor dem Parkgitter der Esselinschen Villa. Lydia hatte den Schlüssel, und ihr Verlobter schloß auf. Noch ein Kuß, ein flüchtiger, letzter! — Halte sie fest, sagte abermals eine Stimme in ihm, aber im nächsten Augenblick war sie ihm schon entglitten, entschwebt wie ein Phantom, und innen verhallten ihre Schritte auf dem Kiesweg.

      Paul stand noch und starrte durch das Gitter. Eine unbegreifliche Menge von Leuchtkäfern füllte ringsum die Luft, sie waren überall, auf den Feldern da unten und oben auf dem Weg, aber drinnen im Esselinschen Park waren sie am zahlreichsten. Wie spritzende Funken stoben sie durcheinander und gaben dem nächtlichen Garten ein seltsames, märchenhaftes Ansehen. Ach, sie hatten gut schwärmen, ihr Leben und ihre Liebe verglühten beide in einem Freudenfeuer, für sie gab es kein Morgen. Warum ist nicht auch das Leben des Menschen solch ein kurzer und glänzender Wonnetraum?

      Der Feuerreigen in den Lüften ward immer wilder und leidenschaftlicher, und ab und zu ließ noch die Nachtigall ihren melodischen Ton wie aus dem Schlafe vernehmen. In einem Mauerloch saß ein einsiedlerisches Kiuh, und sein klagender Ruf, der die ganze Nacht nicht verstummt, füllte den einsamen Mann mit einer seltsamen Wehmut. Er stand noch lange und blickte durch das Gitter in sein verschlossenes Paradies, bis er seufzend den Heimweg antrat.

      Beim Auskleiden fiel ein Goldstück aus seinem rechten Schuh.

      Als Paul Andersen am nächsten Morgen erwachte, war ihm zumute wie einem Menschen, der ein teures Angehöriges verloren hat und den über Nacht der Traum in den Besitz seines Glückes zurücktäuschte; sobald er die Augen öffnet, jählings fällt eine Zentnerlast auf seine Brust, und nun weiß er wieder: es ist ein Leichnam im Hause. Der Bankbruch, das verlorene Gold, der Julius!

      Der Kopf war ihm schwer von dem ungewohnten Champagner, aber er erhob sich doch, um nach dem Bild auf der Hobelbank zu sehen und den Besteller zu vertrösten. Da wurde ihm ein Billett der Wirtin gebracht, dessen bloßer Anblick ihn schon beunruhigte.

      Sie schrieb, da er sich nun verheirate, sei sie genötigt, ihm den Zins für das nächste Quartal zu erhöhen, denn bei Abschluß des Mietkontrakts habe man den Schaden, der in einem Haus durch Kinder entstehe, nicht in Anschlag gebracht. Er möge ihr baldigst seine Entscheidung mitteilen, da sich bereits ein neuer Mieter für seine Wohnung gefunden habe.

      Das fängt gut an, dachte Andersen und eilte mit dem Billett die Treppe hinab, um die Hilfe seines Freundes gegen die geldgierige Hausfrau in Anspruch zu nehmen. Der aber schlief noch fest und war nicht in die Wirklichkeit zurückzurufen. Erst bei Andersens zweitem Besuch ermannte er sich so weit, die Augen zu öffnen, aber an den gestrigen Abend hatte er nur eine ganz verworrene Erinnerung.

      „Du und heiraten!“ sagte er. „Sei kein Narr!“ Und damit drehte er sich gähnend nach der Wand.

      Der Julius war zwar wieder ganz, und bei Abnahme des Seidenpapiers zeigte sich’s auch, daß die Untermalung nicht gelitten hatte, aber durch das aufgestrichene Fett, das die noch frischen Farben vor dem Ankleben bewahren sollte, waren die Lasuren verdorben. Es blieb nichts übrig, als das Bild frisch zu übermalen, doch als Andersen damit in die Tribuna ging, fand

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