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Er hob wieder den Arm. „Es ist ja nur, dass man Gewissheit hat . . .“

      Die Schranktür sprang lautlos auf. Der Tierarzt Steubesand stand schweratmend und starrte entgeistert in das Innere. Da hing an der Stange in der Mitte zwischen den anderen Kleidern ein vollständiger grüner Pagenanzug. Es klebten noch Konfetti an dem gefälteten Seidenstoff. Ganz frische Fetzen von Papierschlangen hingen an der Halskrause mit weissen Spitzen. Das Kostüm musste erst soeben abgelegt worden sein.

      Louis Steubesand fuhr sich mit der Hand über die Augen, als wollte er ein Spukbild vermischen. Aber der grüne Anzug blieb. Lore erhob sich jetzt. Sie schaute nicht nach dem Schrank. Aber ihre Stimme war sehr unruhig, von unterdrückter Aufregung gepresst, als sie fragte:

      „Warum sprichst du denn nicht weiter? Was ist denn auf dem Maskenball geschehen? Wie war es denn mit dem grünen Pagen?“

      „Ha . . . das musst du doch am besten wissen!“ Der Tierarzt stiess es keuchend, mit einer Kraftanstrengung hervor.

      „Ich?“ fragte Lore verwundert. Ihre grauen, nervös flackernden Augen folgten der Blickrichtung des Vaters. Jetzt erst sah sie, dass die Schranktür offenstand. Da drinnen hing friedlich das Fastnachtsgewand. Sie zuckte zusammen, ihr Gesicht veränderte sich. Es wurde starr und blass. Sie presste die Lippen aufeinander.

      „Du warst heimlich auf dem Ball . . .“ Der Tierarzt Steubesand hatte sonst eine Stimme, mit der man Tote erwecken konnte. Aber jetzt flüsterte er nur noch.

      Die Lore zögerte einen Augenblick. Sie schaute nach dem seidenen Spitzenwams, an dem noch die bunten Papierschlangen hingen. Dann zuckte sie die Achseln und sagte:

      „Na ja!“

      „Als grüner Page?“

      „Das siehst du ja!“

      Der Falstaff trat auf taumelnden Beinen vor die Tochter hin. Er stöhnte.

      „Bist du übergeschnappt?“

      „Nein, gar nicht! Warum soll ich nicht auch einmal ein Stündchen das Tanzbein schwingen? Du hast selbst jetzt eben gesagt, dass junge Mädel tanzen sollen!“

      „Aber nit mit einem polizeiwidrigen Fläschchen in der Tasch’, aus dem man anderen etwas ins Glas schüttet!“

      „Vater — du sprichst einfach in Rätseln!“

      „Warum hast du dem Staatsanwalt Pfeilschmidt etwas eingegeben?“

      „Ich?“ Lore wich entsetzt einen Schritt zurück.

      „. . . dass er stracks auf den nächsten Stuhl geplumpst ist! Man weiss jetzt noch nicht, was mit ihm los ist! Schnaufen tut er zum Glück noch!“

      „Ich soll das gewesen sein?“

      „Ha — wer sonst?“

      „Ja — was soll denn das um Gottes willen heissen?“

      „Was war denn in dem Champagnerglas — he?“

      „Ich hab’ den ganzen Abend kein Champagnerglas in der Hand gehabt!“

      „Hat dir der Staatsanwalt Pfeilschmidt etwas zu Leide getan? Das möcht’ ich jetzt bloss wisse! ’raus mit der Sprach’?!“

      „Herrgott im Himmel: ich bin dem Staatsanwalt Pfeilschmidt nie im Leben begegnet! Weiss nichts von ihm — nicht einmal, wie er ausschaut!“

      Louis Steubesand strich sich mit der Hand über die Stirn, als wollte er sich von einem schweren Traum befreien. Aber er schüttelte verzweifelt den Kopf.

      „Den Pfeilschmidt haben sie im ganzen Saal für den Prinzen Karneval gehalten!“ murmelte er. „Alle Leut’ dachten, der Jeanche Dörsam steckt in der schwarzen Mönchskutte! Wahrscheinlich auch du!“

      Es kam keine Antwort. Der Vater raunte heiser.

      „Den Jean Dörsam kennst du doch?“

      Lore nickte mit hartem Gesichtsausdruck.

      „Warum hast du dich an ihm vergreifen wollen?“

      „Ich hab’ keinem Menschen ein Leid angetan!“ schrie die Lore hellauf. „Mein Gewissen ist rein!“

      „Was hast du denn dann heimlich auf dem Ball gewollt? Du hast mir und der Mama doch kein Wort erzählt, dass du hingehen wolltest?“

      „Das kann ich nicht sagen!“

      „Da hat man’s!“ Der Falstaff sank schwer auf einen Stuhl. „Von seinem eigenen Fleisch und Blut!“

      „Ich hab’ nichts Schlechtes vorgehabt. Es ist eine Sache, die nur mich angeht. Ich bin zu stolz, davon zu reden! Aber ich bin unschuldig an dem, was in dem Saal geschehen ist. Ich schwöre es dir!“

      „Ich hab’ doch selbst den Pfeilschmidt da bewusstlos hocken sehe! Wie soll denn das nachher zugegange sein?“

      „Das weiss ich nicht. Ich kann nur sagen, dass ich von dem allen keine Kenntnis habe!“

      „So? Aber die grüne Lappe da in deinem Kleiderschrank — die spreche eine fürchterliche Sprach’ . . . sie Kreische ja allen Leuten in die Ohren: die war’s!“

      „Ich war’s nicht!“ sagte die Lore hart und fest — ihr herbes, hübsches Antlitz war geisterbleich geworden. Der Tierarzt rang die Hände.

      „Ja — wer soll’s denn dann gewese sein?“

      „Ein zweiter grüner Page! Anders kann ich es mir auch nicht erklären!“

      „Und das soll dir einer glauben?“

      Lore zuckte die Achseln und starrte vor sich hin. Die Flurschelle klingelte. Louis Steubesand schrak in sich zusammen. Er stand schwerfällig auf.

      „Da komme sie schon, um dich zu verhafte!“ sprach er dumpf. Er ging mit schwankenden Schritten und öffnete. Aber da draussen stand keine Polizei, sondern der silberglitzernde, närrische Hofmarschall mit seiner langen Pfauenfeder, der martialische Räuberhauptmann mit dem pistolengeschmückten Gürtel und der stolze Spanier mit Stossdegen und Spitzbart.

      „Gute Nachrichte, Louis!“ sprach der Hopfenhändler Pitterlin. „Auf Männer wie uns kann man sich halt verlassen. Darf man eintreten?“

      „Als voran!“ sagte der Tierarzt Steubesand mühsam. Die Tür zu dem Zimmer seiner Tochter stand offen. Er hörte innen das Klappen, mit dem Lore hastig den Kleiderschrank schloss. Gleich darauf kam der Hofmarschall Seiner Tollität mit den anderen über die Schmelle.

      „Entschuldigen Sie bloss, Fräulein Steubesand, dass so e Haufe Männer in Ihr Heiligtum ’reinbricht!“

      „Die ganze Wohnung ist ja sonst dunkel! Meine Frau schläft!“ sprach Louis Steubesand mit zitternder Stimme. „Also — mas ist?“

      „Wir wissen das Nest von dem grünen Galgenvogel. Vor dem Echaus Elisenstrasse 13 — weisst: in der feinen Villengegend — is er vor unseren Augen aus der Droschke gestiegen und drinnen verschwunden! Als ob ihn die Nacht verschluckt hätt’!“

      „Jetzt eben?“

      „Ha — freilich!“

      Der Tierarzt warf einen Blick auf seine Tochter. Er faltete die Hände.

      „Ich glaub“, ich hör’ nit recht!“ sagte er.

      „Du wirst dich noch mehr wundern, wenn du hörst, mer in seller Villa wohnt! Die Jenny Wiederhold!“

      „Die lustige Witwe . . .“

      „Justament die, die der Staatsanwalt Pfeilschmidt vor der ganzen Stadt hat sitze lasse!“

      „Kinner — hebt mich!“ sprach der dicke Steubesand. „Um mich dreht sich ’s ganze Zimmer!“

      Aber gleich darauf fasste er sich. Er holte tief Atem. Trocknete sich den kalten Schweiss von der Stirn. Er richtete sich entschlossen in seiner Falstaffgewandung auf.

      „Da

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