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Abgrund, auf welchen Gustav deutete; wußte, daß er dem Polizisten an Kraft nicht gewachsen sei.

      »Gut!« stieß er knirschend hervor. »Bleibt Ihr allein! Wir rechnen ab!«

      Er that so, als ob er gehe, kehrte aber hinter den Büschen zurück, um sie zu belauschen. Dort erblickte er Brandt's Ränzchen. Einer augenblicklichen Eingebung zu Folge öffnete er dasselbe. Es enthielt unter Anderem auch ein Rasiretui mit zwei scharf geschliffenen Messern. Sein Gesicht nahm unter einem diabolischen Gedanken einen triumphirenden Ausdruck an. Er steckte das eine der Messer zu sich und verschloß das Ränzchen. Dann hörte er Alma sagen:

      »Welch ein Glück, daß Du dazwischen kamst, mein lieber Gustav. Ich muß Dich für diese Errettung mit einem Kusse belohnen.«

      Sie hielt ihm ihre rosigen, schwellenden Lippen entgegen, und er küßte sie. In diesem Augenblick erschien von der Seite des Schlosses her – der Hauptmann von Hellenbach. Er war Zeuge des Kusses und rief:

      »Alle Teufel, was geht hier vor! Welcher freche Mensch wagt einen solchen Angriff gegen meine Braut! Zurück, Elender!«

      Er holte aus und traf Brandt mit der Faust, erhielt aber sofort einen Gegenhieb, so daß er zur Erde stürzte. Er wollte sich aufraffen und wieder auf Brandt werfen; dieser aber erfaßte ihn, hielt ihn mit überlegener Kraft gepackt und sagte:

      »Herr Hauptmann, ich bin der Bruder der gnädigen Baronesse. Soll ich einen Offizier mit Ohrfeigen tractiren? Gehen Sie! Ich werde die Dame heimgeleiten und stehe Ihnen dann zur Verfügung!«

      Hellenbach war blutroth im Gesicht, zwang sich aber zur Ruhe und sagte:

      »Gut! Ich eile, den Baron zu benachrichtigen. Sie aber werden mir blutige Satisfaction geben müssen!«

      Franz von Helfenstein sah ihn forteilen.

      »Ah, nun muß auch ich fort!« murmelte er. »Jetzt weiß ich, was ich thue. Ich werde mich rächen und glanzvoll siegen. Morgen habe ich Geld!«

      Brandt geleitete Alma nach dem Schlosse. Noch aber hatten sie dasselbe nicht erreicht, so kam ihnen der Hauptmann mit Alma's Vater entgegen. Dieser Letztere befand sich sichtlich in zornigster Aufregung.

      »Mir Deinen Arm!« rief er seiner Tochter zu. »Und Sie, Herr Brandt, sind ein Undankbarer, der nicht werth ist, daß man ihn anblickt. Sie werden das Schloß niemals wieder betreten!«

      Alma wollte den Milchbruder in Schutz nehmen, mußte aber schweigen. Brandt wußte, was er dem Baron verdankte; er beherrschte sich also und sagte mit möglichst ruhiger Stimme:

      »Herr Baron, Sie werden bald einsehen, daß Sie mir unrecht thun. Ich habe mir nicht das mindeste vorzuwerfen. Adieu!«

      Er ging, um seine Eltern zu begrüßen und dann die Vorbereitungen für den Ueberfall der Schmuggler zu treffen.

      Dieser gelang vollständig. Es gab zwar bei der nächtlichen Finsterniß und dem Terrain der Tannenschlucht einen harten Kampf; doch die Grenzer siegten.

      Die beiden Schmuggler, welche heut von Brandt belauscht worden waren, hatten neben einander gekämpft; als sie sahen, daß Alles verloren sei, rief der Eine dem Anderen zu:

      »Fort! Der Helfensteiner ist Schuld! Ihm die versprochene Kugel!«

      Sie stürmten in den Wald hinein. Sie hatten ihren Anführer gemeint, der im Dorf Helfenstein wohnte. Sie lauerten ihn am Forstwege ab und schossen ihn dort nieder. Brandt hatte ihren Ruf vernommen und glaubte, daß der Baron von Helfenstein gemeint sei. Um ihn zu warnen, eilte er geraden Weges vom Kampfplatze nach dem Schlosse, wo man noch munter war, da man das Schießen gehört hatte. Ohne sich anmelden zu lassen, suchte er den Baron auf, den er noch wach fand.

      »Herr Baron,« sagte er; »soeben haben wir die Schmuggler besiegt. Zwei von ihnen wollen Sie erschießen. Ich melde Ihnen das, damit Sie Ihre Maßregeln treffen und sich vor einem Ueberfall schützen.«

      Nach diesen Worten eilte er fort! an der Zofe Ella und andern Dienstpersonen vorüber, denen er begegnete. Vom Kampfe war sein Anzug blutig geworden, was sie deutlich bemerkten.

      Aus dem zwischen Baron Franz und Ella verabredeten Stelldichein war nichts geworden, da das Schießen alle Bewohner des Schlosses wach gehalten hatte. Ella hatte Brandt, als er an ihr vorüber eilte, gefragt, was er wolle und er hatte geantwortet, daß der Herr Baron es bereits wisse. Sie machte sich einen Behelf, bei ihrem Herrn einzutreten, und fand diesen schreibend am Tische sitzen. Auf dem Rückwege traf sie den Cousin, welcher auch keine Ruhe zu haben schien. Er war am Abende noch einmal bei seinem Verwandten gewesen, um zu versuchen, einiges Geld zu erhalten, hatte aber eine streng abweisende Antwort erhalten. Seine Aufregung, seine Rachsucht hatten ihn hin und her getrieben, bis er jetzt auf die Zofe stieß.

      »Verdammt!« sagte er. »Jetzt sind wir um unsere Schäferstunde gekommen. Dieser Brandt konnte sein Schießen lassen. Vielleicht findet sich eine Kugel, die so klug ist, ihn selbst zu treffen!«

      »O, er lebt; er war soeben hier,« antwortete sie.

      »Hier? Nachdem ihm das Schloß verboten wurde, wie ich erfuhr? Was wollte er?«

      »Er kam vom gnädigen Herrn, war ganz voller Blut und schien es sehr eilig zu haben.«

      Er hustete, als ob er eine innere Erregung zu verbergen habe, und sagte:

      »Das ist sehr verdächtig! Na, meinetwegen! Gute Nacht, Ella!«

      Er gab ihr einen Kuß und ging. Er kam ihr so sonderbar vor; sie beschloß, ihn zu beobachten. Sie war doch schlauer als er. Sie ließ ihre Thüre nur angelehnt und sah später, daß er sein Zimmer verließ, sich vorsichtig umsah und dann sich zu seinem Verwandten begab. Nach einer Weile trat er dort wieder heraus, verschloß die Thür und zog den Schlüssel ab. Ohne Ahnung, daß er bemerkt worden sei, begab er sich in sein Zimmer. Ella hingegen trat in das Ihre zurück und verschloß dasselbe.

      »Es ist etwas geschehen!« dachte sie. »Aber was? Pah! Heute geht es mich nichts an, aber morgen! Ist es das, was ich denke, so bin ich Herrin der Situation und werde – Baronesse von Helfenstein!«

      Sie legte sich zwar schlafen, wurde aber von der stürmischen Bewegung ihres Innern verhindert, zur Ruhe zu kommen.

      Die Nacht verging, und der Morgen tagte. Im Schlosse gab es Mehrere, die nicht geschlafen hatten. Auch Alma war unter ihnen. Sie wußte, daß Gustav sich an dem Kampfe betheiligt habe; sie vermuthete, daß er mit den Grenzern den Kampfplatz während der Nacht besetzt habe. Sie mußte wissen, ob er lebe. Darum warf sie einen Mantel um und eilte in ihrer Besorgniß nach der Tannenschlucht. Sie empfand in ihrem Herzen ein heißes Wogen und Wallen, über welches sie sich noch keine klare Rechenschaft gab.

      Auch der Hauptmann von Hellenbach war bereits munter. Er sah Alma über den Schloßhof gehen.

      »Wahrhaftig, da spaziert sie fort!« zürnte er. »Und wohin? Jedenfalls zu dem geliebten Milchbruder. Ich werde ihr folgen, um zu beobachten, was geschieht.«

      Und als er das Schloß verließ, stand der Baron droben an seinem Fenster und brummte zufrieden vor sich hin:

      »Da ging sie, und da geht er. Beim Förstersohne treffen sie sich, und da geht der Spektakel los. Ob ich dabei vielleicht etwas profitiren kann? Ich werde es versuchen. Mich soll übrigens verlangen, was sie sagen, wenn sie den Alten todt finden.«

      Auch er begab sich auf den Weg, welcher nach der Tannenschlucht führte. Dort lagen noch die Zeugen des Kampfes, einige Leichen und Schwerverwundete und die erbeuteten Packete, bewacht von den siegreichen Grenzaufsehern. Man mußte Alles liegen lassen, bis die Gerichtspersonen, nach denen bereits geschickt worden war, gekommen waren, um den Sachbefund aufzunehmen.

      Gustav hatte gestern eine weite Fußtour gemacht und des Nachts nicht geschlafen. Er wollte bei der Ankunft der gerichtlichen Commission zugegen sein und ging daher nicht nach dem Forsthause, wo er bequemer hätte ruhen können. Er blieb in der Tannenschlucht, zog sich jedoch ein wenig seitwärts in den Wald hinein, um sich in das weiche Moos hinzustrecken. Seine Doppelbüchse lehnte an dem Baume neben ihm; die beiden Läufe waren natürlich geladen.

      Indem

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