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that ihm durch ein freundliches, halb respectvolles Kopfnicken kund, daß er passiren könne.

      Der Fußboden bestand aus Marmor, ebenso die Treppe. Warme Lüfte wehten hier, denn der ganze Palast wurde durch Luftheizung gegen die Kälte des Winters geschützt.

      Droben wurde der Mann von einem Diener empfangen, der ihn zu kennen schien und ihm den Ueberzieher abnahm.

      »Guten Abend, Herr Seidelmann« grüßte er.

      »Guten Abend, lieber Friedrich! Ist der Herr Baron noch zu sprechen?«

      »Ja, ich werde Sie sogleich melden!«

      Der Diener ging, um dieses Versprechen zu erfüllen. Herr Seidelmann trat an einen Spiegel, strich sich sein weniges Haar auf dem kahlen, glänzenden Scheitel zurecht, zupfte an seinem weißen Halstuche herum, gab seinem Gesichte einen möglichst ehrwürdigen Ausdruck und trat sodann durch die Thür, welche der Diener ihm soeben öffnete.

      Aus der gegenüber liegenden Thür trat – Baron Franz von Helfenstein. Er war in den zwanzig Jahren magerer geworden, viel älter eigentlich nicht; aber sein Gesicht hatte jenes eigenthümliche Etwas an sich, welches den Roué kennzeichnet und den Menschen, welcher nur durch künstliche Mittel den Schein zu bewahren vermag, daß er sich noch im Besitze der körperlichen Frische befinde.

      Herr Seidelmann machte eine tiefe Verneigung und sagte:

      »Verzeihung, daß ich störe, Herr Baron! Ich komme, mir meine Instructionen zu holen.«

      »Allgemeine oder besondere?« fragte Helfenstein, während er sein Monocle in die Augenhöhle befestigte.

      »Beides!«

      »Dazu habe ich leider jetzt keine Zeit. Man hat mir die Ehre erwiesen, mich zum Dirigenten des hiesigen Armenwesens zu ernennen. Es war mir das nicht lieb, ja, einigermaßen fatal, da es meine Zeit, welche ich anderweit so nothwendig brauche, fast ganz absorbirt. Sie, mein Ehrwürdigster, nehmen mir zwar ein gut Theil der Arbeit ab; aber es bleibt mir dennoch genug übrig, um mich öfters geradezu zu verstimmen. Nächstens haben wir ja wieder Sitzung. Bis dahin wollen wir das Allgemeine aufheben. Und das Besondere – ah, was haben Sie in Beziehung darauf?«

      »Da will ich kurz sein und nur das Haus in der Wasserstraße erwähnen. Es ist Ihr Eigenthum, und daher liegen die Verhältnisse desselben mir doppelt am Herzen. Heut ist der letzte November – –!«

      »Ah, da ist morgen der Zins wieder fällig! Wie gut, wenn man nur monatlich vermietet! Dieses Pack würde sonst niemals zahlen!«

      »Haben sie Jemandem zu kündigen?«

      »Hm! Wäre das nicht bereits zu spät?«

      »Sechs Uhr ist die gesetzliche Frist, allerdings vorüber, aber mit diesem Volke macht man ja kein Federlesens.«

      »Nun, wie steht es mit dem Holzhacker im Parterre?«

      »Er wird bezahlen können.«

      »So? Hat er denn endlich einmal Geld?«

      »Er wird jedenfalls morgen welches einnehmen.«

      Dabei hatte das Gesicht des Herrn Seidelmann einen Ausdruck angenommen, ähnlich demjenigen des Fuchses in der Fabel, welcher sich ehrbar der Henne nähert, um ihr die Küchlein wegzufressen.

      »Gut, so mag er bleiben!« meinte der Baron. »Und der Schneider-Musikant im dritten Stockwerke?«

      »Mit dem steht es sehr schlecht. Er wird es nicht mehr lange machen. Die Auszehrung bringt ihn um.«

      »Hm! Ich werde mit diesem unglücklichen Manne doch noch einige Zeit Nachsicht haben. Man ist leider nicht ganz ohne Herz und Gemüth!«

      »Der gnädige Herr haben Recht. Ihr Herz ist warm und empfänglich für alles Gute und Edle.«

      Dabei aber machte er das Gesicht eines Mannes, dem ein Betrunkener sagt, daß er noch niemals ein Glas Schnaps oder Wein getrunken habe.

      »Und die Andern?« fragte der Baron.

      »O, die weiß ich zu nehmen! Sie müssen bezahlen außer –«

      »Ja,« fiel ihm Helfenstein in die Rede, »Sie sind der beste Cassirer und kennen den Werth des Mammons. Also mit dem Schneider wollen wir noch einige Zeit Geduld haben; aber besuchen können Sie ihn, um ihm in das Gewissen zu reden.«

      »Und der Graveur und der Mechanikus, welche ich noch erwähnen wollte, grad als ich die Ehre hatte, unterbrochen zu werden?«

      »Das sind zwei junge, strebsame Burschen, welche wir nicht drängen wollen. Doch, apropos, da fällt mir eben ein: Ist der älteste Sohn des Schneiders sein leibliches Kind?«

      »Nein, er ist nur der Pflegesohn, trägt aber den Namen seines Pflegevaters, da man den seinigen nicht kennt.«

      »Wie kommt der Schneider bei seiner Armuth dazu, einen Pflegesohn zu haben?«

      »Vor zwanzig Jahren war er wohlhabend und einer der besten Uniformkünstler der Residenz. Er war zugleich ein ausgezeichneter Waldhornist; diese Fertigkeit aber hat ihm die Auszehrung an den Hals gebracht. Das Waldhorn kam in Wegfall, es wurde durch das Cornet und die Trompete verdrängt. Mit der Musik, welche ihm Geld eingebracht hatte, war es aus. Sein Brustleiden hinderte ihn am Schneidern; er kam herunter. In seinen guten Tagen war er kinderlos. Er sowohl wie seine Frau sehnten sich nach einem Kinde. Sie gingen in das Findelhaus und suchten sich einen Knaben aus, den sie gut erzogen. Ich glaube, sie würgten ihn bis zur Prima im Gymnasium empor, dann aber war es aus. Es ging nicht mehr. Der Junge sitzt jetzt daheim und macht den Privatschreiber. Was er dabei verdient, kann nur eine Wenigkeit sein.«

      »Die anderen Kinder sind also nachgeboren?«

      »Ja.«

      »Hm! Haben Sie nicht bemerkt, ob dieser Pflegesohn vielleicht ein Liebesverhältniß mit der ältesten Tochter unterhält?«

      »Das glaube ich nicht, obgleich ich zugebe, daß die Geschwisterliebe leicht in ein gefährlicheres Stadium treten kann. Ich werde diese Beiden beobachten. Das Mädchen ist wirklich allerliebst, sogar schön, sehr schön.«

      »Beobachten Sie. Ließ sich zwischen Geschwistern ein so unnatürliches Verhältniß constatiren, so würde ich meine Hand abziehen. Nachsicht wäre dann der größte Fehler. Haben Sie noch etwas?«

      »Ich glaube zu Ende zu sein.«

      »So lassen Sie uns abbrechen. Ich bin sehr beschäftigt.«

      Herr Seidelmann entfernte sich, nachdem er eine sehr tiefe und ergebene Verbeugung gemacht hatte. Der Baron blickte nach der Thür, hinter welcher er verschwunden war, und murmelte:

      »Dieser Schlaukopf ahnt, daß ich in das Mädchen verliebt bin bis über die Ohren. Ich muß sie haben, obgleich sie mich wiederholt zurückgewiesen hat! Meine Frau – ah pah! Die Umarmung eines tugendhaften Mädchens ist doch etwas ganz Anderes!«

      Er schritt durch mehrere Zimmer und klopfte dann an eine Thür.

      »Du, Franz?« fragte eine weibliche Stimme von innen.

      »Ja,« antwortete er.

      »Tritt herein!«

      Er öffnete die Thür und zog sie hinter sich wieder zu.

      »Ah!« sagte er überrascht. »Ich störe!«

      »O nein, obgleich Du mich jetzt im Bade findest,« lachte sie. »Vor dem Manne darf die Frau selbst in dieser Beziehung kein Geheimniß haben.«

      Das Boudoir, in welchem sie sich befanden, war mit einem wahrhaft raffinirten Luxus ausgestattet. Es besaß die bequeme Einrichtung, daß man nur an einen Knopf zu drücken brauchte, so öffnete sich die eine Wand, um den vollständigen Badeapparat einzulassen.

      Die Baronin, das einstige Bauermädchen, die frühere Zofe, saß in einer Badewanne, welche aus cararischem Marmor gefertigt war. Wer sie hier erblickte, mußte sich sagen, daß sie ein üppiges und noch immer schönes Weib sei, obgleich sie bereits über vierzig Jahre zählte. Sie saß

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