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      Es lebte nicht weit von dem Ort, wo die Jungfrauen wohnten, ein Einsiedler, der einen überaus frommen Wandel führte. Als dieser nun die wunderbare Begebenheit erfuhr, daß die eine der Jungfrauen lebendig begraben worden sei, ging er hin zu den anderen Schwestern, um ihnen mit seinem Rat beizustehen. Zuerst fragte er sie, auf welche Weise sie Vater und Mutter und alle Güter verloren hätten. »Das Schicksal«, sagten sie, »hat es so gewollt; wir werden von Gott gehaßt, und er hat uns zu solcher Betrübnis bestimmt.«

      »Gott haßt keinen Menschen«, sagte der fromme Einsiedler; »vielmehr geht ihm alles, was Ihr Böses tut, sehr nahe; durch die Einwirkung des Teufels ist Eure Schwester zu solcher Schande verführt worden. Da Ihr aber nichts davon wißt und bis jetzt befreit davon seid, so hütet Euch ferner vor schlechter Gesellschaft und bösen Eingebungen.«

      Der fromme Mann gab ihnen darauf noch viele vortreffliche Lehren. Er unterrichtete sie im Glauben, lehrte sie die göttlichen Gebote und die Tugenden des Heilands. Der ältesten Tochter gefielen diese Lehren wohl, und sie nahm sie sehr zu Herzen, gab sich auch große Mühe, alles zu erlernen, und alles das jeden Tag zu tun, was der fromme Einsiedler ihr zu tun gebot.

      »Wirst Du«, sagte er zu ihr, »dem Rat immer so folgen, meine Tochter, und pünktlich so tun, wie ich es Dir heiße, so wirst Du zu vielen Ehren und großem Gut kommen; also folge meinem Rat. Komm zu mir, so oft Du über etwas in Zweifel bist oder in Versuchung gerätst, damit ich Dich mit Hilfe Gottes wieder auf den rechten Weg führe. Laß Dich von nichts bestürzt machen, sondern vertraue auf Gott.« Nachdem der fromme Mann die beiden Jungfrauen so gestärkt und unterrichtet hatte, ging er wieder in seine Einsiedelei, schärfte ihnen aber vorher noch einmal ein, daß sie zu ihm kommen und ihn um Rat fragen sollten, so oft ihnen etwas begegnen würde.

      Dem Satan war der Zuspruch des frommen Mannes nicht lieb, er fürchtete sehr, die beiden Jungfrauen zu verlieren; sah auch ein, daß er sie nie würde betrügen können, außer mit Hilfe eines anderen von ihm besessenen Weibes. Er kannte eine, die schon oft seinen Willen getan, und deren er ganz mächtig war. Diese schickte er zu den Jungfrauen; sie wandte sich sogleich an die jüngste, denn mit der ältesten zu reden wagte sie nicht, weil sie zu fromm war. Das Weib nahm also die jüngste auf die Seite und fragte sie, wie sie lebte, und wie sie sich mit ihrer Schwester stände. »Meine Schwester«, antwortete das junge Mädchen, »ist über die vielen Begebenheiten, die wir hintereinander erlebt haben, so nachdenklich geworden, daß sie Essen und Trinken vergißt, und weder mir noch andern ein freundliches Gesicht zeigt. Ein guter, frommer Mann hat ihr Gemüt ganz zu Gott gewendet, sie glaubt und tut nichts, als was dieser Mann ihr sagt.«

      »Schade,« sagte das Weib darauf, »daß ein so schönes Mädchen wie Du unter einer solchen Vormundschaft steht; denn niemals wirst Du Dich bei Deiner Schwester Deiner Schönheit erfreuen können. Mein süßes Töchterchen«, fuhr sie fort, »wenn Du wüßtest, welche Freude und welches Wohlleben die anderen Frauen genießen, Du würdest alles, was Du bei Deiner Schwester hast, für nichts achten. Trocknes Brot in Gesellschaft von Männern ist angenehmer, als alle Güter der Welt bei Deiner Schwester. Wie kannst Du es nur so allein aushalten; eine Frau, die keinen Mann kennt und mit keinem umgeht, weiß gar nicht, was Freude ist. Ich sage es Dir, schönes Kind, Du wirst niemals die Liebe eines Mannes genießen, Deine Schwester wird sie eher genießen als Du, denn sie ist die älteste und wird heiraten; dann wird sie sich aber gar nicht mehr um Dich bekümmern, und Du wirst die Freuden Deines schönen Leibes nicht kennen lernen.« Diese Reden machten das junge Mädchen ganz nachdenklich.

      »Wie dürfte ich das wohl tun«, fing sie wieder an, »man würde mich lebendig begraben, wie meine Schwester.« – »Deine Schwester«, sagte das Weib, »war eine Törin und hat es sehr übel angefangen; wenn Du mir folgen willst, sollst Du alle Lust Deines Leibes genießen, und kein Mensch soll Dir etwas anhaben können.« – »Jetzt darf ich nicht länger mit Euch reden«, sagte das junge Mädchen, »meine Schwester möchte es gewahr werden; entfernt Euch jetzt, und kommt einen andern Tag wieder.« Das Weib ging fort, und Satan freute sich des guten Anfangs.

      Als das Mädchen nun allein geblieben war, überlegte sie unaufhörlich die Reden des Weibes und sprach immer mit sich selber davon. Dadurch wuchs die Lüsternheit, die der Teufel durch jene Reden in ihr entzündet hatte, in ihr immer mehr, so daß als sie des Abends ihre Kleider abgelegt hatte, sie ihren schönen Leib betrachtete und sich dessen freute. »In Wahrheit«, sagte sie, »die kluge Frau hat Recht, ich wäre ohne den Genuß eines Mannes ganz verloren.« Sie ließ bald darauf jenes Weib wieder zu sich rufen und fragte sie, wie sie es machen müßte, einen Mann zu lieben, und nicht verraten und getötet zu werden, wie ihre Schwester. »Du brauchst nur«, sagte jene, »Dich einem jeden öffentlich hingeben. Fliehe wie erzürnt hier aus dem Hause und sage, daß Du es nicht länger mit Deiner Schwester zusammen aushalten kannst; nachher kannst Du tun, was Dir gefällt, und niemand darf Dich vor Gericht fordern oder Dich verurteilen. Wenn Du dann einst des wilden Lebens müde bist, kannst Du immer noch einen Mann finden, der Dich heiratet, um Deiner vielen Reichtümer willen; so wirst Du aller Freuden dieser Welt froh.«

      Die Jungfrau folgte wirklich dem verderblichen Rat des verfluchten Weibes, entfloh aus dem Hause ihrer Schwester, und gab sich öffentlich jedem preis.

      III. Wie Merlin vom Teufel und einer frommen Jungfrau gezeugt wurde

       Inhaltsverzeichnis

      So sehr der böse Feind sich freute, diesen Anschlag gelungen zu sehen, so sehr entsetzte sich die Schwester des Mädchens darüber. Es fehlte wenig, so wäre sie aus Betrübnis wahnsinnig geworden; und sogleich machte sie sich auf den Weg und lief zu dem Einsiedler. Als dieser sie ankommen sah, ging er ihr entgegen und sagte: »Mache ein Kreuz, meine Tochter, und empfiehl Dich Gott; ich sehe, Du bist sehr niedergeschlagen.« – »Ich habe wohl Ursache dazu«, sagte jene, und erzählte ihm, wie ihre Schwester entflohen sei und sich, wie man ihr gesagt, der Schande öffentlich preisgegeben. Der fromme Mann war sehr betrübt über diese Nachricht und sagte: »Noch ist der böse Feind um Dich her und wird auch nicht sobald aufhören, Dich zu verfolgen, um Dich in seinen Schlingen zu fangen, wenn Gott Dich nicht in seine besondere Obhut nimmt. Ich bitte Dich also und befehle Dir, daß Du Dich nicht dem Zorn und der Traurigkeit überläßt, denn über niemand hat der Böse mehr Macht als über die, die sich solchen Leidenschaften hingeben. Komm zu mir, sobald Dir ein Hindernis oder etwas Verderbliches in den Weg gelegt wird. Mache jeden Tag, ehe Du etwas issest oder trinkst, das Zeichen des Kreuzes an Dir; laß stets da, wo Du schläfst, ein Licht brennen, denn der Böse scheut das Licht.«

      Nach diesen Lehren des frommen Mannes ging die Jungfrau wieder nach Hause. Viele Leute aus der Stadt besuchten sie und rieten ihr, sich zu verheiraten, damit sie nicht so allein und in Traurigkeit versenkt bliebe. Sie antwortete ihnen aber jedesmal: »Gott wird mir gewiß nichts anders zuschicken, als was mir gut ist.« Mehr als zwei Jahre lang blieb die Jungfrau in ihres Vaters Hause und führte ein sehr gottesfürchtiges frommes Leben. Der Böse konnte durchaus keine Gewalt über sie haben, weder in Gedanken noch in Werken; er suchte beständig sie zu erzürnen, damit sie im Zorn die Befehle des frommen Mannes vergessen möchte. Zu dem Zweck führte er eine Nacht ihre entlaufene Schwester wieder zu ihr, damit sie sich über sie erzürnen möchte; und gleich nach der Schwester schickte er einen Haufen junger Burschen ins Haus, die ihr nachliefen.

      Als die Jungfrau dies erblickte, erschrak sie sehr und sagte zu ihrer Schwester: »So lange Du eine solche Lebensart führst, solltest Du nicht zu mir ins Haus kommen, denn Du bist Schuld, daß ich in üblen Ruf komme.« Jene, als sie hörte, daß ihre Schwester ihrem üblen Ruf die Schuld gab, ward ergrimmt und erhitzt und redete wie eine, die vom Teufel besessen ist; sie drohte ihrer Schwester und warf ihr vor, sie liebe den frommen Einsiedler mit weltlicher Liebe, und sie würde hingerichtet werden, wenn die Leute es wüßten. Die Jungfrau ward hoch erzürnt über diesen Vorwurf und befahl ihr, aus dem Hause zu gehen. Jene erwiderte aber, sie hätte zu dem Hause so viel Recht wie sie, und wollte nicht hinausgehen. Die Jungfrau wollte sie bei den Schultern hinaus stoßen, aber sie und die jungen Burschen, die mit ihr waren, wehrten sich und schlugen die arme, erzürnte Jungfrau. Sie entfloh ihnen endlich und schloß sich

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