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aber an uns denkt sie nicht; das macht halt, sie ist so jung schon fortgekommen und hat unser Elend vergessen, die weiß gar nicht, wie wohl unsereinem einmal ein Goldstücklein tät! Schon lang hat sie nichts geschickt.«

      »Weil sie auch gar so weit weg ist!«

      »Von Köln aus könnt’ man schon etwas schicken; unsere Puppen schickt man doch sogar bis nach Amerika.«

      »Amerika! Das ist nicht so weit, da fahren die Schiffe alle Tage herüber und hinüber und am Samstag kannst in Sonneberg oft genug so einen Herrn aus Amerika sehen und aus England auch; aber aus Köln kommt keiner, das muß viel weiter weg sein.«

      »Viel näher ist’s, Frau, das könntest auch wissen, nach Amerika mußt übers Meer.«

      »Und nach Köln wirst über den Rhein müssen, der soll auch so ein großes Wasser sein.«

      »Der ist doch nur ein Fluß!«

      »Meinetwegen, ich hab’ auch keinen Fluß und kein Meer gesehen.«

      Jetzt unterbrachen die Kinder, die den Speck brachten, die Unterhaltung. Die Mutter setzte wieder Kartoffeln zu, und um 12 Uhr legte die ganze Familie für ein Stündchen die eintönige Arbeit beiseite und die müden Hände durften ein wenig ruhen.

      »Warum hast heute so schnell deine Schulaufgabe schreiben wollen?« fragte Vater Greiner sein Schulmädchen. Marie wollte nicht heraus mit der Sprache. »Warum, sag’s, bist abgestraft worden? Hast doch gestern abend geschrieben!«

      »Ja,« antwortete Marie, »aber der Lehrer hat’s nicht lesen können; ich soll’s bei Tag schreiben, sagt er, gleich zuerst. Denn was wir bei der Nacht schreiben, könne er gar nicht lesen, so schlecht sei’s.«

      »Wart nur,« tröstete die Mutter, »im Winter, wenn die stille Zeit kommt und keine Arbeit im Haus, dann kannst schreiben, wann du willst, den ganzen Tag. Aber jetzt geht’s halt nicht, jetzt kommt die strengste Zeit für uns, da muß schon der Lehrer nachgeben.«

      Ja, es war strenge Arbeitszeit im ganzen Dorf, denn im Sommer werden die Puppen gemacht, die im Winter auf dem Weihnachtstisch liegen sollen. Bis spät in die Nacht hinein arbeitete Vater Greiner und seine Frau, um alles fertig zu bringen. Am Samstagmorgen standen sie frühe auf. Da wurde der riesengroße Huckelkorb vollgepackt mit all den fertigen Puppenkörpern, die Köpfe wurden in großen Schachteln noch oben auf den Korb geschnürt und ein langes Tuch darüber gebunden. Solch einen Korb aufzuhuckeln, ist ein ganzes Kunststück, und mancher kräftige Mann möchte die Bürde nicht auf sich nehmen. Aber Frau Greiner, so schwächlich sie erschien, war von Jugend auf gewöhnt, die Last zu tragen, und nahm sie auch heute fröhlich auf sich. Ihr Mann zog noch sorglich die Schnur fest, daß nichts ins Wanken geraten konnte von den oben aufgepackten Schachteln, die hoch über den Kopf der Frau hinausragten, und die Kinder sahen ernsthaft zu; sie wußten schon, daß der Samstag immer der wichtigste Tag war, an dem die Mutter die Arbeit ablieferte und neue heimbrachte, und Geld dazu für die ganze Woche. Ein gut Stück Weg liefen sie neben ihr, dann mußten sie umkehren, aber diesmal nicht alle. Für Marie war heute ein besonderer Samstag vor andern, sie durfte mit in die Stadt, und die Mutter wollte für sie einen eigenen Huckelkorb einkaufen, damit sie künftig helfen könnte tragen, wenn es gar zu viel für die Mutter würde.

      Und so wanderte sie neben der Mutter her durchs Dörfchen. Aber sie blieben nicht lange allein, denn da und dort kamen aus den kleinen Häusern Frauen und Mädchen mit schwerbeladenen Huckelkörben und mit kleinen Handwagen; sie zogen alle dieselbe Straße nach Sonneberg. Zwischen den schönen Waldbergen hindurch gingen sie gebückt unter der Last, aber doch in fröhlichem Geplauder, und als sie in die Nähe der Stadt kamen, sahen sie von anderen Ortschaften her ähnliche Gestalten der Stadt zupilgern.

      »Mutter, was haben die in ihren Körben? Die tragen nicht so schwer wie du,« fragte Marie. »Das sind die von Lauscha,« sagte Frau Greiner, »die machen Glaskugeln und Christbaumschmuck und Puppenaugen. Die sind auch nicht besser bezahlt als wir, aber jetzt paß auf, der dort mit dem schweren Korb, das ist ein Augeneinsetzer, die sind am besten bezahlt.« Achtungsvoll sahen Mutter und Tochter nach dem Mann mit dem schweren Korb.

      Nun machte die Straße eine Biegung und Sonneberg, die freundliche Stadt, erschien mit ihren schönen, schiefergedeckten Häusern mitten unter grünen Hügeln. Hier strömten von allen Seiten die Bewohner der umliegenden Ortschaften zusammen und suchten die großen Geschäfte auf, die aus den abgelieferten Köpfen, Körpern und Gliedern die Puppen fertig machen und in alle Welt hinaus versenden. Marie ging neben der Mutter her, sah nach den schönen Häusern hinauf und las die Aufschriften: »Spielwarenfabrik« hieß es an dem einen, »Fabrik gekleideter Puppen« an dem andern, und so fort; die ganze Stadt schien wegen der Puppen da zu sein. Darüber wunderte sich Marie auch gar nicht; ihre Eltern, ja fast alle Menschen, die sie kannte, lebten ja auch durch die Puppen.

      Jetzt endlich waren sie an der Fabrik angelangt, für die Greiner arbeitete, und mit Herzklopfen folgte Marie ihrer Mutter durch das große Eingangstor in den Hofraum und durch eine Tür in ein Arbeitszimmer, in dem schon mehrere Frauen und Mädchen standen und warteten.

      Eine Frau packte eben die Puppenkörper aus, die sie gebracht hatte, und ein Herr mit der Brille auf der Nase sah einen jeden prüfend an, warf ihn dann neben sich in einen großen Kasten und zählte dabei. Die Frau sah ängstlich zu. Jetzt warf der Herr einen der Körper beiseite und am Schluß noch einen.

      »Zwei gehen ab, die sind ungleich gearbeitet, müssen noch einmal aufgetrennt werden.« Die Frau legte sie stillschweigend wieder in ihren Korb, bekam dann einen Zettel, auf dem stand, wieviel sie abgeliefert hatte, und ging mit diesem in das nächste Zimmer, wo sie ausbezahlt wurde und neue Aufträge für die nächste Woche erhielt. So kam eine der Frauen nach der anderen an die Reihe, auch Frau Greiner lieferte ab. Ihre Arbeit wurde tadellos befunden und vergnügt strich sie ihr Geld ein. Für die nächste Woche gab’s Arbeit genug, fast mehr als Frau Greiner versprechen konnte. Der Herr vermerkte es in seinem Buch.

      »Mutter, so viel bringen wir doch nicht fertig?« fragte Marie, als sie aus dem Zimmer waren. – »Ich weiß wohl, aber das darf man nicht sagen, sonst heißt’s später, wenn’s weniger Arbeit gibt, gleich: Ihr habt uns auch im Sommer im Stich gelassen, wie die Arbeit drängte.«

      »Aber wenn wir’s in dieser Woche nicht fertig bringen? O da möcht’ ich nicht dabei sein, wenn du zu dem Herrn kommst und zu wenig ablieferst, da würd’ ich mich fürchten!«

      »Wir werden schon fertig; wenn der Tag nicht reicht, so gibt’s doch noch die Nacht. Jetzt komm, jetzt gehen wir zur Großmutter und schauen, wie’s der Alten geht, und deinen Korb kaufen wir auch.«

      Die Großmutter wohnte ganz oben im alten Teil des Städtchens, wo kleine Häuschen in engen Gassen sich am Berg hinziehen. Marie war vor Jahren einmal dagewesen und hatte ihre Großmutter und die Tante, bei der sie wohnte, besuchen dürfen, sie konnte sich’s kaum mehr erinnern.

      Sie stiegen eine schmale Treppe hinauf und kamen in einen dunklen Gang. Marie hielt sich an der Mutter. »Gelt, dir kommt’s dunkel vor?« sagte die Mutter, »aber ich find’ gut meinen Weg, ich bin ja da aufgewachsen, und wie ich so alt war wie du, bin ich durch den Gang gesprungen, wie wenn’s heller Tag wär’.« Sie kamen an einer Tür vorbei, man hörte sprechen. »Das ist noch nicht die rechte Stub’, da wohnt ein Stimmacher; weißt so einer, der den Puppen die Stimme einsetzt, daß sie Papa und Mama sagen können. Und da gegenüber ist jetzt einer, der macht Puppenschuh’, hörst nicht seine Maschine?«

      »Aber da wohnen viel Leut’, Mutter!«

      »Was meinst auch, in Sonneberg sind die Wohnungen gar teuer, aber jetzt sind wir an der rechten Tür, da wohnen wir.« Ohne anzuklopfen machte Frau Greiner die Türe auf: »Guten Tag, Mutter, guten Tag, Regine. Seid ihr wohlauf? Marie, kennst die Großmutter noch? Geh vor, gib ihr die Hand und deiner Tante Regine auch.«

      Die alte Frau, die am Fenster saß, nickte freundlich den Ankommenden zu und erwiderte den Gruß. Aber sie stand nicht auf von ihrem Stuhl, denn sie war an der Arbeit. Einen Puppenkopf hatte sie vor sich, einen ganz fertigen, schön bemalten, mit Augen im Kopf, aber oben war das Köpfchen noch offen, dem leimte sie eben das Deckelchen

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