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nicht sagen konnte. Er begrüßte die Ankömmlinge und reichte Hermann die Hand; der schlug unbefangen ein und sah voll Vertrauen zu dem Manne auf, der ihm kein Fremder war, und den er, ohne daß dieser es wußte, schon seit Jahren als seinen künftigen Lehrherrn betrachtet hatte.

      Durch den Laden hindurch, in dem jener den Apotheken eigentümliche Geruch herrschte, der für Hermann immer etwas geheimnisvoll Anziehendes hatte, führte Apotheker Mohr seine Gäste an die Treppe nach dem oberen Stock und in seine Wohnung. Hier wurden sie freundlich empfangen von der kleinen rundlichen Apothekerin, die gleich geschäftig den Kaffeetisch deckte und sich entschuldigte, daß der Kaffee noch nicht bereit sei. »Ich wußte nicht genau,« sagte sie, »um wieviel Uhr Sie kommen, und lieber möchte ich meine Gäste einen Augenblick warten lassen, als ihnen einen abgestandenen Kaffee vorsetzen.«

      Während sich die Gäste setzten, bat sie um die Erlaubnis, daß sie und ihr Mann zu Hermann »du« sagen dürften, es sei doch traulicher für Leute, die an einem Tisch sitzen. Dies schien Hermann sichtlich zu freuen.

      Kaum eine Viertelstunde saß die kleine Gesellschaft gemütlich beim Kaffee beisammen, da ertönte die Ladenglocke der Apotheke, und Mohr mußte hinunter; nach einem weiteren Viertelstündchen gab es eine zweite Störung dadurch, daß Hermann seine Kaffeetasse umstieß. Es war seinem Vater und ihm selbst peinlich, daß er sich bei der ersten Mahlzeit so einführte, doch versicherte Frau Mohr, der Flecken in der Kaffeedecke sei nicht schlimm, aber sie bat doch, sie sogleich wegnehmen zu dürfen. Diese Gelegenheit benützte Hollwanger, um sich zu verabschieden. Bis an die Kutsche begleitet vom Apotheker und von Hermann stieg er ein. Die beiden Männer tauschten noch freundliche Worte, Hermann aber wußte nichts mehr zu sagen; seine Grüße an Mutter und Schwester hatte er schon aufgetragen, fast ungeduldig wartete er, daß sein Vater abfahre, er wollte doch Apotheker werden, endlich sollte es losgehen. Jetzt kam der letzte Gruß, das Pferd folgte dem leisen Anruf seines Herrn, der Wagen rasselte über den Marktplatz.

      Der Apotheker wandte sich Hermann zu, der nicht dem Wagen nachsah, sondern aufmerksam nach dem großen schwarzen Adler aufblickte, der dräuend über dem Eingang der Adlerapotheke wachte. Mohr klopfte ihm auf die Schulter und sagte in ernsthaftem Tone: »So, nun gehörst du in die Adlerapotheke.« »Ja,« erwiderte Hermann ebenso, und indem er fröhlich die wenigen Stufen vorauseilte und die Ladentüre aufmachte, fragte er: »und wie geht’s jetzt an?«

      »Wie’s angeht?« wiederholte der Apotheker und sah lächelnd auf seinen eifrigen Gehilfen. »Wie’s angeht, wenn man Apotheker werden will, meinst du? Ich denke, man schaut sich zuerst einmal die Apotheke an. Komm mit!« Er schloß die Ladentüre. »Es sollte freilich nicht sein, daß mitten am Tag kein Kunde in Sicht ist,« sagte er, »es war auch früher nicht so, erst seit Herbst, wo sich die neue Apotheke hier aufgetan hat, erst seitdem ist’s stiller bei mir. Es ist unrecht, daß man hier eine zweite gegründet hat; ich habe auch vorher gesprochen mit dem jungen Apotheker, aber er hat es nicht einsehen wollen, und nun ist bei ihm kein rechter Geschäftsgang und bei mir ist es auch nicht mehr wie früher.«

      Inzwischen hatte der Apotheker den Neuling in das Laboratorium geführt, da standen wunderliche Kolben und Kochgeschirre aus Glas und gläserne Trichter und Röhren. Wißbegierig sah Hermann dies alles an. »Da wird so mancherlei bereitet,« sagte Mohr, »heutzutage gibt es zwar viele Apotheker, die beziehen alles von auswärts, aber ich mache noch vieles selbst.« »Machen wir heute auch etwas?« fragte Hermann. »Diese Woche nicht mehr, aber nächste Woche will ich Höllenstein machen, der wird aus Silber bereitet. Da gibt meine Frau alte Kaffeelöffel dazu.«

      »Das wird fein,« sagte Hermann vergnügt. »In meiner Familie,« sagte Mohr, »ist diese Liebhaberei von alters her, die Mohrs sind eine altberühmte Chemiker- und Apotheker-Familie aus Koblenz.«

      Nun erklang die Apothekenglocke. »Jetzt kommt doch jemand,« rief Hermann so erfreut, wie wenn der Kunde schon sein Kunde wäre und lief eiligst, die Türe zu öffnen. Ein Dienstmädchen brachte ein Rezept, in einer halben Stunde wollte sie wiederkommen, die Arznei abzuholen und dann sollte sie auch sechs Blutegel mitnehmen.

      »Bei der Gelegenheit kannst du gleich den Keller kennen lernen,« sagte der Apotheker, »in dem sind gar mancherlei Vorräte, nicht nur Blutegel.« Sie stiegen miteinander hinunter in die großen Kellerräume. In verschiedenen Abteilungen waren wohlgeordnet Fässer, Flaschen, Kolben aller Art. Der schöne Steinboden war tadellos rein gehalten; in jedem Raum hing ein Lämpchen, von denen der Apotheker eines anzündete. »Hier sind die Blutegel; es muß von Zeit zu Zeit nachgesehen werden, ob alle lebend sind, und sie müssen mit frischem Wasser versorgt werden. Futter brauchen sie nicht; sie bleiben ein und zwei Jahre lang ohne Nahrung, inzwischen kommen wieder frische.« Der Apotheker hatte einen großen, mit Leinwand zugebundenen Glaskolben hervorgezogen, in dem schwammen die schwarzen Würmer. Er nahm einige heraus in ein kleines Glas.

      »Das nächste Mal mußt du sie selbst holen, jetzt aber binde fest den Kolben zu und lösche das Lämpchen sorgfältig; ich muß hinauf, ich höre die Ladenglocke.«

      In den Abendstunden kamen mehrere Kunden, Arzneien waren einzufüllen, Pulver waren zu richten und in die weißen zugeschnittenen Papierchen einzuwickeln. »Sieh zu und mach’s nach,« sagte der Apotheker zu Hermann und deutete auf die Pülverchen, die auf die einzelnen Papierchen verteilt waren. Während Hermann mit ungeschickten Fingern eines der Pülverchen einwickeln wollte, schob er mit dem Ärmel die vier anderen kleinen Portionen zum Tisch hinunter. Ein ärgerlicher Ausruf entfuhr dem Apotheker; der Arbeiter, der dastand und auf die Pulver wartete, sagte lachend: »Der ist scheint’s nicht der geschickteste.« »Er ist neu eingetreten,« sagte Mohr entschuldigend und wog neue Pülverchen ab, aber Hermann wurde nicht mehr aufgefordert, sie einzuwickeln.

      Nach einer Weile schob der Apotheker ihm ein paar Gläschen hin, die er eben mit Arznei gefüllt hatte. »Binde die Fläschchen zu, so wie dieses,« sagte er, indem er ein farbiges Papierchen über den Stöpsel faltete und mit einem Bindfaden fest knüpfte. Es sah so einfach aus und ging wie von selbst und doch, als Hermann es versuchte, wollte das Papier nicht stramm aufliegen, das Schnürchen nicht halten. Eines der Gläser rutschte aus und zerbrach auf der Marmorplatte des Ladentisches. »So geht das nicht,« sagte Mohr und sah seinen Lehrling groß an, »so ungeschickt hat sich noch keiner angestellt. Passe auf, daß das nicht noch einmal vorkommt!«

      Als gegen acht Uhr abends der letzte Kunde befriedigt war und Hermann mit dem Apotheker und seiner Frau beim Abendessen saß, kam es ihm vor, als sei er nicht in der Gunst seines Lehrherrn gestiegen, denn dieser war sehr einsilbig bei der Mahlzeit. Nach dem Essen fragte Herr Mohr seinen Lehrling, ob er Sinn für Botanik habe, die jeder Lehrling studieren müsse, und er führte ihn an einen Bücherschrank, der viele naturwissenschaftliche Werke enthielt. Zu seiner Verwunderung bemerkte der Prinzipal, daß Hermann in Botanik und auch in anderen Zweigen der Naturwissenschaft schon prächtig Bescheid wußte.

      »Wie kommst du dazu?« fragte er. »In der Lateinschule hast du das nicht gelernt.«

      »Nein, bloß für mich; ich habe mir nie etwas anderes gewünscht und gekauft als naturwissenschaftliche Bücher, schon seit Jahren weiß ich mir nichts Schöneres.« Vor seinen Büchern stehend, sprach der Apotheker über die verschiedenen Werke und stellte, ohne daß es Hermann nur recht bemerkte, eine Prüfung mit ihm an, über deren Ergebnis er staunen mußte. Hermann saß an diesem Abend in ein Lehrbuch vertieft, bis der Apotheker ihn entschieden zum Bettgehen ermahnte und die Frau Apotheker ihn in das Stübchen führte, das zwischen der Kräuterkammer und der Vorratskammer oben im Dachraum ausgebaut war.

      Hermann schlief schon längst, als noch zwei Paare beisammen saßen und über ihn sprachen: daheim die Eltern und hier der Apotheker und seine Frau. »Hast du dem Apotheker nicht gesagt, wie viel unser Hermann schon studiert hat auf seinen Beruf?« fragte Frau Hollwanger ihren Mann.

      »Nein, ich kann doch nicht mein eigen Kind anpreisen.«

      »Anpreisen freilich nicht, aber du hättest doch so zufällig die Rede darauf bringen sollen, daß er schon so gelehrt ist.«

      »Der Apotheker wird’s bald selbst herausfinden.«

      »Hast aber doch wenigstens das gesagt, daß unser Hermann gar keinen größeren Wunsch hat, als einmal ein Apotheker

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