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Sie mir, warum nicht. Ich habe Ihnen Vertrauen entgegengebracht, ich darf wohl auch von Ihnen Vertrauen erwarten?«

      Nun sprach Greiner frei heraus; sagte, daß er die Puppenindustrie nicht nach Amerika bringen und dadurch sein Heimatland schädigen wolle; auch dann nicht, wenn er selbst dabei reich werden könnte; und so wie er dächten auch die andern Familien im Ort.

      Darauf schwieg der Amerikaner. Greiner ging wieder an sein Geschäft – die Pause war schon lang gewesen für einen Wochentag, auch die Kinder rührten wieder die Hände. Philipp stopfte Sägspäne in die Bälge. Marie wandte mit fabelhafter Geschicklichkeit die zugenähten Körper um, und der lange Herr sah staunend auf sie herab. Ja, solche Familien hätte er gerne gehabt, drüben in seinem Wald: Leute mit solch ehrenwerter Gesinnung und mit solchem Fleiß und Geschick, Leute, die zufrieden waren in solch ärmlicher Umgebung.

      Als er so still dastand, sah Frau Greiner zu ihm auf und beschämt zog sie ein Päckchen Geld aus ihrer Tasche: »Etwas fehlt an dem Taler, den Sie mir gegeben haben,« sagte sie, »weil der Steuerbote so dumm dahergekommen ist, wie wir gerade nur noch den Taler im Besitz gehabt haben.«

      »Ich habe doch gesagt, du sollst hinuntergehen zum Schulzen,« sagte Greiner, »er soll dir darauf legen, was fehlt, bis nächsten Samstag. Der hat’s und tut’s gern.«

      »Nicht nötig,« sagte der Amerikaner, »es war nicht ausgemacht, daß ich den Taler wieder bekomme. Es war ein Geschenk.«

      Und nun grüßte er und sie grüßten ihn, und er zog von dannen, zum Ort hinaus, ohne einen Versuch bei andern Familien zu machen. –

      In der Nähe von Greiners Häuschen war schon den ganzen Morgen ein Bursche herumgestrichen: Georg, der junge Fabrikarbeiter, der bei der ersten Begegnung mit dem Amerikaner dabei gewesen war. Einem Kameraden hatte er aufgetragen, ihn wegen eines bösen Fußes in der Fabrik zu entschuldigen. Als aber der Amerikaner den Ort verließ, folgte ihm Georg mit seinem bösen Fuß erstaunlich schnell. Der Amerikaner ging mit langen Schritten vorwärts, Georg hielt sich immer eine Strecke hinter ihm, bis das Dorf außer Sicht war und sich der Wald dazwischenschob. Dann eilte er vorwärts, versicherte sich noch einmal, daß niemand des Weges kam, lief dem Fremden nach und redete ihn an. Dieser erkannte ihn sofort. Einen Augenblick dachte er, Greiner habe ihn nachgeschickt. Vielleicht bereute er die Abweisung; aber er merkte bald, daß es nicht so war.

      »Ich wollte den Herrn nur fragen, ob er mich nicht nach Amerika mitnehmen wolle. Ich bin mit dem Puppengeschäft aufgewachsen und ich wüßte noch einen Burschen und ein Mädchen aus dem Ort, die wären auch bereit, mitzugehen; wir drei könnten so gut wie die Greiners die Leute in Amerika anweisen.«

      Eine Weile besann sich der Amerikaner. »Wißt Ihr auch den Grund,« fragte er, »warum die Familie Greiner nicht mit mir zieht?«

      »Ja wohl weiß ich’s, daß sie unser Dorf nicht um seinen Verdienst bringen wollen. Aber ich bin aufgeklärter, ich denke: Jeder ist sich selbst der Nächste, und soviel ich von Amerika weiß, denken sie da drüben auch so und machen Geld, soviel sie können.«

      »Ja, ja, das ist ganz richtig,« sagte der Amerikaner. »Es ist auch das Vernünftigste. Aber wenn ich doch einmal Deutsche mitnehme, dann will ich richtige Deutsche, die das Gemüt haben, wie es nur die Deutschen haben, die so denken wie dieser arme Mann, der Greiner, denkt. Sie sind kein solcher; Sie haben kein Herz für Ihr Dorf: Sie würden auch für mein Geschäft kein Herz haben, sondern würden mich verlassen, sobald Ihnen ein anderer einen Dollar mehr böte. Guten Abend.«

      Mit diesem unverhofften Gruß ging der Fremde nach der andern Seite der Straße und hatte keinen Blick mehr für Georg. Der stand da, halb zornig, halb beschämt, sah eine Weile dem langen Amerikaner nach, wandte sich dann und schlich langsam zurück ins Dorf. Wer ihm jetzt begegnete, der konnte eher glauben, daß er einen bösen Fuß habe.

      Armut und Sorge, Not und Entbehrung lasten immer schwer auf dem Menschen, aber am schwersten trägt er daran, wenn er einen Augenblick gemeint hat, er habe die Last los, und wenn sie ihm nun aufs neue aufgebürdet wird. Es war eine trübe Stimmung im Hause des Drückers in den nächsten Wochen, bis allmählich die Erinnerung an den Plan der Auswanderung verblaßte und sie wieder eingewöhnt waren in das alte Elend!

      Klein Alex aber schien sich nicht einzugewöhnen; er nahm nicht zu und wurde nicht kräftig wie andere Kinder seines Alters. Wenn gerade Geld und Zeit übrig war, so wurde ihm Milch geholt und er wurde so gut gepflegt, wie’s eben seine Pflegemutter verstand. War aber Mangel im Haus und drängte die Arbeit, dann mußte sich der Kleine wieder mit Kartoffeln begnügen und Kaffeebrühe trinken wie die andern Kinder auch. »Er verträgt’s nicht,« sagte dann Greiner und sah trübselig auf das Kleine, das bei Nacht sein Pflegekind war.

      »Nein, er verträgt’s nicht, er ist an seinen Soxhlet gewöhnt,« sagte die Mutter. »Aber gut ist’s, daß er’s nicht weiß und nicht bös auf uns ist, gelt du Kleiner, gelt du magst uns doch? Hast’s ja so gut bei uns, kein Mensch darf dir was tun! Und am Sonntag, da wird’s lustig, da fahren wir dich in Wald hinaus, wo die Vöglein singen und pfeifen, gelt du freust dich, kleiner Schelm?«

      So plauderte sie mit ihm, ohne die Arbeit aus der Hand zu legen, und lachte ihm freundlich zu, und Marie, Philipp und Johann machten es der Mutter nach. Dann lächelte der Kleine so hold, daß sie ihn alle lieb hatten und ihm sein vieles Schreien verziehen. Sie beachteten es nicht so im Drange der Arbeit.

      Sommer und Herbst waren vergangen. Das letzte Schiff, das die Puppen zu Weihnachten nach Amerika bringen sollte, war abgefahren, und was unsere kleinen Leute gearbeitet hatten, war nun auf der Reise in aller Herren Länder. Und nun stockte die Arbeit. Die Fabriken in Sonneberg gaben keine Aufträge mehr. Das war alle Jahre so im Winter, aber es war immer wieder ein Schrecken für die Leute, wenn der Verdienst aufhörte. Und doch konnten sie die Ruhe so notwendig brauchen. Der Kartoffelacker mußte bestellt und Holz gesammelt werden. Die Kammer, der man den ganzen Sommer versprochen hatte, daß sie auch einmal geputzt werden sollte, wurde nun rein gemacht. Die Kleider wurden geflickt, und wer kein gutes Hemd mehr hatte, für den wurde jetzt ein neues genäht. Aber die Kost wurde immer schmäler.

      Um die Weihnachtszeit war’s am schlimmsten. »Marie, geh zum Krämer,« sagte die Mutter, »hol einen Hering zu Mittag. Drei Pfennige nimmst mit, was er mehr kostet, soll der Krämer aufschreiben.« Marie kam zurück mit leeren Händen. »Er gibt’s nicht mehr auf Borg; es wird ihm gar zuviel, sagt er; aber ich soll ein Töpfchen bringen, von der Heringsbrüh wolle er mir geben um drei Pfennig.« Und Marie nahm ein Töpfchen. »Sei doch gescheit und nimm den großen Topf mit, dann bekommst mehr,« sagte Frau Greiner. Aber der Krämer war auch gescheit; er machte den Topf nur zur Hälfte voll.

      »Die Brüh ist kräftig,« sagte Frau Greiner, als sie sie zu den Kartoffeln auf den Tisch setzte, »man könnt’ meinen, man hätte einen Hering, so stark schmeckt sie.« »Ja,« sagte Greiner, »aber hintennach merkt man’s doch, daß man keinen Hering gegessen hat. Man wird halt gar nicht satt von der Brüh.« »Wart nur, im Sommer, wenn die gute Einnahm’ kommt, dann holen wir wieder Speck.« So wurde schon im Dezember die harte Arbeitszeit wieder ersehnt.

      Weihnachten kam. Die Wege waren verschneit, das Eis glitzerte an den Bäumen, aber doch wanderten gar viele Dorfbewohner durch den winterlichen Wald, Sonneberg zu, das Christfest in der Kirche zu feiern. Auch Greiner und seine Frau gingen miteinander hin. Die Kinder ließen sie ruhig allein, brav waren sie gewiß an diesem Morgen, denn sie wußten von vergangenen Jahren: Vater und Mutter kehrten nach der Kirche bei der Großmutter ein, und die schickte Lebkuchen, für jedes Kind einen, und diese Freude warf ihren Schimmer voraus auf das Trüpplein der Kinder, das daheim neben dem Ofen kauerte und wartete, wartete eine Stunde nach der andern, unfähig an etwas anderes denken zu können, als an den Lebkuchen. Jetzt stapfte jemand in den Hausgang herein; der Postbote, dick beschneit, erschien unter der Türe, und als er nur die Kinder sah, rief er: »Ist der Vater nicht da oder die Mutter? Da ist ein Paket, ist wohl ein Christstollen darin. Daß ihr’s nicht aufmacht! Ich leg’s lieber da hinauf.« Und der Bote legte den Pack oben hin auf den Kleiderschrank und ging. Das war nun eine Aufregung! Da standen sie alle, die Marie, der Philipp und der Johann und sahen andächtig hinauf nach dem großen Paket in seinem braunen Packpapier

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